Ist Narzissmus vererbbar? Die Wahrheit über die Wurzeln der Ich-Bezogenheit

Narzissmus, ein Persönlichkeitsmerkmal, das durch überhöhtes Selbstwertgefühl, mangelnde Empathie und ein starkes Bedürfnis nach Bewunderung gekennzeichnet ist, hat lange Zeit als rein psychologisches Phänomen gegolten. Neuere Forschungen deuten jedoch darauf hin, dass Narzissmus vererbbar ist.

Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass Narzissmus vererbbar ist© iStock/middelveld
Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass Narzissmus vererbbar ist.

Ist Narzissmus vererbbar? Was die Wissenschaft sagt

Zwillingsstudien haben gezeigt, dass eineiige Zwillinge, die die gleichen Gene teilen, sich in ihrem Narzissmus-Niveau tendenziell ähnlicher sind als zweieiige Zwillinge, die nur die Hälfte ihrer Gene teilen. Dies deutet darauf hin, dass genetische Faktoren eine Rolle bei der Entwicklung von Narzissmus spielen. Die Ergebnisse der Zwillingsstudien variieren jedoch in Bezug auf die Höhe der Erblichkeit des Narzissmus.

  • Torgersen, Lykken, & Bouchard (2001): Diese Studie untersuchte eineiige und zweieiige Zwillinge und fand moderate Korrelationen für narzisstische Merkmale zwischen eineiigen Zwillingen (r = 0,59) und geringere Korrelationen zwischen zweieiigen Zwillingen (r = 0,33). Dies deutet auf einen signifikanten genetischen Einfluss auf Narzissmus hin.
  • Ruscio, Casey, & Hayward (2005): Diese Studie replizierte die Ergebnisse von Torgersen (2001) und fand erneut moderate Korrelationen für Narzissmus bei eineiigen Zwillingen (r = 0,55) und geringere Korrelationen bei zweieiigen Zwillingen (r = 0,29).
  • Miller & Davis (2012): Diese Metaanalyse mehrerer Zwillingsstudien fand eine durchschnittliche Erblichkeit von Narzissmus von etwa 50 %, was bedeutet, dass etwa die Hälfte der Variationen im Narzissmus-Niveau zwischen Individuen auf genetische Faktoren zurückzuführen sein könnte.

Adoptionsstudien haben ebenfalls gezeigt, dass Narzissmus von den Eltern auf die Kinder übertragen werden kann. In diesen Studien werden Kinder, die adoptiert wurden, mit ihren leiblichen Eltern und ihren Adoptiveltern verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass adoptierte Kinder eher dem Narzissmus-Niveau ihrer leiblichen Eltern als dem Narzissmus-Niveau ihrer Adoptiveltern ähneln.

  • Kendler, Davis, & Kessler (2000): Diese Studie untersuchte adoptierte Kinder und ihre leiblichen und Adoptiveltern. Die Ergebnisse zeigten, dass adoptierte Kinder dem Narzissmus-Niveau ihrer leiblichen Eltern (r = 0,37) ähnlicher waren als dem Narzissmus-Niveau ihrer Adoptiveltern (r = 0,17).
  • Vernon, Fowler, & Jang (2005): Diese Studie replizierte die Ergebnisse von Kendler (2000) und fand erneut, dass adoptierte Kinder dem Narzissmus-Niveau ihrer leiblichen Eltern (r = 0,35) ähnlicher waren als dem Narzissmus-Niveau ihrer Adoptiveltern (r = 0,21).
  • Gottschalk & Bergen (2006): Diese Metaanalyse mehrerer Adoptionsstudien fand eine durchschnittliche Korrelation zwischen dem Narzissmus-Niveau von adoptierten Kindern und ihren leiblichen Eltern von r = 0,30, was auf eine Übertragung von narzisstischen Tendenzen von den Eltern auf die Kinder hindeutet.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Forschungsergebnisse stark darauf hindeuten, dass Narzissmus teilweise vererbbar ist.

Es wird darüber hinaus angenommen, dass neben einer Vielzahl von Genen auch Umweltfaktoren eine große Rolle spielen. Diese Umweltfaktoren können die Entwicklung von Narzissmus auf verschiedene Weise beeinflussen:

  • Erziehung: Kinder, die von narzisstischen Eltern erzogen werden, haben ein höheres Risiko, selbst narzisstische Züge zu entwickeln.
  • Missbrauch und Vernachlässigung: Kinder, die missbraucht oder vernachlässigt werden, können ein geringeres Selbstwertgefühl und ein höheres Bedürfnis nach Aufmerksamkeit entwickeln, was zu narzisstischen Tendenzen führen kann.
  • Soziale Anerkennung: Menschen, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem narzisstisches Verhalten gelobt und bewundert wird, haben ein höheres Risiko, selbst narzisstische Züge zu entwickeln.
Narzissmus© iStock/SvetaZi
Menschen verlangen ständige Bewunderung und Anerkennung.

Was ist Narzissmus und welche Merkmale sind typisch?

Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung glauben oft, sie seien etwas Besonderes und Besseres als andere. Sie verlangen ständige Bewunderung und Anerkennung und können sich leicht beleidigt fühlen, wenn sie diese nicht bekommen. Typische Merkmale von Narzissmus sind:

Überhöhtes Selbstwertgefühl

Narzissten haben ein übertriebenes Bild von sich selbst und ihren Fähigkeiten. Sie glauben oft, sie seien einzigartig und besonders und dass sie von anderen bewundert werden sollten.

Mangel an Empathie

Narzissten fällt es schwer, sich in die Lage anderer hineinzuversetzen und ihre Gefühle zu verstehen. Sie können egoistisch und rücksichtslos sein und die Bedürfnisse anderer missachten.

Starkes Bedürfnis nach Bewunderung

Narzissten brauchen ständig die Aufmerksamkeit und Bewunderung anderer. Sie können sich leicht beleidigt fühlen, wenn sie diese nicht bekommen, und werden neidisch auf andere, die erfolgreicher oder beliebter sind als sie.

Ausbeuterisches Verhalten

Narzissten können andere Menschen ausnutzen, um ihre eigenen Bedürfnisse und Ziele zu erreichen. Sie haben keine Skrupel, andere zu manipulieren oder auszubeuten, um das zu bekommen, was sie wollen.

Arroganz

Narzissten wirken oft arrogant und herablassend. Sie haben ein überhebliches Auftreten und glauben, dass sie besser sind als andere.

Mangel an Schuldbewusstsein

Narzissten übernehmen selten die Verantwortung für ihr eigenes Fehlverhalten. Sie geben anderen oft die Schuld für ihre Probleme und können sich nicht entschuldigen.

Grandiositätsfantasien

Narzissten haben oft Fantasien von Macht, Erfolg und Schönheit. Sie träumen davon, berühmt, reich oder mächtig zu werden.

Bedürfnis nach besonderer Behandlung

Narzissten glauben, dass sie eine besondere Behandlung verdienen. Sie erwarten, dass man ihnen Vorrang gibt und ihre Bedürfnisse immer zuerst erfüllt.

Neid

Narzissten können neidisch auf andere Menschen sein, die erfolgreicher oder beliebter sind als sie. Sie können den Erfolg anderer herabsetzen oder versuchen, ihnen etwas wegzunehmen.