
Heißhunger wegessen
Unverdauliche präbiotische Ballaststoffe aus Gemüse, Obst sorgen dafür, dass Mikrobiom- Botenstoffe die Lust des Belohnungssystems im Gehirn auf kalorienreiche Lebensmittel dämpfen. Es kommt seltener zu Heißhunger-Attacken. So eine Studie des Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig.
Spannende Studien
- Intervall-Fasten nach dem 5:2-Schema (zwei Tage fasten, fünf Tage normal essen) stoppt eine Leberverfettung, verringert das Risiko von Leberkrebs (Deutsches Krebsforschungszentrum).
- Bei einer Reizblase ist eine Ernährungs-Umstellung mit wenig Weizenbrot, Süßigkeiten, Milchprodukten oder Steinobst wirkungsvoller als spezielle Medikamente (Universität Göteborg).
- Trinken Kleinkinder zuckerreiche Tees oder Säfte, bekommen sie als Erwachsene häufiger Übergewicht (Swansea University).
Das ist eine neue brandgefährliche Sucht.
Als hätte die Welt nicht schon genug Probleme. Jetzt verfallen die Deutschen auch noch einer neuen Sucht. Dr. Riedl redet Tacheles über den Schaden, den die Abhängigkeit von Fast Food anrichtet.
Übergewicht von der Stange z.B. durch Burger, Pizza, Currywurst, Hot Dogs, Döner, Chips, Pommes oder hoch prozessierte Fertig-Gerichte - das dürfte mittlerweile wirklich jeder von uns kapiert haben. Ultraneu sind aber die alarmierenden Erkenntnisse eines aufsehenerregenden, aktuellen Umbrella-Reviews. Also einer Analyse von 281 Studien in 36 Ländern. Gerade veröffentlicht im renommierten „British Medical Journal". Sie stuft Fast Food & Co. quasi als neue Drogen mit hohem Sucht-Potenzial ein. Derartig überzeugend, dass die WHO überlegt, sie in den Sucht-Katalog aufzunehmen. Welche dramatischen Auswirkungen die neu definierte Fast-Food-Sucht hat, beleuchtet Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl punktgenau.
Provokativ gefragt, Herr Dr. Riedl: Sind treue Fast-Food-Fans also gleichgestellt mit Junkies?
Dr. Matthias Riedl: Kurz noch mal zurück zum Analyse-Resultat: Danach sind bereits jeder siebte Erwachsene und zwölf Prozent der Kinder und Teenager krankhaft süchtig nach Junk-Food. Besonders nach solchen mit hohem Anteil von einfachen Kohlenhydraten und hochdosierten tierischen Fetten, Zucker und Salz. Tatsächlich liegt die Suchtrate von Fast Food ähnlich hoch wie bei Alkohol und Zigaretten. Also bei 14 bis 18 Prozent der deutschen Bevölkerung. Erschreckend ist aber auch, dass 50 Prozent der Menschen mit einer Essstörung wie Binge Eating laut dieses Reviews der University of Michigan süchtig nach Fast Food sind. Ob dieses jedoch körperlich und psychisch so abhängig macht wie harte Drogen - z.B. Kokain und Heroin – steht gerade erst auf dem Prüfstand.
Aber was macht Fast und Industrie- Food so suchtgefährlich?
Dr. Matthias Riedl: Es ist ihre künstlich hochgepushte Kombination aus schnellen Kohlenhydraten und Fetten, die so in der Natur nirgendwo vorkommt. Natürliche Lebensmittel enthalten entweder den einen oder den an- deren Makro-Nährstoff in höherem Maße. So bringen es
100 Gramm Apfel auf 55 kcal Kohlenhydrate, aber nur auf 1,5 kcal Fett – also in einem gesunden Verhältnis von 36:1. Und 100 Gramm Lachs haben null Kohlenhydrate, aber 73 Gramm Fett. Im krassen Gegensatz dazu liefern 100 Gramm Industrie-Schokolade 237 kcal Kohlenhydrate und 266 kcal Fett. Beide Nährstoffe also im Verhältnis 1:1. Diese hoch ungesunde Patt-Proportion summiert sich zu einem supraadditiven Effekt auf das Belohnungszentrum.
Macht Junk-Food das Gehirn noch durch weitere Faktoren abhängig?
Dr. Matthias Riedl: Ja, z. B. durch die enorme Geschwindigkeit, mit der ihre Kohlenhydrate und Fette aufgenommen werden. Je schneller sie über den Blutkreislauf ins Gehirn geschleust werden, desto süchtiger machen sie. Es ist das gleiche Prinzip wie bei Zigaretten und Nikotin-Pflastern. Beim Rauchen kommt der Suchtstoff blitzartig ins Gehirn. Pflaster dagegen gebe ihn derartig langsam ab. Deshalb wird auch kaum ein Raucher abhängig vom Nikotin-Pflaster. Im Gegensatz zu industriellen geben natürliche Lebensmittel ihre Nährstoffe langsam über den Darm ins Blut ab. Und besitzen deshalb kein Sucht-Potential.
Was passiert genau beim Biss etwa in einen Burger?
Dr. Matthias Riedl: Nach zehn Minuten rast der Blutzucker raketenartig in die Höhe. Das Belohnungssystem im Gehirn schüttet den Körper mit Wohlfühl-Botenstoffen wie Dopamin zu. Sie tönen ähnlich an wie Kokain. Nach 20 Minuten setzt die Wirkung des hohen Zuckergehalts im Burger ein. Großer Suchtfaktor - wir wollen mehr. Nach 30 Minuten kommt die Salz-Attacke mit ca. 2,5 Gramm Natriumchlorid. Sie dehydriert die Zellen. Die Symptome ähneln denen des Hungers. Also her mit dem nächsten Hamburger! Weil die Nieren die Mega-Dosis Salz nicht auf einen Schlag ausschwemmen können, zieht der Körper Flüssigkeit aus dem Gewebe ab. Das Blutvolumen nimmt zu, das Herz geht in den Akkord-Modus. Der Blutdruck steigt. 40 Minuten nach dem ersten Bissen rauscht der Blutzucker im Sturzflug in den Keller. Das Gehirn wertet das als Alarm-Signal. Der Hunger wächst. Normalerweise braucht der Körper ca. 33 bis 42 Stunden, um Essen zu verdauen. Beim Hamburger können 30 Stunden dazu kommen. Seine 1,5 Gramm Transfettsäuren werden sogar erst nach mehr als 50 Tagen abgebaut. Sie gelten als Mitverursacher von Übergewicht, Herzerkrankungen, Diabetes und Krebs.
Im stillen Killer prozessiertes Food stecken hunderte unbekannte Stoffe.
Wie gefährlich ist die Fast-Food- Sucht nun wirklich?
Dr. Matthias Riedl: Klare Antwort gibt eine Schock-Studie der drei medizinischen Schwergewichte Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health, der Pariser Sorbonne, der University of Sydney. Danach sind Fast Food & Co. direkt verantwortlich für 32 ge- sundheitsschädliche Auswirkungen! Beispiele: Das Risiko für Infarkt-Sterblichkeit steigt um 50 Prozent, für Panik-Attacken um bis zu 53, für Diabetes um 12, für Depressionen um 22, für Über- gewicht um 66 Prozent. Ganz zu schweigen von einem hohem Cho- lesterinspiegel, Asthma, Mikro-, Darm-Entzündungen, Immun- schwäche ... Zurück zum Gehirn: Auch das ist, was es isst. Bei Junk- Food wiegt diese Weisheit um so gewichtiger. Denn schon eine Woche Pommes, Pizza oder Chicken-Nuggets reicht, um die Funktion des Hippocampus – des Zentrums für Gedächtnis, Lernen – zu beeinträchtigen. Sie fördern Vergesslichkeit, steigern Aggressionen und Stress-Empfinden.
Aber was tun, wenn wirklich mal die Zeit fürs gesunde Kochen fehlt?
Dr. Matthias Riedl: Hetze, Hektik, Termindruck: Hand aufs Herz, manchmal muss das Essen im stressigen Alltag einfach mal schnell gehen. Das kenne ich auch. Am idealsten ist es dann, eine zu Hause vorgekochte Mahlzeit in der Lunch-Box zu haben. Meal Prep eben. Denn da kann ich sicher sein, dass cleane, von mir bewusst gekaufte Zutaten z. B. frei von Zusatz-, Süß-, Farb-, Aromastoffen und Geschmacksverstärkern sind. Und dass die Mahlzeit optimal nach der Devise „Je einfacher der Produktionsprozess, desto gesünder“ zubereitet wurde. Auch ohne Zucker und Weißmehl. Sogar keine Zeit zum Meal Preppen? Dann bitte nach dieser Faustregel einkaufen: Nahrungsmittel, die aus mehr als fünf Zutaten hergestellt wurden, sind nicht artgerecht, damit nicht gesund und clean. Das gilt auch für vegetarische und vegane Produkte.
Dr. Matthias Riedl ist bekannt als Ernährungs-Doc aus dem NDR-Fernsehen. Der Facharzt für Innere Medizin und Diabetologe leitet das medicum Hamburg, Deutschlands größtes Zentrum für Ernährungsmedizin und Diabetologie (medicum-hamburg.de).