
Gitte hat es gut. Die ist über 40, genau wie ich, trotzdem weiß sie, wo sie zum Tanzen hingehen kann. Ins Fernsehen. Sie braucht dazu nicht mal einen Cowboy als Mann, sondern sie bekommt einen vor die Füsse gestellt. Der heißt Gennady Bondarenko und könnte ihr Sohn sein – wenn sie ihn als späte Erstgebärende zur Welt gebracht hätte. Berühmt ist er auch noch, ungefähr so berühmt wie Sängerin Mandy Capristo, 21, oder „DSDS”-Dritter Ardian Bujupi, 20.
Woher ich das alles weiß? Seit einigen Jahren habe ich abends viel Zeit für TV-Trash wie „Let’s Dance“, was unter anderem daran liegt, dass ich selbst nicht mehr tanzen gehe, sondern nur noch anderen dabei zuschaue.
Dabei gehörten rhythmische Fußbewegungen jahrzehntelang zu meinem Leben. Mir ging es nicht um komplizierte Drehungen und die silberne Anstecknadel des Tanzlehrerverbandes. Es sei denn, ich brauchte einen Vorwand, beim blond beschnäuzten Barmann der Tanzschule Fritz eine Cola light zu bestellen. Tanzen war Ausdruck eines Lebensgefühls, Ventil für Drama, Liebe, Wahnsinn: Hüften schwingen, Hände in die Luft werfen und lauthals „I will survive!“ schmettern. Erst recht, wenn Rolf aus der 11 b seit drei Tagen nicht angerufen hatte.
Zwischen 20 und 30 summten wir höchstens noch beim Après-Ski in Saalbach-Hinterglemm die Texte mit und wippten sparsam zu Drum’n’Bass und Trip-Hop. Immerhin: Wir wippten noch.
Irgendwann in den 90ern, während einer Woche in New York, fiel mir in einem Liveclub eine Frau auf: klein, rundlich, sicher über 50. Sie hatte die Schuhe ausgezogen und schwofte selbstvergessen. Ich dachte: So will ich auch werden, wenn ich groß bin. Einfach nicht aufhören zu tanzen. Es kam anders.
Tanzen in New York
Mein Mann kann nichts dafür. Er ist zwar erklärter Nichttänzer und hat nur bei unserer Hochzeitsparty eine fünfminütige Ausnahme gemacht (die nächste kommt bei der Hochzeit unserer Tochter). Aber habe ich je einen Mann zum Tanzen gebraucht? Nein.
Das Problem sind die Orte. An der Tür cooler Clubs werde ich gefragt, ob ich meine halbwüchsigen Kinder suche (die ich noch nicht habe). Wo meine Schwiegereltern hingehen, müsste ich vorher zwei Standard- und drei Lateinkurse machen, um mich nicht zu blamieren. Beim „Mantra Dance“ im Yogazentrum könnte ich zwar mitsingen wie früher, aber „Oh Shanti“ schmettert sich nicht so gut wie „I’m too sexy for my shirt“.
Bleibt nur noch das Kindertanzen. Henri, 3, ich und die anderen Kinder hüpfen im Kreis und keuchen „Jetzt kommt das singende Känguru!“. Die Papas hinter der gläsernen Saaltür haben dabei mindestens so viel Spaß wie bei einer ganzen Staffel „Let’s Dance“. Aber: Seit einiger Zeit besteht wieder Hoffnung. Meine Hoffnung heißt Helen, ist sechseinhalb und mag Peter Fox und Adele. Da kann noch was draus werden. Manchmal wippen wir durchs Wohnzimmer, und sie singt dazu: „Ich hab 20 Kinder, meine Frau ist schön“.
Wenn ich Mitte 50 bin, ist sie im besten Ausgeh-Alter. Ich habe mir vorgenommen, ihr dann einen Trip nach New York zu schenken. Mit einer einzigen Auflage: einmal mit Mama nach einem coolen Liveclub auf der Lower East Side suchen. Dort werde ich meine Schuhe ausziehen und die ganze Nacht tanzen. Hart für Helen, aber da muss sie durch. Kommt ja nicht ins Fernsehen.