Die heilende Wirkung von Musik

Mit Musik klappt bekanntlich alles besser. Den Gründen dafür kommen Wissenschaftler immer genauer auf die Spur. So können Sie sich die heilenden Töne zunutze machen.

Heilende Wirkung von Musik© Neustockimages/iStock
Heilende Wirkung von Musik
Musik hilft gegen Tinnitus© Thinkstock
Musik hilft gegen Tinnitus Nur jeder 100. Betroffene geht wegen seiner störenden Ohrgeräusche zum Arzt. Eine neue Therapie verspricht Heilung.

Katzen schnurren, wenn sie sich pudelwohl fühlen – das lernen wir schon als Kind. Ein Traum, wenn sie dabei ganz nah bei uns liegen und wir so ein wenig von ihrem Glück abbekommen dürfen. Sie zu streicheln, ihr Schnurren zu hören und die Vibration durch ihr Fell zu spüren, hat durchaus etwas Meditatives.

US-Forscher des Fauna Communications Research Institute in North Carolina haben nun herausgefunden, dass die Tiere diese Töne auch produzieren, wenn sie krank sind oder unter Stress stehen. Denn die feinen Vibrationen, die das Schnurren in einer Frequenz von 22 bis 30 Hertz auslöst, scheinen bei ihnen Verletzungen und Knochenbrüche schneller heilen zu lassen. Ob Katzen wohl deshalb sieben Leben nachgesagt werden?

Wir Menschen spüren die Verbindung zu Tönen, Klängen und Rhythmus, wenn Musik unser Innerstes berührt. Bei vielen ist es mit der Contenance vorbei, sobald in der Kirche der Hochzeitsmarsch erklingt. Läuft unerwartet unser Lieblingslied im Radio, möchten wir am liebsten mitsingen und -tanzen und haben gleich gute Laune. Oder denken Sie an Filme: Da kann die gleiche Szene im Wald einmal mit romantischer Musik untermalt zum Träumen einladen oder, wenn andere Töne erklingen, uns einen Schauer des Grauens über den Rücken laufen lassen.

Früh übt sich

Wie sehr Musik unser Leben von Anfang an begleitet und beeinflusst, erklärt Prof. Dr. Gunter Kreutz. Er lehrt Systematische Musikwissenschaften an der Universität Oldenburg: „Babys bewegen sich zu Musik und lernen dadurch besser, ihre Motorik zu koordinieren. Kleinkinder bahnen sich mit Singen und Brabbeln den Weg zum Spracherwerb. Und im Kindergarten lernen sie, mit Liedern wiederkehrende Ereignisse zu erkennen, den Alltag zu strukturieren und das Gedächtnis für diese Strukturen zu festigen.“

Die Fähigkeit, aus Schallwellen, Stimmen und Instrumenten ein Musikerlebnis zu erkennen, bildet sich bereits im Mutterleib. Der Hörsinn entwickelt sich als erster unserer Sinne. Für ein Experiment der Keele University in Großbritannien hörten künftige Mütter in den letzten drei Monaten der Schwangerschaft immer wieder dasselbe Musikstück. Erst ein Jahr nach der Geburt durften sie es ihrem Kind zum ersten Mal vorspielen. Es zeigte sich, dass die Kinder diese Lieder lieber hörten als andere, ähnliche Stücke.

Eine Neuroforscherin der kanadischen McGill University konnte das Glücksgefühl, das sich beim Hören der Lieblingsmusik einstellt – egal ob Klassik, Pop oder Rock – jetzt sogar auf einem Hirnscan sichtbar machen. In das Belohnungssystem des Gehirns strömen große Mengen des Botenstoffes Dopamin. Das passiert sonst nur beim „Genuss“ von Essen, Sex oder Drogen. Ähnliches Prinzip: Die dicken Kopfhörer, die Sportler vor einem wichtigen Wettkampf tragen, sind meist kein modisches Statement; sie hören ihre persönliche Erfolgshymne, um sich mit Dopamin-Hilfe in Siegesstimmung zu pushen.

Unser Körper liebt Musik

Musik kann also glücklich machen, traurig oder angriffslustig. Auch gesund? „Wenn uns Musik persönlich etwas bedeutet, Gefühle oder Erinnerungen weckt, uns aktiviert oder beruhigt, dann sind das psychische Vorgänge, die auch die körperlichen Systeme an wichtigen Schaltstellen beeinflussen“, sagt Prof. Kreutz. In der Heilkunde hatten musikalische und künstlerische Mittel seit jeher ihren Platz. Nur fehlte lange die wissenschaftliche Begründung. Seit einiger Zeit aber boomt das Erforschen der gesundheitlichen Auswirkungen der Musiktherapie geradezu.

Zahlreiche Studien belegen inzwischen ihren therapeutischen Nutzen: Über ihren Einfluss auf das vegetative Nervensystem setzt Musik die Muskelspannung herab, senkt Herzfrequenz und Blutdruck, beruhigt den Atemrhythmus, reduziert den Stresshormon-Gehalt im Blut und verringert das Angst- und Schmerzempfinden. „Musik ersetzt keine Medikamente“, so Prof. Kreutz, „sie kommt ihnen aber in ihrer Wirkung bisweilen erstaunlich nahe.“

Musik kann auch helfen, die Dosis der benötigten Medikamente zu reduzieren. Vor allem bei chronischen Erkrankungen sinkt damit das Risiko von Neben- und Wechselwirkungen. So fanden Neurowissenschaftler heraus, dass bestimmte Musikstücke, z. B. das „Allegro“ aus Bachs viertem Brandenburgischen Konzert oder ein fröhlicher irischer Tanz, die Cortisol-Konzentration absinken lassen, sodass Patienten während einer Operation weniger Narkosemittel benötigten.

Auch in der Schmerzmedizin nimmt die Musiktherapie mittlerweile einen festen Platz ein. Das haben die Patienten in erster Linie Dr. med. Ralph Spintge zu verdanken. Der Professor für Musikmedizin am Institut für Musiktherapie der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg und Leiter des Regionalen Schmerzzentrums an der Sportklinik Hellersen in Lüdenscheid bekam für seine Verdienste kürzlich den Deutschen Schmerzpreis verliehen.

Musik beim Sport© thinkstockphoto
Welche Musik passt zu welcher Sportart Tanzen ohne Töne? Unvorstellbar. Doch auch beim Joggen, Walken oder Schwimmen wirkt Musik wie ein Turbo auf Sportler. Vorausgesetzt, Rhythmus und Zubehör stimmen.

„Jeder Mensch ist für Musik empfänglich“, betont Prof. Spintge. Für chronische Schmerzzustände werden sogar manchmal extra Musikstücke komponiert. Aber normalerweise richtet sich die Auswahl nach den Vorlieben der Betroffenen. „Am Anfang dachten wir Ärzte, wir wüssten, was für sie gut ist. Da bekamen dann Patienten, die gerne James Last hörten, stattdessen Mozart auf die Ohren – die Wirkung war fürchterlich“, gesteht der Experte.

Der Kardiologe Prof. Dr. Hans-Joachim Trappe vom Marienhospital in Herne schreibt klassischer Musik die größte Heilwirkung auf das Herz-Kreislauf-System zu. Vor allem Kompositionen von Bach und Händel scheinen sich für die Behandlung zu eignen. Der Arzt und passionierte Organist hat 25 Stücke dieser Stilrichtung eingespielt, zu hören auf der Orgel-CD „Herztöne 2 – Musik für die Gesundheit“ (15 Euro plus Versand, www.herzstiftung.de). Die Verkaufserlöse kommen der Deutschen Herzstiftung zugute. „Interessanterweise konnten wir aber auch ein Sinken des Blutdrucks bei Heavy-Metal-Musik nachweisen“, berichtet Dr. Trappe.

Es kommt eben auch darauf an, welche Musikrichtung wir bevorzugen und mit positiven Assoziationen belegt haben. Die einen bekommen gute Laune, wenn sie eine atemlose Helene Fischer im Radio hören, die anderen schalten schaudernd auf andere Sender um. Klassik-Fans können oft mit Rock oder Techno nichts anfangen, Volksmusik-Liebhaber nichts mit Jazz und umgekehrt. Das macht es schwer, eine allgemeine Therapie zu etablieren. Die Wirkung läuft eben nicht nach Schema F ab. „Jeder Mensch ist sein eigener Experte für den persönlichen Musikgeschmack“, sagt Prof. Kreutz. Seiner Meinung nach schadet es allerdings nicht, sich auf unterschiedliche Musik einlassen zu können.

Die Aktivierung verschütteter Erinnerungen durch Musik und das Erkennen bestimmter Melodien leistet auch bei der Behandlung und Betreuung von Alzheimer- und anderen Demenz-Patienten einen wertvollen Beitrag. Gemeinsames Singen kann Aggressionen mildern und emotional stabilisieren. Das erleichtert die Pflege und bringt Lebensqualität zurück. Denn Lieder, die im musikalischen Gedächtnis der Betroffenen tief verankert sind und an schöne Zeiten erinnern, kehren wieder an die Oberfläche zurück (z. B. „Die schönsten Lieder für heitere Stunden“ aus der SingLiesel-Reihe, 29,95 Euro, im Buchhandel oder über www.singliesel.de erhältlich).

Der Rhythmus unseres Gehirns

Ein anderer Weg führt über unsere Gehirnwellen: Tief in den unendlichen Weiten unseres Bewusstseins schwingen diese elektrochemischen Impulse. Ihre Frequenz, sichtbar im EEG, verändert sich mit der Aktivität der jeweiligen Gehirnhälfte: Die tiefen, langsamen Deltawellen (unter 4 Hz, d. h. weniger als vier Impulse pro Sekunde) überwiegen in der Tiefschlafphase, Thetawellen (4,1–8 Hz) kennzeichnen einen schläfrigen, entspannten Zustand, Alphawellen (8,1–13 Hz) produziert das Gehirn bei leichter Entspannung und geschlossenen Augen. Im Alltag zeigt das Gehirn meistens Betawellen (13,1–30 Hz). Wenn wir unser Gehirn fordern, etwa beim Lernen oder anderer geistig fordernder Arbeit, pulsieren im Gehirn die sehr schnellen Gammawellen (über 30 Hz).

So weit, so neurologisch gut. Mit spezieller Rhythmus-Musik können Sie nun die Gehirnströme gezielt beeinflussen und die beiden Hirnhälften synchronisieren. Diese pulsierenden Klänge versteht das Gehirn und beantwortet sie mit einer entsprechenden elektrischen Schwingung. Grundsätzlich kann unser Gehör Töne – die nichts anderes als Schwingungen sind – erst ab einer Frequenz von 20 Hz wahrnehmen. Eine im wahrsten Sinne des Wortes „unterschwellig“ unterlegte Musik kann Sie aber in einen mentalen Zustand versetzen, der Ihnen zum Beispiel hilft, Stress abzubauen (im Frequenzbereich 0,1–11 Hz), wieder zu Kräften zu kommen (8–10 Hz), Ihre Kreativität zu steigern (6 Hz) oder besser einschlafen zu können (1,5–3 Hz).

Probieren Sie es aus: Sie können mit dieser speziellen Musik vertonte Hörbücher online auf www.vivaflow.de kaufen. vital-Leserinnen erhalten bis zum 31. Dezember 2015 lohnende 25 Prozent Rabatt (Gutscheincode: „heilsam“).

Machen Sie was. Musik!

Die heilende Wirkung der Musik entsteht nicht nur beim Zuhören. Auch Tanzen oder Musizieren und vor allem Singen kommt Ihrer Gesundheit zugute. Durch die tiefere Bauchatmung beim Singen gelangt mehr Sauerstoff in den Blutkreislauf. „Und es ist auch eine sehr effektive Methode, um den Prozess des Ausatmens zu verbessern“, erklärt Prof. Kreutz. Davon profitieren vor allem Lungenkranke. Aber nicht nur: Untersuchungen mit Chorsängern und -sängerinnen zeigen, dass sie sich nach dem Singen zum einen emotional besser fühlen und dass sie außerdem über eine stärkere lokale Immunabwehr in den oberen Atemwegen verfügen. In psychosozialer Hinsicht bringt vor allem das gemeinsame Singen viel: Bei einer Depression oder einer anderen psychischen Erkrankung finden Betroffene auf diesem Weg leichter aus ihrer Isolation heraus. Eine deutliche Stimmungsaufhellung lässt sich auch bei Bewohnern von Seniorenheimen feststellen.

Ebenfalls bemerkenswert: Bei Stotterern treten keine Störungen im Redefluss auf, sobald sie singen. Logopäden, Psychologen und spezialisierte HNO-Ärzte behandeln Stotterer daher mit speziellen Stimm- und Atemübungen, wie sie auch professionelle Sänger praktizieren.

Wenn wir tanzen, lernt das Gehirn, neue Nervenverbindungen zu knüpfen. Es fördert Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit und trainiert gleichzeitig die Koordination. Bei neurologischen Erkrankungen wie Parkinson oder multipler Sklerose kommt die Tanztherapie bereits erfolgreich zum Einsatz. Denn der vorgegebene Rhythmus hilft, die vorgegebenen Schrittfolgen motorisch einhalten zu können.

Spielen Sie ein Instrument? Dann trainieren Sie mit langfristiger Wirkung aktiv Ihr Hörzentrum im Gehirn. Auf diesem Wege können Sie die Folgen eines altersbedingten Hörverlustes ausgleichen. Nicht-Musiker leiden im Schnitt im Alter von 58 erstmals an Schwerhörigkeit, Musizierende erst mit 63.

Einfach nur genießen

Ob Sie nun lieber singen, tanzen, ein Musikinstrument spielen oder einfach nur zuhören – zusätzlich zu Spaß und Genuss kommt eine Prise Gesundheit. Umgeben Sie sich mit Klängen, Tönen, Melodien und Rhythmen, die Ihnen guttun. Wählen Sie je nach Laune. Schnelle Lieder beschwingen, langsamere helfen beim Abschalten. „Wenn Sie beispielsweise eine Ballade anhören, passiert es recht häufig, dass sich unbewusst auch die Atmung verlangsamt, vor allem das Ausatmen“, erklärt Prof. Kreutz. Der Körper reagiert darauf mit Entspannung. „Musik ist quasi ein Vehikel, um einen körperlichen Entspannungsvorgang zu unterstützen.“

Und wenn Ihnen danach ist, schalten Sie die Musik ab und lauschen Sie einfach der Stille. Oder Ihrem Herzschlag. Oder dem Schnurren einer Katze.