
Gerade mal zehn Jahre ist es her, dass der Kaffee als Dauergast auf der Anklagebank saß. Als Herzschädiger, Entwässerer und Herausspüler von lebenswichtigen Elektrolyten. Aber auch als Nervösmacher... Dem anderen Genuss-Gift Alkohol dagegen wurde zumindest in Maßen ein Gesund-Effekt zugesprochen. Etwa als Herz- und Gefäßschützer, als Gehirn-Anfeuerer und Schlaumacher. Doch heute hat die forschende Wissenschaft ihre Bewertung um 180 Grad gedreht. Das liebste Genussmittel der Deutschen, der Kaffee, gilt heute vor allem als Herzschützer. Und er wurde freigesprochen von einer entwässernden und Elektrolyte ausschwemmenden Wirkung. Alkohol dagegen – so die nüchterne Science-Bilanz – verliert von Monat zu Monat mehr an Pluspunkten. Hier eine Übersicht des aktuellen Forschungs-Stands.
Kaffee in Maßen ist ein wachsamer Gesundheits-Bodyguard
+ Als Rundum-Schutz für die Gesundheit steht Kaffee eindeutig auf dem Sieger-Treppchen. Denn eine Meta-Analyse von 220 Studien weltweit zeigt laut Tufts University in Boston eindrucksvoll: Kaffeetrinker haben eine höhere Lebenserwartung. Ihr Risiko, vorzeitig zu sterben, liegt um 17 Prozent niedriger als das von Nicht-Kaffeetrinkern. Die Gefahr, an Krebs zu erkranken, ist bei ihnen um 18 Prozent geringer.
+ Von den mehr als 1000 bioaktiven Substanzen des braunen Muntermachers wie Koffein, Nicotinsäure, Melanoidin oder Kalium profitiert das Herz bereits nach einer einzigen Tasse. Das berichtet das US-Fachblatt „Circulation: Heart Failure“. Und wer täglich zwei bis drei Tassen genießt, verringert die Wahrscheinlichkeit einer Herzerkrankung um erstaunliche 48 Prozent, so eine valide Studie der chinesischen Soochow University in Suzhou.
+ Ein Kaffee-Konsum, der über fünf Tassen am Tag hinausgeht, ist eher herzschädlich, warnt die US-Gesundheitsbehörde Food and Drug Administration. Denn ein Übermaß an Koffein sorgt dafür, dass mehr Stresshormone wie Noradrenalin freigesetzt werden. Der Neurotransmitter steigert den Blutdruck und die Herzfrequenz. Bei zehn Tassen und mehr ist das Herz richtiggehend bedroht.
+ Polyphenole und der Mineralstoff Magnesium im Kaffee verbessern die Wirkung von Insulin und den Glukose-Haushalt, so die Harvard University. Schon eine Tasse Kaffee verringert das Risiko, einen Diabetes Typ 2 zu entwickeln, um acht Prozent. Und fünf Tassen am Tag sogar um ca. 30 Prozent. Kaffee mit Koffein wirkt etwas besser als ohne.
– Ab der fünften Tasse Kaffee am Tag muss damit gerechnet werden, dass es zu Zittern, Herzklopfen, Herzrhythmus-Störungen, Angstzuständen und/oder Panik-Attacken kommen kann. Das berichtet das Royal College of Psychiatry.
+ Schmerzhafte Gallensteine bestehen am häufigsten aus dem Blutfett Cholesterin. Kaffee-Inhaltsstoffe verhindern, dass sich das Blutfett in Kristalle umwandelt. Außerdem fördern sie die Fähigkeit der Gallenblase, sich zusammenzuziehen. Und sie erhöhen den Fluss der Gallensäure so stark, dass sich Cholesterin gar nicht erst ansammeln kann.
– Als unerwünschten Nebeneffekt kann Kaffee bei einigen Menschen Schlafprobleme auslösen: Längere Einschlafzeiten, flacherer Schlaf mit häufigem Aufwachen, etwa eine halbe Stunde weniger Nachtruhe. Das „Journal of Clinical Sleep Disorders“ rät deshalb dazu, sechs Stunden vorm Schlafengehen keinen Espresso oder Kaffee mehr zu trinken.
+ Internationale Studien belegen, dass drei bis fünf Tassen Kaffee eine mächtige neuroprotektive Wirkung auf das Gehirn haben. So belegt eine Metaanalyse von 26 Untersuchungen, dass sie das Parkinson-Risiko um 25 Prozent senken. Bei Frauen entfaltet sich die Schutzwirkung besonders stark. Alzheimer verhindern bereits ein bis zwei Tassen Kaffee pro Tag. Mit einer nachhaltigen, präventiven Wirkung, so ein umfassender Review der südkoreanischen Inje University in Gimhae.
– In kleineren Studien haben Wissenschaftler nachweisen können, dass moderater Kaffee-Genuss die Knochendichte erhöht und die Knochengesundheit verbessert. Durch hohe Koffein-Konzentrationen allerdings droht Osteoporose, so die Hunan Normal University.
+ Erste Forschungsergebnisse der Medical University in Fuzhou zeigen, dass Koffein die Schilddrüsen-Funktion optimiert. Und zwar schon bei einem mäßigen Konsum. Die Wissenschaftler vermuten, dass Koffein die Hormonausschüttung der Hypophyse im Gehirn beeinflusst, die als Regisseur dann die Hormonausschüttung der Schilddrüse aktiviert.
– Ist der Blutdruck akut hoch, kann Koffein ihn weiter nach oben treiben. Bei denen, die regelmäßig Kaffee trinken, hat der Genuss keine Wirkung auf den Blutdruck. Der Körper gewöhnt sich daran.
+ Wie genau Koffein die Leber gesund hält, ist noch weitgehend unklar. Aber ein Team der beiden US-Universitäten Michigan und Harvard hat gerade herausgefunden.den, dass drei Tassen Kaffee am Tag optimal für die Leber sind. Denn sie scheinen entzündliche Prozesse zu bremsen, die Einlagerung von Bindegewebe zu verhindern und Narbengewebe im zentralen Stoffwechselorgan des Menschen zu reduzieren.
Studien entlarven Alkohol von Monat zu Monat mehr
Weit über 100 Studien belegen den Schutzeffekt eines sehr geringen Alkoholgenusses auf das Herz und die Gefäße, so die Harvard University. So nimmt das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle, Herzkranzgefäß-Erkrankungen oder plötzlichen Herztod um ca. 25 Prozent ab. Aber nur bei äußerst geringen Alkoholmengen pro Tag. Der Grund: Alkohol kann den Spiegel des „guten“ HDL-Cholesterins erhöhen. Dadurch kommt es zu einem Herzschutz. Schon bei nur wenig größeren Alkoholmengen aber steigt die Gefahr für diese Erkrankungen an. Denn unter dem Einfluss von Alkohol weiten sich zunächst die Blutgefäße, der Herzschlag beschleunigt sich. Das bedeutet mehr Arbeit für das Pumporgan. Durch regelmäßiges Trinken steigt der Blutdruck an, was wiederum ein Risikofaktor für Herzinfarkt und Schlaganfall ist.
– Größere Mengen Alkohol, also mehr als 0,3 l Bier, 125 Milliliter Wein oder 100 Milliliter Sekt sind Auslöser für viele Krebserkrankungen, so The World Cancer Research Fund. Dazu gehören z.B. Mund-, Rachen-, Speiseröhren-, Brust-, Leber-, Darmkrebs. Verantwortlich dafür sind das Ethanol und seine Abbauprodukte, die Acetaldehyde. Diese Krebs-Gifte gehen Bindungen mit der menschlichen DNA ein, fördern Tumorwachstum, Zell-Mutationen und so ein Krebswachstum. Wer zusätzlich zum Alkoholkonsum viel industrielles Fast Food isst, multipliziert sein Krebs-Risiko.
+ Ein Drink pro Tag kann die Insulin-Sensitivität erhöhen. Denn er dämpft Glukose-Spitzen nach dem Essen (Harvard University).
– Werden pro Woche mehr als 200 Gramm Alkohol (ein 0,2-Liter-Glas Wein enthält rund 19 Gramm Alkohol, ein herkömmliches Glas Bier 20 Gramm) getrunken, verkürzt sich die Lebensspanne um bis zu zwei Jahre. Bei mehr als 350 Gramm Alkohol sind es bereits fünf Jahre, berichtet das renommierte Fachblatt „Lancet“.
+ Gallensteine entwickeln sich seltener, wenn moderat Alkohol getrunken wird. Das hat eine Studie des Sheikh Khalifa Specialty Hospital entdeckt. Grund: Alkohol erhöht die gesunden HDL-Blutfette, senkt den Cholesteringehalt der Galle. Es können sich so nicht so leicht Steine bilden.
– Schon ein regelmäßiges, kleines Glas Wein, Sekt oder Bier am Tag reicht aus, um bei 90 Prozent der Konsumenten eine alkoholische Fettleber zu entwickeln, so das Dong-A University College of Medicine in Busan. Mit jedem Glas mehr steigt die Gefahr proportional an. Alkohol ist auch verantwortlich für 60 Prozent aller Leber-Zirrhosen in der Welt. Das Lebergewebe wird durch Narbengewebe ersetzt, verhärtet. Das Organ versagt allmählich.
+ In kleinen Mengen kann Alkohol die Bildung von Blutpropfen verhindern, die die Gefäße verstopfen können. Drei bis sieben Drinks pro Woche halten das Blut schön flüssig, berichten Forscher der University of Illinois.
– Alkohol ist eine der größten Kalorien-Bomben überhaupt. Wer nur drei alkoholische Getränke trinkt, handelt sich damit ein Plus von ca. 300 Kalorien ein. Gewichtszunahme garantiert!
– Bei Stress und Angst-Attacken kann Alkohol zwar für Entspannung sorgen. Aber dieser Effekt hält nur kurze Zeit an. Und er verschwindet von Mal zu Mal immer schneller, so die britische Mental Health Foundation. Für die gleiche Wirkung wird mehr getrunken – es droht eine Suchtgefahr!
– Wenn Betrunkene torkeln und lallen, liegt das vor allem am Ethanol. Er stört die Kommunikation zwischen den Gehirnzellen. Und dafür müssen gar nicht mal Unmengen Schnaps, Bier oder Wein die Kehle passiert haben. Eine Studie von Oxford Population Health mit 25000 Probanden zeigt, dass bereits eher kleine Mengen dafür ausreichen, nämlich 56 Gramm pro Woche. Das entspricht in etwa drei Glas Rotwein oder Bier. Schon dann lagert sich mehr Eisen in den Gehirnregionen ab, die die Gefühle, die Erinnerung und die Bewegungen kontrollieren. Sie funktionieren nur noch auf Sparflamme. Das Gehirn altert schneller. Steigt der Alkoholkonsum an, kann das Gehirn anfangen zu schrumpfen. Der Verlust an grauer Masse ist enorm – viermal größer als z.B. durch Rauchen. Und: Eine Grenze nach unten gibt es nicht. Selbst kleinste Mengen schaden also.
„Ab dem ersten Tropfen ziemlich ungesund“
Die Ernährungsmedizin kennt etwa 200 Funktionseinheiten des Körpers, die durch Alkohol negativ beeinflusst werden. Er schädigt nicht nur Schleimhäute, Nerven oder die Bauchspeicheldrüse, treibt den Blutdruck in die Höhe und macht die Haut faltiger. Er führt auch zu über 37000 alkoholbedingten Unfällen im Straßenverkehr und zur Enthemmung, zur Gewalt auf den Straßen und zu Hause. Deshalb muss es darum gehen, ein riskantes Trinkverhalten drastisch zu reduzieren – der Gesundheit und der Umwelt zuliebe. Zu Tolerieren sind gerade noch ein bis zwei Gläser Wein oder kleine Flaschen Bier pro Woche. Darüber hinaus steigt das Risiko. Da sollte die innere Ampel auf Rot springen!
Dr. Matthias Riedl ist bekannt als Ernährungs-Doc aus dem NDR-Fernsehen. Der Facharzt für Innere Medizin und Diabetologe leitet das medicum Hamburg, Deutschlands größtes Zentrum für Ernährungsmedizin und Diabetologie (medicum-hamburg.de).