
Mitten auf meinem Bauch sitzt ein Störfeld – meine OP-Narbe. Und das muss dringend und schnellstens weg, sagt die Heilpraktikerin nach einstündigem akribischem Fragen, Inspizieren, Tasten und Testen. Warum diese Eile? Die Narbe ziept, britzelt und spannt doch nur bei einigen Bewegungen, in der engen Jeans oder bei Wetterumschwung.
Kleine Störenfriede mit großen Auswirkungen
Das ist zu oberflächlich betrachtet, höre ich von der Therapeutin. Meine häufigen Gelenkschmerzen, das gelegentliche Rauschen in den Ohren, die immer mal wieder hypernervöse Blase – all das kommt von meinem Störfeld. Dieser für mich bedrohlich klingende Begriff hat seinen Ursprung in der Komplementärmedizin und Naturheilkunde und gehört längst zum Vokabular der Schulmedizin. „Ein solches Störfeld behindert komplexe Regulationsmechanismen, Organinteraktionen oder Muskelfunktionsketten des Körpers“, erklärt Dr. Friedrich Molsberger, Facharzt für Allgemeinmedizin, Akupunktur und Naturheilverfahren in Berlin. „Dabei können Störungen in weit entfernten Regionen auftreten, die auf den ersten Blick scheinbar nichts mit dem Störfeld-Areal zu tun haben.“
Haben sie aber eben doch, und wie das zusammenhängt, erklärt die Lehre der traditionellen Chinesischen Medizin, kurz TCM, einleuchtend. Sie unterscheidet vier Kreisläufe: Nervensystem, Blut-, Lymph- und Qi-Kreislauf, in dem die „Lebensenergie“ fließt. Zu diesem vierten Kreislauf gehören die berühmten zwölf Meridian-Paare, die alle Körperteile, Organe, Drüsen und Bindegewebe mit Betriebsenergie versorgen, dem Qi.
Alte Narben stören häufiger
Wunden, die unter die Oberhaut gehen, verletzen neben Nerven, Muskeln und Gefäßen auch die Meridiane. Ob nun durch das Skalpell des Chirurgen wie bei mir oder durch das Kartoffelschälmesser zu Hause spielt keine Rolle. Vor dem vernarbten Ein schnitt kommt es zum Energiestau und zu Blockaden. Dahinter zur energetischen Unterversorgung. Das unelastische Narbengewebe selbst behindert die Energieströme, indem es die elektrische Leitfähigkeit und den Informationsfluss von Zelle zu Zelle regelrecht unterdrückt. Da jeder einzelne Meridian bestimmte Organsysteme mit „Strom“ beliefert, ist leicht zu verstehen, warum zum Beispiel eine Narbe am Bauch zu Kopfschmerzen führt.
50% aller Narben sind Störfelder, die dauerhaft lästig sein können
So komplex wie die Energievernetzung im Körper und so einschneidend wie die Funktionsstörung von Meridianen und vegetativem Nervensystem, so lang ist auch die Liste der Beschwer den durch eine störende Narbe. Die Hamburger Fachärztin für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren, Dr. Sonja Reitz, nennt ein paar Beispiele: „Allgemeine, diffuse und auch wechselnde Schmerzen haben häufig Narbenstörherde zur Ursache. In 70 Prozent der Fälle liegt gleichzeitig eine schwere Müdigkeit vor. Es kann aber auch zu vegetativen und seelischen Erscheinungen wie beispielsweise Schwindel, Durchfall, Verstopfung, übermäßigem Schwitzen, Ohrensausen, Kältegefühl an Körperteilen, chronischem Energiemangel, Schlafstörungen, Antriebsarmut oder Depressivität kommen.“ Dr. Friedrich Molsberger betont: „Ältere Narben, z. B. aus Kindheitstagen, sind eher verdächtig – nach dem Motto: ,Je älter, desto schlimmer‘ – als frische, da ihr Störfeld schon länger auf den Organismus einwirkt.“
Oft werden gleich mehrere Therapien kombiniert
Allerlei Wege führen raus aus dem Störfeld, zurück zu einem harmonischen und ungehinderten Energiefluss. Oft kombinieren Ärzte und Heilpraktiker gleich mehrere Methoden. So wie bei mir. Die Narbenentstörung beginnt für mich ganz klassisch mit der Neuraltherapie nach Huneke, 1925 nach den Arzt-Brüdern Ferdinand und Walter Huneke benannt. Das klingt so akademisch harmlos, dass ich ganz entspannt bin. Aber meine Gelassenheit verflüchtigt sich schlagartig, als die Heilpraktikerin mit einer Spritze in der Hand auf mich zukommt. Ich liege bauchfrei, und sie injiziert in regelmäßigen Abständen ein Betäubungsmittel direkt in das Narbengewebe, das auf diese Stichelei prompt mit Quaddeln reagiert. Autsch, angenehm ist etwas anderes! Doch kaum ist die Spritzen-Tortur vorbei, fühlt sich die Narbe, irgendwie der ganze Bauch, wunderbar warm und entspannt an – wie in fluffige Watte verpackt. Und das schöne Gefühl hält sogar noch über Stunden an.
Örtliche Betäubung entspannt die Narbe
Örtliche Betäubung entspannt die Narbe
Die Erkenntnisse der Wissenschaft geben meinem neuen „Bauchgefühl“ recht: Lokalanästhetika wie z. B. Lidocain oder Procain pendeln das elektrische Aktionspotenzial der Narbenzellen wieder auf den Normalwert ein und unterstützen die Selbstregulationskräfte des Organismus. Die örtlichen Betäubungsmittel heben aber auch die Energieblockaden auf den Meridianen auf. Zusätzlich haben die Spritzen einen mechanischen Aspekt: Sie lockern die Gewebestruktur der kollagenen Bindegewebsfasern in der Narbe spürbar auf. Das unangenehme Spannungsgefühl lässt endlich nach.
80% der Patienten sind nach 3–5 Sitzungen beschwerdelos
ADRESSEN & TIPPS
- Buchtipp: „Heilung in Sekunden durch Narbenentstörung“ von Dr. med. Sonja Reitz, ngw Verlag, 190 Seiten, 14,95 Euro
- Adressen: Ärzte, die Neuraltherapie anbieten, finden Sie bei der Internationalen Medizinischen Gesellschaft für Neuraltherapie, Tel. 0 74 41/9 18 58-0, www.neuraltherapie-online.de
- Weitere Infos: Zentralverband der Ärzte für Naturheilverfahren, www.zaen.org
Kaum habe ich die Neuraltherapie hinter mir, hänge ich schon wieder „an der Nadel“. Genauer gesagt, wurde mein rechtes Ohr mit 14 dünnen Stahlnadeln gespickt. Volle 20 Minuten soll ich so ruhig und entspannt liegen bleiben. Nicht einfach, denn in regelmäßigen Abständen dreht die Heilpraktikerin an den Akupunktur nadeln. Das tut ordentlich weh und treibt mir leicht den Schweiß auf die Stirn. Gut so, findet die Heilpraktikerin, denn der Druckschmerz beweist, dass ich ein Störfeld habe. Und auch, dass sie mit den Nadeln voll „ins Schwarze“, also in die richtigen Akupunkturpunkte, getroffen hat. Sie korrespondieren mit den durch die Narbe gestörten Organfunktionen. Genau das soll laut TCM-Theorie einmal mehr die gestaute Energie auf den Meridianen wieder zum Fließen bringen.
Immer stärker verspüre ich an meinem rechten Ohr ein leichtes Kribbeln. Es fühlt sich an wie eine Elektrisierung. Bis zu meiner Narbe am Bauch wandert dieses wohltuende Gebritzel jedoch noch nicht. Übrigens: Viele Therapeuten ersetzen die Akupunkturnadeln durch den Strahl eines Softlasers oder durch ein Metallstäbchen für eine Akupunktmassage.
Magnetfelder lassen die Energie sprudeln
Für mich geht es weiter mit der pulsierten Magnetfeldtherapie. Die ist ganz easy – tut überhaupt nicht weh. Die Heilpraktikerin platziert zwei kleine Kissen im Bereich der Narbe. Während der nächsten zehn Minuten bauen sie elektromagnetische Felder in unterschiedlichen Frequenzen pulsierend auf und ab. So erhalten die Narbenzellen immer wieder einen neuen Impuls, der das Qi sprudeln lassen soll. Meine Narbe rebelliert mit Schmerzen, Rötung und Schwellung. Erst beim dritten Mal kommt dann endlich der Erfolg: Ich habe wirklich das Gefühl, dass sich in mir etwas gelöst hat.
Kassen zahlen nur selten
Kombiniert werden bei der ganzheitlichen Narbenentstörung z. B. auch Elektrostimulation, Osteopathie, Akupressur, Homöopathie und Ultraschall. Im Schnitt sind fünf bis zehn Anwendungen nötig. Die Kosten von ca. 100 bis 120 Euro pro Sitzung übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen nur selten. Trotzdem lohnt es sich, vor der Behandlung bei seinem Sachbearbeiter bei der Krankenversicherung nachzufragen.
40% der Patienten befreit eine Narbenentstörung von ihren Schmerzen
Ich lag insgesamt sieben Mal bei meiner Heilpraktikerin auf der Liege – und bin ziemlich beeindruckt: Meine Narbe muckt mittlerweile kein Stück mehr. Meine Beschwerden sind alle weg! Doch der Weg dahin war schon etwas steinig. Eine ganzheitliche Narbenentstörung ist wirklich nichts für Zimperliche.
Daran erkennen Sie eine Stör-Narbe
Wenn zwei dieser Kriterien zutreffen, kann Ihre Narbe lästig werden:
- TAUBHEITSGEFÜHL Die Narbe ist druckempfindlich und fühlt sich bei Berührung unangenehm taub an.
- AUSSTRAHLENDER SCHMERZ Der Narbenschmerz strahlt in entfernte Körperregionen aus und fühlt sich wie ein entzündeter Nerv an.
- HITZEEMPFINDLICH Beim Baden in warmem Wasser oder in der Sauna fängt die Narbe an zu pochen und zu ziehen. Auch bei Kälte.
- WETTERFÜHLIG Wechseln sich Hoch und Tief abrupt ab, juckt, britzelt und prickelt die Narbe.
- VERDICKT Das Narbengewebe bildet entweder eine Delle oder einen unschönen Wulst. Außerdem ist das umliegende Gewebe verhärtet und/oder verdickt.
- SPANNUNGSSCHMERZ Direkt auf der Narbe entsteht selbst durch den leisesten Druck von Kleidung ein Spannungsgefühl, das ziehend oder stechend wehtut.
- FARBLICHE VERÄNDERUNG Die Narbe ist ständig gerötet oder rötlich-bräunlich verfärbt.