Abhängigkeit von Fast Food: "Das ist eine neue brandgefährliche Sucht"

Als hätte die Welt nicht schon genug Probleme. Jetzt verfallen die Deutschen auch noch einer neuen Sucht. Dr. Riedl redet Tacheles über den Schaden, den die Abhängigkeit von Fast Food anrichtet.

Verschiedenes Fast Food wie Burger, Pizza und Chips© Adobe Stock/Syda Productions

Übergewicht von der Stange 

Zum Beispiel durch Burger, Pizza, Currywurst, Hot Dogs, Döner, Chips, Pommes oder hoch proces-sierte Fertig-Gerichte – das dürfe mittlerweile wirklich jeder von uns kapiert haben. Ultraneu sind aber die alarmierenden Erkenntnisse eines aufsehenerregenden, aktuellen Umbrella-Reviews. Also einer Analyse von 281 Studien in 36 Ländern. Gerade veröffentlicht in renommierten „British Medical Journal“. Sie stuft Fast Food & Co. quasi als neue Droge mit hohem Sucht-Potenzial ein. Derartig überzeugt, dass die WHO überlegt, sie in den Sucht-Katalog aufzunehmen. Welche dramatischen Auswirkungen die neu definierte Fast-Food-Sucht hat, beleuchtet Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl punktgenau Kokain und Heroin – steht gerade erst auf dem Prüfstand.

Aber was macht Fast und Industrie-Food so suchtgefährlich?
Dr. Matthias Riedl: Es ist ihre künstlich hochgepushte Kombination aus schnellen Kohlenhydraten und Fetten, die so in der Natur nirgendwo vorkommt. Natürliche Lebensmittel enthalten entweder den einen oder den anderen Makro-Nährstoff in höherem Maße. So bringen es 100 Gramm Apfel auf 55 kcal Kohlenhydrate, aber nur auf 1,5 kcal Fett – also in einem gesunden Verhältnis von 36:1. Und 100 Gramm Lachs haben null Kohlenhydrate, aber 73 Gramm Fett. Im krassen Gegensatz dazu liefern 100 Gramm Industrie-Schokolade 237 kcal Kohlenhydrate und 266 kcal Fett. Beide Nährstoffe also im Verhältnis 1:1. Diese hoch ungesunde Patt-Proportion summiert sich zu einem supra-additiven Effekt auf das Belohnungszentrum.

Macht Junk-Food das Gehirn noch durch weitere Faktoren abhängig?
Dr. Matthias Riedl: Ja, z.B. durch die enorme Geschmeidigkeit, mit der die Kohlenhydrate und Fette aufgenommen werden. Je schneller sie über den Blutkreislauf ins Gehirn geschleust werden, desto sichtbarer machen sie es. Es ist das gleiche Prinzip wie bei Zigaretten und Drogen, deren Wirkung über den Suchtstoff stärker in Gehirn dringt.

Was passiert genau beim Biss in einen Burger?
Dr. Matthias Riedl: Nach zehn Minuten rast der Blutzucker raketenartig in die Höhe. Das Belohnungsystem im Gehirn schüttet 
im Körper mit Wohlfühl-Botenstoffen wie Dopamin aus. Sie ähneln in der Wirkung an die von Kokain. Nach 20 Minuten steigt die Wirkung des hohen Zuckergehalts im Burger eben. Großer Sucht-Faktor – wir wollen mehr. Nach 30 Minuten kommt der Sal-Atack mit ca. 2,5 Gramm Tetrahydro-cannabinol. Die Symptome zeigen sich als Alarm-Signal. Der Hunger wächst. Normalerweise braucht der Körper ca. 33 bis 42 Stunden, um Essen zu verarbeiten. Beim Hamburger können 30 Stunden dazu kommen. Seine 5,1 Gramm Transfettzuwarten werden sogar erstmal nach über 50 Tagen abgebaut. Sie gelten als Mitverursacher von Übergewicht, Herzkrankheiten, Diabetes und Krebs.

Wie gefährlich ist das Fast-Food?
Dr. Matthias Riedl: Klare Antwort gibt eine Schock-Studie der drei medizinischen Schwergewichte Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health, der Pariser Sorbonne, der University of Sydney. Danach sind Fast Food & Co. direkt verantwortlich für 32 gesundheitsschädliche Auswirkungen! Beispiele: Das Risiko für Infarkt-Sterblichkeit steigt um 50 Prozent, für Panik-Attacken um bis zu 53, für Diabetes um 12, für Depressionen um 22, für Übergewicht um 66 Prozent. Ganz zu schweigen von einem hohem Cholesterinspiegel, Asthma, Mikro-, Darm-Entzündungen, Immun- schwäche ... Zurück zum Gehirn: Auch das ist, was es isst. Bei Junk- Food wiegt diese Weisheit um so gewichtiger. Denn schon eine Wo- che Pommes, Pizza oder Chicken-Nuggets reicht, um die Funktion des Hippocampus – des Zentrums für Gedächtnis, Lernen – zu beeinträchtigen. Sie fördern Vergesslichkeit, steigern Aggressionen und Stress-Empfinden.

Aber was tun, wenn wirklich mal die Zeit fürs gesunde Kochen fehlt?
Dr. Matthias Riedl: Hetze, Hektik, Termindruck: Hand aufs Herz, manchmal muss das Essen im stressigen Alltag einfach mal schnell gehen. Das kenne ich auch. Am idealsten ist es dann, eine zu Hause vorgekochte Mahlzeit in der Lunch-Box zu haben. Meal Prep eben. Denn da kann ich sicher sein, dass cleane, von mir bevorzugte Zutaten z. B. frei von Zusatz-, Süß-, Farb-, Aromastoffen und Geschmacksverstärkern sind. Und dass die Mahlzeit optimal nach der Devise „Je einfacher der Produktionsprozess, desto gesünder“ zubereitet wurde. Auch ohne Zucker und Weißmehl. Sogar keine Zeit zum Meal Prepen? Dann bitte nach dieser Faustregel einkaufen: Nahrungsmittel, die aus mehr als fünf Zutaten hergestellt wurden, sind nicht gesund und clean. Das gilt auch für vegetarische und vegane Produkte.

Dr. Riedls 6 größte k.o-Argumente gegen Fast Food

Beim klaren Blick auf die schwachen Seiten von Junk-Essen vergeht dem Ernährungs-Doc der Appetit

  1. Zu fettig
    Die Fast-Food-Industrie benutzt viel Fett als appetitanregenden Geschmacks-träger. Das fordert Übergewicht – mit all seinen gesundheitlichen Gefahren.
  2. Zu viel Zucker
    Große Mengen Industrie-Zucker, vor allem in Ketchup, Mayonnaise, lassen den Blutzucker-Spiegel ansteigen.
  3. Zu salzig
    Gerade in Fast Food steckt jede Menge Salz. Keine gute Sache, denn zu viel davon ist ungesund. Es fördert Bluthochdruck. Ernste Spätfolgen sind z.B. Schlaganfall, Herzinfarkt.
  4. Bedenkliche Qualität
    Der Blick auf die Zutaten-Liste lässt das Blut in den Adern gefrieren. Dieser kleine Auszug spricht für sich: Weizenmahlzeitmittel, Emulgatoren, Aromen, Nitritpökelsalz, Schmierzelbststoffe, Stabilisatoren, Säureregulatoren ...
  5. Verdrängt den Geschmack
    Unzählige Geschmacksverstärker wie Glutamat sorgen dafür, dass wir natürliche Lebensmittel unbemerkt als geschmackslos und langweilig empfinden.Bereit mit dem nächsten Fast Food? Wissenschaftler nennen diesen Effekt „chemisches Craving“.
  6. Macht dick
    Die Klassiker des Fast Foods sind hochkalorisch. Sie liefern mit oft 1.000 bis 1.200 Kalorien pro Express-Hamburger das Übergewicht. Dagegen fällt die Portion an weiteren Nährstoffen wie Vitaminen, Ballaststoffen oder Mineralstoffen eher magere aus.
Dr. Matthias Riedl

Dr. Matthias Riedl ist bekannt als Ernährungs-Doc aus dem NDR-Fernsehen. Der Facharzt für Innere Medizin und Diabetologe leitet das medicum Hamburg, Deutschlands größtes Zentrum für Ernährungsmedizin und Diabetologie (medicum-hamburg.de).