Eine bevorstehende Prüfung, eine berufliche Herausforderung oder ein Streit mit einem Partner – all dies sind Situationen, in denen wir uns ein starkes Nervenkostüm und mentale Power wünschen. Manche Personen scheinen Stress, Probleme oder Sorgen leicht wegstecken zu können und wirken unerschütterlich. Andere Menschen hingegen fühlen sich komplett überfordert und wissen nicht, wie Sie mit diesen Schwierigkeiten umgehen sollen. Dabei kann jeder mental wachsen und seine Leistungsfähigkeit verbessern, meint Autorin, systemischer Coach und Gedächtnistrainerin Lena Wittneben.
Liebe Frau Wittneben – bitte beschreiben Sie einmal, was man unter „mentaler Stärke“ eigentlich genau versteht.
Als mental stark würde ich jemanden bezeichnen, der sich seiner Selbstwirksamkeit bewusst ist und seine Gedanken, Vorstellungskraft und daraus resultierenden Handlungen positiv zum eigenen Wohl einzusetzen und zu lenken vermag. Kurz gesagt: Nutze und vertrau der Kraft Deiner Gedanken und Vorstellung.
Die Karriere verfolgen, 10 Kilo abnehmen oder ein sportliches Ziel erreichen – für all das braucht man Willenskraft. Kann man sagen, dass überhaupt nur mental starke Menschen etwas im Leben erreichen?
Das halte ich für absolut vermessen. Was etwas 'im Leben erreichen' bedeutet, definiert jeder für sich selbst – und das ist auch gut so. Wichtig ist, sich vorab ganz ehrlich im stillen Kämmerlein und in innerer Klausur zu fragen, WOZU ich denn z.B. 10 Kilo abnehmen möchte oder die nächst höhere Position in meiner Firma erreichen will.
Solange wir nicht die wirkliche Motivation hinter unseren Vorsätzen hinterfragen, bleibt jedes Ziel ein Fähnlein im Wind. Ist es ein tiefer Wunsch nach einer neuen Partnerschaft, der mit der Vorstellung verbunden ist, nur als fitter und schlanker Mensch auf dem Single-Markt attraktiv zu scheinen? Dann wäre der Gang ins Fitnessstudio mit Personal-Training und Gewichtsreduktion vermutlich wenig zielführend.
Wenn wir uns unserer eigentlichen Motivation bewusst sind können wir unsere Willenskraft wie einen Muskel trainieren. Dabei hilft es uns, die eigenen Auslösereize zu erkennen und die sogenannte Komfortzone zu verlassen. Strategien für schwache Momente zu entwerfen, Etappensiege zu belohnen und unsere Ziele 'smart' zu planen, also spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und zeitlich terminiert.

Was ist das Geheimnis von mental starken Menschen und wie können andere Menschen lernen, sich besser zu fokussieren oder diese Willenskraft zu entwickeln?
Ich glaube weniger an Geheimnisse. Wie erwähnt: Unsere Willenskraft können wir ALLE mit einem starken 'WOZU' wie einen Muskel trainieren. Wichtig sind meines Erachtens einen festen Plan zu haben, der greift, wenn wir zwischendurch die Kraft, Lust und den Mut verlieren. Was können wir bewusst tun, wenn die Verlockungen zu groß werden und garstige Schweinehunde im Rudel auftauchen?
Erfolgversprechend ist die 'wenn – dann' Strategie. Anstelle von Ausreden legen wir uns von Anfang an schriftlich einen Plan B zurecht und fixieren diesen gut lesbar an einem prominenten Ort in der Wohnung oder im Büro. Wenn nach Feierabend das Sofa eine geradezu magnetische Ausstrahlung auf uns hat, lesen wir uns laut unsere Motivationsstrategie vor: 'Wenn ich zu lustlos bin, um zum Sport zu gehen, drehe ich meinen Lieblingssong auf volle Lautstärke und gehe aus dem Haus zum Training'. Oder: 'Sobald ich Heißhunger auf Chips und Schokolade bekomme, schaue ich mir meine alten Fotos mit meiner Wunschfigur an, stelle mir alle Vorteile von meinem gesunden und schlanken Körper vor und trinke ein großes Glas Wasser.'
Ein weiterer Erfolgsgarant und Beschützer der guten Vorsätze: Vorbilder und Verbündet suchen. Wer sich am Vorabend verbindlich zur Laufrunde am Samstagvormittag verabredet, ist dazu angehalten, zu seinem Wort zu stehen. Und der vermeintlich banalste Tipp: Sofort loslegen. Der Anreiz der kurzen Dauer wirkt und sobald wir im Tun sind, hören wir erfahrungsgemäß ohnehin nicht auf .
Mental stark zu sein ist ja grundsätzlich positiv behaftet, denn man soll ja seine Stärken in die richtigen Bahnen lenken und gut für sich nutzen. Man bewundert Menschen, die eine eiserne Willenskraft haben und scheinbar jedes Ziel erreichen. Gleichzeitig kommen sie einem manchmal etwas roboterartig vor, wenn nicht sogar unsympathisch. Sind die Grenzen zum Narzissmus eigentlich fließend oder muss man das völlig unabhängig voneinander einordnen?
Das kann ich nicht beurteilen. Persönlich glaube ich an Erfolg und Balance OHNE SelbstoptimierungsWAHN – das ist mein persönliches Credo auch in meinen Coachings, Workshops und Vorträgen.
„Bigger, better, faster, more“-Attitüden gilt es nicht zu bewerten: Disziplin, Verbesserungen, Vereinfachen, Zeitersparnis und hochgesteckte Ziele sind bewundernswert und bringen uns in die Aktivität. Nur häufig reichen im Alltag bereits kleine Kurskorrekturen, um fernab des Wahns zur Selbstoptimierung mehr Ausgeglichenheit und persönlichen Erfolg zu genießen. Die vermeintlich banalen Impulse beinhalten oft das größte Potenzial für mehr Wohlbefinden. Ich glaube nicht, dass wir alles tracken müssen…
Was sind Ihre 5 ultimativen Tipps, für mehr mentale Stärke?
1. Einplanen von regelmäßigen Ruhezeiten, Pausen und 'Dingen', die mir gut tun, Freude bereiten und Kraft schenken.
2. Gut für mich sorgen: ausreichend schlafen, Wasser trinken und mich gut ernähren, bewegen, an der frischen Luft sein, Neues lernen, Routinen durchbrechen, Monofokus.
3. Täglich beispielsweise drei Dinge notieren, die mir gut gelungen sind – das muss nicht zwingend eine Meisterleistung im Job oder ein Mammutprojekt sein. Haben wir zum Beispiel voller Stolz unser erstes eigenes Brot gebacken ist das ein voller Erfolg!
4. Mich mit positiven Menschen umgeben, anstatt mir von Jammerlappen und Opferlämmern die Energie rauben zu lassen.
5. Dankbarkeit für das eigene Leben und das wir hier in Frieden, Freiheit und viele von uns in 'Fülle' leben können. Ein Luxus, der nur wenigen Menschen auf unserem Planeten gegeben ist.
Interview: Tanja Seifert
Weitere Übungen für ein mentales Training:
Meditation und Yoga
Um mental gefestigt zu sein, bedarf es jede Menge Ruhe im Geist. Dies können Sie idealerweise beim Meditieren und Yoga erlernen. Sie nehmen bewusst das Hier und Jetzt wahr und erfahren verschiedene Entspannungsübungen.
Achtsamkeitsübungen
Einen wachen Geist trainieren Sie ebenfalls mit Achtsamkeitsübungen, bei denen Sie sich ganz gezielt auf eine bestimmte Sache konzentrieren. Nutzen Sie zum Beispiel alle Ihre Sinne, wenn Sie essen oder nehmen Sie beim Laufen genau wahr, wie sich Ihre Beine anfühlen oder wie Ihr Gang ist.
