Trauerbewältigung durch Sport: Das rät Psychologe Andreas Ritzenhoff

Jeder Mensch trauert auf seine eigene Art und Weise. Eine Möglichkeit, mit der Trauer umzugehen und sich langsam wieder dem Leben zuzuwenden, besteht darin, Sport als Unterstützung und Ventil einzusetzen. Der Diplom-Psychologe Andreas Ritzenhoff hat mit uns über die Rolle des Sports bei der Trauerbewältigung gesprochen.

Wenn ein geliebter Mensch stirbt, hinterlässt dies nicht nur eine Leere, sondern auch eine tiefe Trauer. Für viele Menschen ist es eine große Herausforderung, mit diesem Verlust umzugehen und wieder in den Alltag zurückzufinden. In dieser Zeit erleben wir unterschiedliche Gefühle und gehen durch verschiedene Phasen. Wie sich Trauer äußert und wie Sport dabei helfen kann, mit ihr umzugehen, erfahren Sie im folgenden Artikel.

Was ist Trauer?

Trauer ist eine komplexe emotionale Reaktion auf einen Verlust oder Abschied. Sie kann durch den Tod eines geliebten Menschen, das Ende einer Beziehung, einen Umzug, den Verlust eines Arbeitsplatzes oder andere bedeutende Veränderungen im Leben ausgelöst werden. Trauer ist eine natürliche und normale Reaktion, die uns hilft, diesen Verlust zu verarbeiten und uns anzupassen.

Wie äußert sich Trauer?

Die Art und Weise, wie Trauer zum Ausdruck gebracht wird, kann von Person zu Person unterschiedlich sein, da jeder individuell auf Verluste reagiert. Hier sind einige häufige Ausdrucksformen von Trauer:

  • Emotionale Reaktionen: Trauer kann mit starken Emotionen wie Traurigkeit, Verzweiflung, Einsamkeit, Niedergeschlagenheit, Wut, Schuldgefühlen oder Angst einhergehen. Diese Gefühle können in Wellen auftreten und sich im Laufe der Zeit verändern.
  • Körperliche Symptome: Darüber hinaus kann sich Trauer auch körperlich manifestieren. Menschen erleben beispielsweise Müdigkeit, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme, ein geschwächtes Immunsystem, Kopfschmerzen, Magenbeschwerden oder Muskelschmerzen.
  • Sozialer Rückzug: In der Trauerzeit ziehen sich manche Menschen zurück und suchen weniger soziale Interaktion. Sie können das Bedürfnis haben, allein zu sein oder Zeit mit engen Freunden und Familienmitgliedern zu verbringen, um Unterstützung zu erhalten. Einige Trauernde fühlen sich von der Außenwelt überwältigt. In solchen Momenten kann der Rückzug helfen, emotionale Überlastung zu vermeiden.
  • Weinen: Das Weinen ist eine häufige Reaktion auf Trauer. Es kann sowohl in der Privatsphäre als auch in sozialen Situationen auftreten und eine erleichternde Wirkung haben.
  • Verändertes Verhalten: Trauernde können Verhaltensänderungen zeigen, wie zum Beispiel Appetitveränderungen, Schlafstörungen, geringes Interesse an Aktivitäten, die sie zuvor genossen haben, Schwierigkeiten bei der Konzentration oder Entscheidungsfindung.
  • Spirituelle Suche: Manche Menschen suchen in Zeiten der Trauer nach Trost oder Sinngebung in religiösen oder spirituellen Überzeugungen und Praktiken.

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Tennisspieler© Unsplash/J. Schiemann
Sport kann für manche Menschen eine hilfreiche Bewältigungsstrategie während der Trauer sein.

Interview mit Diplom-Psychologe Andreas Ritzenhoff

Vital.de: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, um mit uns zu sprechen. Um direkt einzusteigen, wie kann Sport Menschen dabei helfen, die eigene Trauer zu bewältigen?

Dipl.-Psychologe Andreas Ritzenhoff: Hinterbliebene fühlen sich im Trauerprozess oder nach dem Verlust eines geliebten Menschen häufig hilflos und ohnmächtig, da sie sich dem Abschied ausgeliefert fühlen. Sportliche Betätigung kann dabei helfen, wieder ins Leben zurückzufinden. Einerseits lenkt der Sport selbst von den Gefühlen der Hilflosigkeit und den Ohnmachtsgefühlen ab, aber vor allem ermöglicht er auch eine neue Wahrnehmung des eigenen Körpers. Die trauernde Person hat verstärkt wieder das Gefühl, handeln zu können und Kontrolle zu gewinnen.

Sport besitzt zudem auch eine soziale Komponente. Während der Trauerphase berichten viele Menschen von Gefühlen der Einsamkeit und Isolation. Sport kann dazu beitragen, auf niederschwellige Weise über körperliche Aktivität in Kontakt mit anderen Menschen zu treten. Sportveranstaltungen sind oft auch soziale Ereignisse, bei denen Menschen gemeinsam Sport treiben und soziale Kontakte knüpfen können. Dadurch können neue Verbindungen entstehen. Dies kann besonders hilfreich sein, wenn die verstorbene Person eine sehr wichtige Rolle im Leben der trauernden Person hatte.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Sport dazu beitragen kann, Stresshormone abzubauen. Dies kann zu einer Stimmungsaufhellung und Entspannung führen.

Natürlich steht die Freude an der Aktivität im Vordergrund, wenn es darum geht, Sport zur Bewältigung von Trauer einzusetzen. Gibt es jedoch bestimmte Sportarten, die sich besonders dafür eignen? Wenn ja, welche sind das und warum?

Je nachdem. Das hängt natürlich davon ab, welche Art von körperlicher Aktivität einem persönlich liegt. Generell kann man aber sagen, dass insbesondere ruhige Ausdauerbelastungen förderlich für einen stimmungsaufhellenden Effekt und die Selbstwahrnehmung sind. Es spielt dabei keine große Rolle, ob man schwimmt, joggt, wandert oder Rad fährt.

Für diejenigen, die mehr von sozialer Interaktion profitieren, kann es möglicherweise sinnvoller sein, in der Gruppe Sport zu treiben. Auch hier spielt es keine Rolle, ob es sich um Mannschaftssportarten oder Lauftreffs handelt. Wichtig ist, dass man die Möglichkeit hat, sich mit anderen auszutauschen und gemeinsam aktiv zu sein.

Könnte man so weit gehen und behaupten, dass Sport ein Antidepressivum ersetzen kann?

Es gibt Forschungsergebnisse, die darauf hinweisen, dass Ausdauersport eine stimmungsaufhellende und antriebssteigernde Wirkung haben kann, ähnlich der Wirkung von Antidepressiva oder Psychotherapie. Es wird sogar angenommen, dass eine Kombination aus Sport und anderen Behandlungsansätzen besonders effektiv sein kann, da sie sich gegenseitig unterstützen. Nicht umsonst wird Ausdauersport oder Walking als fester Bestandteil in psychiatrischen Kliniken für die Behandlung von Depressionen eingesetzt.

Trotzdem muss man sehr individuell gucken, was der betroffenen Person hilft. Denn genauso wie nicht alle Menschen von Antidepressiva profitieren, profitiert auch nicht jeder Mensch gleichermaßen von Ausdauersport.

Ab wann sollte man als Trauernder auf Sport verzichten oder gibt es bestimmte Risiken oder Vorsichtsmaßnahmen, die beachtet werden sollten, wenn man Sport als Mittel zur Trauerbewältigung nutzt?

Sport kann manchmal auch als Medium verwendet werden, um der Trauer davonzulaufen. In solchen Fällen kann es sein, dass die Bewegung sich eher negativ auf das allgemeine Wohlbefinden auswirkt. Wenn Sport zu exzessiv oder unter zu viel Druck betrieben wird, kann dies zusätzlichen Stress verursachen.

Ansonsten würde ich von Sport abraten, wenn eine akute Suizidalität besteht. Wenn jemand in solch tiefer Trauer ist, dass er oder sie keinen Sinn mehr im Leben sieht und mit Selbstmordgedanken spielt, kann Sport möglicherweise nicht ausreichend sein, um diese Situation zu bewältigen. Darüber hinaus kann Sport dann eventuell auch dazu dienen, im Affekt zu handeln. Dies ist aber eher selten der Fall.

Kinder können Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle in Worte zu fassen, insbesondere wenn sie noch sehr klein sind. Können Kinder Sport ebenfalls als Trauerbewältigung nutzen?

Kinder verarbeiten in erster Linie viel über die Bewegung und das Spielen. Ich würde immer sehr genau darauf achten, was der Impuls des Kindes ist und was es braucht. Versucht es, die seelische Stimmung durch Bewegung auszudrücken? Dann wäre eine Sportart gar nicht so schlecht. Zieht es sich jedoch eher zurück und spielt lieber mit Lego, dann ist es vielleicht eher das Spielen, was zur Verarbeitung der Trauer helfen kann. In der Zeit der Trauer, in der alles plötzlich anders ist, kann es für Kinder schwierig sein, eine neue Sportart, mit einem neuen Trainer und neuen sozialen Kontakten zu beginnen.

Haben Sie allgemein weitere Empfehlungen oder Hinweise für Menschen, die sich in einer Trauersituation befinden?

Zuerst einmal ist es wichtig, sich selbst Zeit zu geben und nicht zu erwarten, dass der Trauerprozess zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen sein muss. Trauer benötigt seine eigene Zeit. Jeder Mensch trauert aufgrund kultureller und persönlicher Unterschiede auf seine eigene Art und Weise. Es geht vielmehr darum, einen individuellen Umgang mit der Trauer zu finden. Es kann hilfreich sein, sich mit anderen auszutauschen und über die Gefühle zu sprechen. Andererseits kann es auch wichtig sein, sich selbst zu spüren und achtsam mit den eigenen Emotionen umzugehen. In solchen Fällen können Yoga oder körperliche Bewegung eine gute Idee sein.

Oftmals kann es Menschen helfen, wieder zu ihren alten Hobbys zurückzufinden, die sie vor der Trauer hatten. Ob eine Person, die trauert, therapeutische Unterstützung benötigt, hängt davon ab, ob sie das Gefühl hat, selbst und durch den Kontakt mit Freunden und Bekannten angemessen mit ihrer Trauer umgehen zu können. Wenn es jedoch zu stagnierenden Prozessen mit hohem Leidensdruck kommt, kann dies ein Zeichen dafür sein, sich Hilfe von Außen zu holen.

Hier finden Sie Hilfe

Es gibt verschiedene Organisationen, die bei der Trauerbewältigung helfen. 

  • Bundesverband Trauerbegleitung e.V.: Der Bundesverband Trauerbegleitung ist ein Netzwerk von professionellen Trauerbegleitern und -beratern in Deutschland. Sie bieten Informationen, Weiterbildungen und Unterstützung für Trauernde und Fachkräfte in der Trauerbegleitung an.
  • Trauerland e.V.: Trauerland ist ein gemeinnütziger Verein mit Hauptsitz in Bremen, der sich auf die Unterstützung von trauernden Kindern, Jugendlichen und deren Familien spezialisiert hat. Sie bieten Trauergruppen, Einzelberatung und Workshops an verschiedenen Standorten in Deutschland.
  • Die Caritas: Die Caritas ist eine katholische Wohlfahrtsorganisation, die in Deutschland zahlreiche Dienste und Hilfsangebote bereitstellt, einschließlich Unterstützung für Menschen in der Trauer. Die Caritas bietet verschiedene Formen von Trauerbegleitung und -beratung an, sowohl für Einzelpersonen als auch für Familien.