
Sie gehörte zu den Jüngsten der Runde, die sich an einem Juliabend 1991 um den Küchentisch der Winzerin Beate Wiedemann-Schmidt versammelt hatte. Doch auch Andrea Engler-Waibel war klar, dass etwas passieren musste. Die damals 23-jährige Önologiestudentin – eine von fünf Frauen unter 95 Kommilitonen in Geisenheim – stammte selbst aus einer Winzerfamilie und kannte die Strukturen der Weinszene genau. „Die war noch Anfang der Neunziger eine Domäne der Männer“, erinnert sie sich. „Obwohl viele Betriebe ohne die Mitarbeit der Frauen gar nicht hätten existieren können. Trotzdem blieben sie die ,Frauen von‘.
Eine ausgebildete Kellermeisterin war eine Rarität.“ Selbst wer sich als Frau in der Weinwelt behaupten konnte, stand allein da. Denn Zusammenschlüsse wie die Weinbruderschaften blieben den Männern vorbehalten. Ein Zustand, den Andrea Engler-Waibel und ihre sechs Mitstreiterinnen – eine Winzerin, eine Kellermeisterin, zwei Weinvermarkterinnen und zwei Fachjournalistinnen – nicht hinnehmen wollten. So verlief der Abend nicht nur weinselig, sondern auch produktiv: Am Ende wurde damals in Oberrotweil am Kaiserstuhl ein Verein geboren, in dem sich Frauen aus der Weinbranche austauschen, fortbilden, Kontakte knüpfen können – Vinissima. Ein Ort für Netzwerkerinnen, zu einer Zeit, als dieser Begriff noch kaum existierte.
In der Ära vor E-Mail und Facebook erwies sich das Networking dann auch als umständliche Angelegenheit. „In der Anfangsphase ging viel Zeit für das Briefe-Eintüten drauf“, sagt Andrea Engler-Waibel. Denn die Resonanz bei den Weinfrauen, die ihr Einzelkämpferinnen-Dasein satthatten, war enorm. Hatten die Gründerinnen zuerst mit 25 Mitgliedern gerechnet, waren es nach fünf Jahren schon 150. „Viele Männer be lächelten uns und dachten: ,Mal sehen, wie lange sie durchhalten‘“, erinnert sich die langjährige Schatzmeisterin des Vereins und kann selbst ein Lächeln nicht unterdrücken.
Die Skeptiker sind lange verstummt. Das Frauennetzwerk arbeitet fachbezogen. Keine Spur vom „Kaffeekränzchen mit Alkohol“, wie eine Tageszeitung nach der Gründung unkte. „Händlerin trifft Winzerin“ heißt etwa ein aktueller Workshop. Bei den Regionaltreffen geht es um Biodiversität oder ökologischen Landbau, auch mal um Nachwuchsförderung. Seit 1998 zeigt sich der Verein beim jährlichen „Vinissima-Forum“ auch in der Öffentlichkeit, um weinfachliche und frauenpolitische Themen zu diskutieren. Den brancheninternen Ritterschlag erhielt das Netzwerk zum zehnten Geburtstag: Seitdem haben die Weinfrauen einen Sitz im deutschen Weinbauverband. Inzwischen zählt Vinissima 400 Mitglieder, darunter Starsommelière Nathalie Lumpp und Spitzenköchin Lea Linster.
Heute bleibt Andrea Engler-Waibel neben dem eigenen Weingut, der Familie und ihrem Hobby, dem Singen, nicht mehr so viel Zeit für den Verein wie früher. Einen hohen Stellenwert hat das Netzwerk für sie aber nach wie vor. „Meine Kinder stöhnen zwar manchmal – der Wein ist aber neben der Familie nun mal das Topthema in meinem Leben“, sagt die Winzerin bei einem Glas Gutedel. „Deshalb bin ich froh, wenn Vinissima dazu beiträgt, dass immer mehr Frauen in dieser Branche Erfolg haben.“