
Wir haben einen alten Freund, der heißt Rob und ist Amerikaner. Rob lebt im Mittleren Westen und sieht aus, als könnte er mit der rechten Hand ein Lasso nach einer einjährigen Stute werfen, während er mit links ein Kälbchen aus der Falle eines Wilderers befreit. Aber beim Stichwort Abenteuer denkt Rob nicht an Rodeo. Sondern ans Autofahren, „the German way“.
Das geht so: Klimaanlage aus, Fenster runter, Ellenbogen raushängen lassen. Mein Mann hat ihm das vor Jahren gezeigt, irgendwo zwischen den Maisfeldern von Illinois. Wir kennen das noch von früher, als in Deutschland nur Firmenbosse mit klimatisierten Autos herumfuhren und alle anderen bei Hitze kurbelten. Unsere amerikanischen Freunde haben schon als Kinder in einer temperierten Welt gelebt. Ziemlich komfortabel. Schön langweilig.
Unser Umfeld
Doch während die Welt um uns herum zu einem zunehmend unsicheren Ort wird, die Halbwertszeit von Jobs und Beziehungen sinkt und Omas Häuschen an Wert verliert, verfallen wir einem Sicherheitskult, der manchen Überwachungsstaat alt aussehen lässt. Wir regulieren Büros von Januar bis Juli auf die gleiche Temperatur und tragen Fahrradhelm selbst zur Feld-Wald-und -Wiesentour. Wir wissen nicht mal mehr, wie man eine Fahrt ins Blaue macht – ständig will das Navi wissen, wo es hingehen soll.
Schlimm vom Sicherheitswahn infiziert sind Menschen mit Kindern, eine ganze Industrie lebt davon: Schutzgitter für den Herd, Handy-Ortungssysteme für den Schulweg, Kinder-Ganzkörperanzüge gegen UV-Strahlung.
Kein Witz: Laut einer aktuellen Umfrage halten 43 Prozent aller Mütter und Väter diese Wurstpellen für unverzichtbar. Nicht etwa bei einem Trip nach Australien, sondern im Freibad in Flensburg. Ich fühle mich schon wie eine Kreuzung aus Rebellin und Rabenmutter, wenn ich meine Kinder halbnackt am Nordseestrand planschen lasse. Damit sie spüren, wie sich das anfühlt: Sand auf der Haut, Sonne auf den Schultern.
Damit wir uns richtig verstehen: Ich bin natürlich nicht gegen alles, das unser Leben sicherer oder gesünder macht. Meine Kinder tragen Rollschuh-Knieschutz und Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor, ich genieße rauchfreie Bars. Aber so eine ganz kleine Dosis Unbekümmertheit, die wünsche ich mir schon manchmal. Gerade im Sommer. Autofenster runter, ohne dass mein inneres Eltern-Ich sofort loskeift: „Kind, du kriegst Zug!“ Nachts um vier zu Fuß durch irgendeine Altstadt im Süden zurückschlendern zum Hotel, obwohl die Nachbarin im Flugzeug wortreich von ihrem letzten Taschendiebstahl erzählt hat. Oder am Elbstrand eine Flasche Wein kreisen lassen, während über den Hafenkränen die Sonne aufgeht. Das mit dem Wein am Elbufer findet Rob übrigens besonders cool. In den USA wäre das illegal, außerdem werden die Strände um 22 Uhr geschlossen. Wenn sich dann noch einer nähert, wird er von einem Sicherheitsmann mit Taschenlampe abgewimmelt.
Übrigens: Alles ist relativ. Während Deutsche sich über ängstliche Amerikaner wundern, schütteln Spanier den Kopf über Deutsche. Als ich vor einigen Jahren bei einer Bekannten in Sevilla im Auto nach dem Gurt griff, erntete ich einen beleidigten Blick: „Vertraust du mir etwa nicht?“ Angeschnallt habe ich mich trotzdem. Aber mit heruntergelassener Scheibe.