
Der Duft nach frischem Kaffee oder nach noch warmem, selbst gebackenem Brot – herrlich! Die Brise von Salz und Sonne in der Meeresluft – geniales Sommerfeeling! Gerüche, Düfte und Aromen begleiten uns ein Leben lang. Noch vor allen anderen Sinnen bildet sich unser Riechsinn im Mutterleib aus. So kann ein Säugling seine Mutter schon drei Stunden nach der Geburt am vertrauten Geruch erkennen. Und 90 Prozent der Mütter sind nach einer Stunde in der Lage, ihr Baby anhand seines Dufts zu identifizieren. Doch unsere Nase kann noch mehr. Wie entscheidend sie Stimmungen und Verhaltensweisen prägt, hat die Wissenschaft erst seit kurzem im Blick. Dr. Rachel Herz, Geruchs-Expertin an der Brown University in Rhode Island, USA, erklärt spannende Erkenntnisse der Riechforschung.Dass viele ätherische Öle einen heilsamen Effekt haben, ist durch Studien ausreichend belegt. Aber können Gerüche auch Krankheiten hervorrufen? Bei giftigen und allergieauslösenden Substanzen ist das keine Frage. Aber wie sieht es mit Allerweltsgerüchen aus?
Wirkung von schlechten Gerüchen
»SCHLECHTE GERÜCHE KÖNNEN BESCHWERDEN HERVORRUFEN«
Eine Reihe geruchsinduzierter Gesundheitsbeschwerden ohne medizinisch sichtbare Anzeichen werden unter dem Sammelbegriff „multiples Chemikalienunverträglichkeitssyndrom“ (MCS) zusammengefasst. Die Betroffenen klagen über so unterschiedliche Beschwerden wie Erschöpfung, Kopfdruck, Schwindel, Gliederschmerzen, Herzrasen oder Atemnot. „Als Auslöser werden alltägliche Duftstoffe genannt, die andere durchaus als positiv empfinden, etwa Fruchtaromen oder Parfüm“, sagt Dr. Herz.
Ob es sich beim MCS um eine echte Krankheit handelt, ist umstritten. Fest steht: Aus ärztlicher Sicht sind MCS Patienten körperlich gesund. Da etwa 75 Prozent der Betroffenen auch unter psychischen Problemen wie Angststörungen leiden, liegt eine psychologische Erklärung nahe. Aber was ist mit den restlichen 25 Prozent? In ihrem Testlabor untersuchte Dr. Herz, wie stark Düfte mit positiven und vor allem negativen Erlebnissen verknüpft sind. Ihr Ergebnis: „Ein Geruch kann die gleichen Emotionen auslösen wie die ursprüngliche Situation.“ Es spricht also vieles dafür, dass nicht die Düfte an sich krank machen. Sie stoßen nur eine gelernte Reaktionskette an.
Momente, in denen unsere Nase besonders sensibel reagiert
WUNDERWELT DES RIECHENS
- Der Mensch kann mehr als 10 000 verschiedene Düfte wahrnehmen. Riechzellen im Naseninneren, dem Nasendach, nehmen winzige Duftbestandteile aus der Luft auf. Über Nervenbahnen werden entsprechende Signale an das Gehirn geleitet.
- Die Gehirnbereiche im limbischen System, die Gerüche und Gefühle verarbeiten, sind eng miteinander verbunden. Deshalb sind die Wechselwirkungen auch so stark. Gerüche aktivieren die Amygdala, unser Emotionszentrum im Gehirn. Das konnten bildgebende Verfahren zeigen.
- Mit speziellen Untersuchungsmethoden kann der HNO-Arzt das Riech- und Schmeckvermögen prüfen. Unter Umständen werden dafür die Hirnströme während verschiedener Geruchsreize gemessen. In Einzelfällen helfen Röntgenaufnahmen der Nebenhöhle, CT-Bilder des Schädels und neurologische Tests bei der Diagnosestellung.
- BUCH-TIPP: Rachel Herz: „Weil ich dich riechen kann“, Herbig, 268 Seiten, 19,95 Euro
Grundsätzlich können Männer und Frauen gleich gut riechen. Doch das weibliche Geruchsvermögen schwankt während des Zyklus. Um die Zeit des Eisprungs ist der Geruchssinn besonders gut entwickelt, „denn dann gilt es, den biologisch bestmöglichen Partner auszuwählen“, erklärt die Biologin und Psychologin. Studien der Universität Bern haben gezeigt, dass Frauen den Geruch von Männern bevorzugen, die ein möglichst anders geartetes Immunsystem haben als sie selbst. Das bietet dem Nachwuchs optimale Chancen, Krankheiten und Umweltbelastungen unbeschadet zu überstehen. Was wir also für magische Anziehungskraft oder Liebe auf den ersten Blick halten, ist zumindest auch eine Sache der Körperchemie. Geprägt vom archaischen Programm, das Überleben der Art zu sichern – und geleitet von unserem unbestechlichen Geruchssinn.
Riechstörungen und ihre Folgen
»EINIGE ERKRANKUNGEN GEHEN MIT EINEM VERLUST DES RIECHVERMÖGENS EINHER«
Ein Riechtest zur Diagnose? Möglicherweise könnte genau dieser Ansatz dabei helfen, in Zukunft degenerative Erkrankungen des Nervensystems wie Alzheimer oder Parkinson früh zu erkennen und zu behandeln. Und zwar bevor sich typische Krankheitszeichen wie Gedächtnisverlust oder motorische Störungen zeigen. Untersuchungen ergaben, dass bei bis zu 80 Prozent der Betroffenen schon im Frühstadium eine Einschränkung des Riechvermögens auftritt. Eine Studie der Chicagoer Rush University kam zu dem Schluss: Je stärker die Riechbehinderung, desto ausgeprägter sind später die Hirnveränderungen. Riechstörungen, die durch Atemwegsinfekte, allergischbedingte Entzündungen im Nasenraum, Polypen oder eine schiefe Nasenscheidewand entstehen, können das Riechvermögen ebenfalls mindern. Erst wenn die Ursache – etwa durch Medikamente oder eine Operation – behoben ist, werden Düfte wieder intensiver wahrgenommen. Oft hilft Kortison, das abschwellend und entzündungshemmend wirkt. In manchen Fällen bleibt eine Beeinträchtigung zurück. Dann nützt unter Umständen ein Riechtraining: Durch gezieltes Wahrnehmen bestimmter Düfte können die Riechzellen neue Nervenfasern ausbilden.
Ganz anders verhält es sich bei Migräne-Patienten, die kurz vor und während einer Attacke besonders sensibel auf Gerüche reagieren. Hier normalisiert sich die Sinneswahrnehmung nach dem Anfall schnell wieder. Schwierig wird es bei Sport- oder Verkehrsunfällen: Sind für den Geruchssinn wichtige Nervenbahnen infolge einer Schädelverletzung geschädigt, lässt sich das Riechvermögen unter Umständen nicht wiederherstellen.
Weitere Auslöser für Riechstörungen können Diabetes, Bluthochdruck, Schilddrüsenunterfunktion, aber auch einige Medikamente sein. Rund 5 Prozent der Bevölkerung, so aktuelle Schätzungen, leiden an einem Verlust des Geruchssinns (medizinisch: Anosmie), dem keine chronische Erkrankung der Nase zugrunde liegt.
Zusammenhang zwischen Geruchssinn und Psyche
»RIECHSTÖRUNGEN KÖNNEN PSYCHISCHE PROBLEME NACH SICH ZIEHEN«
Die Unfähigkeit, die Umwelt zu riechen, vertraute Menschen und Situationen auch über ihren Duft wahrzunehmen, wirkt sich bei den Betroffenen oft massiv auf die Lebensqualität aus. Dr. Herz spricht von einem „negativen Dominoeffekt auf die gesunden Funktionen des emotionalen Systems“. Bleibt die Stimulation der Amygdala (siehe Kasten links) durch die Riechzellen aus, leidet ihre Funktionsfähigkeit. Sie kann sogar schrumpfen. Nicht selten sind Depressionen, die ärztlich behandelt werden sollten, die Folge. Denn die typischen Symptome von Antriebsarmut über Schlaf- und Konzentrationsstörungen bis hin zu Suizidgedanken nehmen ohne Therapie meist zu. Umgekehrt beeinflusst die Gefühlswelt auch unsere Nase. Untersuchungen haben gezeigt, dass schwer Depressive oft nicht in der Lage sind, Duftstoffe in normaler Konzentration wahrzunehmen. Durch die Behandlung mit Antidepressiva lässt sich dieser Zustand aber verbessern.
»LÄSST DER GERUCHSSINN NACH, ÄNDERT SICH OFT AUCH DAS GEWICHT«
„Speisearomen regen den Appetit an“, sagt Dr. Herz. Denn Geschmack und Geruch sind untrennbar miteinander verbunden. Geht der Geruchssinn verloren, schwindet oft auch das Gefühl für normale Essensmengen und -intervalle. Wer nicht riechen kann, was er isst, empfindet alles als fad. Und wer Mahlzeiten nicht mehr genießen kann, isst oft automatisch weniger. Außerdem können Speisearomen auch ihre Funktion als Gedächtnisstütze – nach dem Motto „Achtung, jetzt ist mal wieder Zeit, etwas zu essen!“ – nicht mehr erfüllen. Dieses Problem stellt sich für viele ältere Menschen, wenn ab dem 65. Lebensjahr das Riech- und Geschmacksempfinden immer mehr nachlässt. Es gibt aber auch Personen, die wahllos Nahrung in sich hineinschaufeln, wenn Nase und Zunge keine Rückmeldung mehr geben. Mit etwas Disziplin und dem Einführen von bewussten Essenszeiten lassen sich diese Gewichtsschwankungen aber in den Griff bekommen.