
Der dübelartige Stachel bohrt sich in die Haut, und die Zecke beginnt zu saugen. Das bisschen Blut wäre zu verschmerzen. Doch nach Berechnungen der Techniker Krankenkasse (TK) infizierten sich so allein 2009 rund 800 000 Menschen mit Borreliose. Weit mehr als die 40 000 bis 80 000 Fälle, die das Robert-Koch-Institut, die zentrale Bundes-Einrichtung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention, regelmäßig meldet. Deren Daten, kritisiert die Patientenorganisation
Zecken und Borreliose
Jede fünfte Zecke überträgt Borreliose. Einen Impfstoff gibt es nicht. Der beste Schutz: Kleidung und Insektenabwehrmittel. Und: Je schneller die Tiere aus der Haut entfernt werden, desto geringer das Risiko.
Borreliose und FSME Bund Deutschland (BFBD) in Reinheim, seien völlig veraltet. Tatsächlich sind solche Zahlen unzuverlässig, solange in Deutschland keine Borreliose-Meldepflicht gilt, viele Fälle unentdeckt bleiben und es auf Ärzte- wie Patientenseite an Faktenwissen fehlt. Deshalb erklärt VITAL – in vier Phasen –, was sich jeder über Borreliose merken sollte.
PHASE 1: Ein Zeckenstich! Was jetzt?
Klein und harmlos – von wegen. Obwohl so ein Spinnentierchen nur wenige Millimeter groß und sein Stich schmerzlos ist, kann es viel Ärger machen: Je nach Region sind etwa 5 bis 40 Prozent aller Zecken mit dem Bakterium Borrelia burgdorferi infiziert, das sie beim Blutsaugen auf ihr Opfer übertragen. Es löst die gefürchtete Borreliose aus, eine Erkrankung, die den gesamten Körper erfasst und gegen die es – anders als im Fall der weit selteneren, ebenfalls von Zecken übertragenen FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) – noch keine Impfung gibt. Allerdings wird fleißig daran gearbeitet. Das Wirkprinzip: Beim Saugen von geimpftem Blut werden die Erreger in der Zecke abgetötet. Genial, doch vorerst noch Zukunftsmusik. „In zwei, drei Jahren ist aber mit einem Borreliose-Impfstoff zu rechnen“, sagt der Bonner Neurologe und Psychiater Dr. Dietrich Rosin, Mitglied der Deutschen Borreliose-Gesellschaft in Berlin. Bis dahin lauten die wichtigsten Schutzmaßnahmen: Zeckenabwehrmittel verwenden (sogenannte Repellents), lange Hosen tragen, sobald es durch Wiesen und Wälder geht, und die Haut nach jedem Spaziergang im Grünen nach Zecken absuchen. Die halten sich bevorzugt an warmen Körperstellen mit dünner Haut auf: in Kniekehlen und Achselhöhlen, im Genitalbereich und am Nacken. Kinder werden oft in Kopf und Hals gestochen. Je früher man den ungebetenen Gast entfernt, desto geringer ist die Infektionsgefahr.
Wer einen entdeckt, greift statt zur Zeckenzange besser zu einer Splitterpinzette oder einer Zeckenkarte aus der Apotheke, mit der der Blutsauger aus der Haut geschoben wird. Drehbewegungen beim Entfernen sind unnötig. Auf keinen Fall darf das Tier gequetscht werden, sonst „erbricht“ es sich und gibt dabei die Erreger an sein Opfer weiter. Auch Hausmittel wie Öl oder Klebstoff, die das Ablösen der Zecke erleichtern sollen, schaden nur. Hat das Tier noch kaum Blut gesogen, besteht nur ein kleines Risiko. Dennoch sollten Sie in den nächsten Tagen und Wochen auf mögliche Krankheitszeichen achten (siehe Phase 2).
Symptome? Sofort zum Arzt!
PHASE 2: Symptome? Sofort zum Arzt!
Die Borreliose macht es uns nicht leicht, sie aufzuspüren. Denn das typische Erythema migrans (Wanderröte) tritt nur bei 40 Prozent der Erkrankten auf. Dieser rötliche Fleck um die Einstichstelle wird später ringförmig und kann über den Körper wandern. Die übrigen Symptome sind wenig eindeutig: Erschöpfungszustände, Gelenk- und Muskelschmerzen, Vergesslichkeit, Konzentrationsschwäche. Wer solche Beschwerden feststellt und sich an einen Zeckenstich erinnern kann, sollte immer zum Hausarzt gehen. Dasselbe gilt, wenn sich bei Kindern nach einem Zeckenstich eine Wesensveränderung oder unterschwellige Aggressivität zeigt. Auch Bauch- und Kopfschmerzen können auftreten. Oft werden die Symptome als Sommergrippe verkannt.
Tipp: Rötungen nach einem Zeckenstich fotografieren. Das erleichtert die Diagnose, falls sie vor dem Arztbesuch verschwinden. Wurde kein Zeckenstich bemerkt, lassen sich die Krankheitsanzeichen noch schlechter deuten. Zwar verläuft nicht jede Borreliose schlimm. Doch bei zehn bis zwölf Prozent der Infizierten entwickeln sich mehr oder weniger ernsthafte Beschwerden, die chronisch werden können (siehe Phase 4). Nehmen Sie deshalb jeden Verdacht ernst.
Phase 3: Diagnose Borreliose
Die Zeit drängt. Das Problem: Handelt es sich um eine Borreliose, sollte innerhalb der ersten vier Wochen eine Antibiotika-Therapie beginnen – verlässliche Laborwerte liegen aber erst nach vier bis acht Wochen vor. Ein früherer Test kann eine frische Infektion nicht erfassen. Falls er etwas aufdeckt, dann nur eine Vorerkrankung. Außerdem geben die gesetzlichen Krankenkassen eine Stufendiagnostik vor: Erst wenn der relativ unsensible „ELISA-Test“ positiv ausfällt, soll der präzisere „Westernblot“, ebenfalls ein Antikörpertest, eingesetzt werden. Dieses Stufen- Vorgehen bringt selten aussagekräftige Ergebnisse, zumal auch für den Westernblot gilt: Wird zu früh getestet, lässt sich noch keine Infektion nachweisen, weil der Körper noch nicht genug Antikörper gegen den Erreger gebildet hat. Erfolgt die Blutuntersuchung zu spät, wurden die Antikörper möglicherweise schon wieder abgebaut.
Tipp: „Fragen Sie gezielt nach dem Lymphozytentransformationstest, kurz LTT, der die aktuelle Aktivität einer Borreliose misst“, rät Dr. Rosin. Er ist hierzulande noch nicht allgemein anerkannt, wird aber von der Borreliose Gesellschaft empfohlen. Er kostet die Patienten circa 160 Euro (IGeL-Leistung). Auch mit der Therapie ist das so eine Sache. Bei einem positiven Borrelien-Test wird als Standard zwei Wochen lang mit Antibiotika behandelt, meist 200 mg Doxycyclin am Tag. Das entspricht den Leitlinien der IDSA (Infectious Diseases So ciety of America), die auch für Europa Vorbildcharakter haben. „Zu kurz und zu wenig“, sagen Experten der Deutschen Borreliose Gesellschaft und berufen sich auf Untersuchungen der ILADS (International Lyme and Associated Diseases Society). Nur mit 400 mg Doxycyclin über sechs bis acht Wochen erziele man Erfolge. „Wird damit in den ersten vier Wochen nach dem Stich begonnen, können wir mit einer Heilung rechnen“, sagt Dr. Rosin. „In allen anderen Fällen wird die Borreliose chronisch.“ Das bedeutet: längere Leidenszeit, häufige Arztwechsel und die Gefahr, als Simulant oder psychiatrischer Fall eingestuft zu werden.
Problemfall späte Beschwerden
Phase 4: Problemfall späte Beschwerden
Statistisch betrachtet zeigen sich bei unentdeckter Borreliose nach rund acht Jahren Symptome. Da es sich um eine Multiorganerkrankung handelt, treten sie an den unterschiedlichsten Stellen auf, scheinen nicht zusammezugehören. Wer denkt bei Knieschmerz, Schulterschmerz, Angst und Herzrasen schon an chronische Borreliose? Bei unklaren Symptomen hilft es, auf einen früheren Zeckenstich verweisen zu können. Dann kommt ein Borreliose-Test zum Einsatz. „Der LTT und der CD-57-Test können eine chronische Borrelien-Aktivität nachweisen“, sagt Dr. Rosin. Es liegen allerdings noch keine aussagekräftigen Studien vor. Daher sind diese Tests kein Standard, Patienten müssen darauf drängen und sie meist selbst bezahlen (für den CD-57 circa 60 Euro). Die Leitlinien der Deutschen Borreliose Gesellschaft empfehlen dann je nach Schwere der Erkrankung eine zwei- bis sechsmonatige Antibiotika-Therapie. „Fordern Sie die Tests und eine bestmögliche Behandlung“, rät Dr. Rosin. Immer wieder entpuppen sich Fälle von Fibromyalgie, MS, Depression oder Rheuma als unerkannte Borreliose. Wird dann mit Antibiotika behandelt, lassen die Beschwerden nach, wenn auch nicht immer komplett.
Adressen & Tipps
Verband: Borreliose und FSME Bund Deutschland e. V. (BFBD) www.bfbd.de
Telefonische Beratung:
Mo–Do: 10 bis 12.30 Uhr
Mo und Fr: 18 bis 20 Uhr
Sa: 16 bis 18 Uhr
Telefon 01 80/5 00 69 35
Broschüre: Borreliose Wissen BASIS, 9,50 Euro (über den BFBD)
Tipp: Wer sich bei seinem Arzt nicht gut aufgehoben fühlt, sollte sich an den Borreliose Bund (siehe Kasten) wenden. Er berät und nennt Experten. Insgesamt wird die Erkrankung bagatellisiert, das Wissen der Ärzte wächst nur langsam, wirksame Tests und Therapien werden nicht anerkannt. Ein Lichtblick: Dem Beispiel der ostdeutschen Länder folgend haben das Saarland und Rheinland-Pfalz dieses Jahr eine Borreliose- Meldepflicht eingeführt. Die zu erwartenden Daten und die Zahlen der TK können dazu beitragen, diesen Missstand zu ändern.