"Wir sind neidisch, weil wir Sehnsüchte haben"

"Wir sind neidisch, weil wir Sehnsüchte haben"

Neid als Treibstoff sehen, der unser Leben verändert – das klingt gut. Andrea Patzer, Psychologin, Coach und Psychotherapeutin aus Hamburg sagt, wie wir das im Alltag umsetzen und negativen Gefühlen den Boden entziehen.

Goldfische im Glas© iStockphoto
Goldfische im Glas

VITAL: Was hilft, wenn mich ein Neidanfall übermannt?
Andrea Patzer: Zuallererst sich eingestehen, neidisch zu sein. Dieses Gefühl annehmen. Das heißt nicht, dass man Neidimpulse auslebt. Wenn eine Bekannte z. B. erzählt, dass sie heiratet, sollten Sie giftige Kommentare zurückhalten.

Wie kann ich Neidgefühle schnell lindern?
Sagen Sie sich folgenden Notfallsatz vor oder denken Sie ihn bewusst: „Die beneidete Person kann mir mit ihrem Glück nichts wegnehmen.“ Das löst den Tunnelblick.

Wie nutze ich den Neid als Treibstoff für mich selbst?
Indem Sie sich vier Fragen stellen: Warum bin ich neidisch? Was ist es genau, das ich selbst gern hätte? Wie kam die beneidete Person in dieser Sache ans Ziel? Was macht sie anders als ich?

Warum ist das wichtig?
Oft sind Menschen, die etwas bekommen, was wir gern hätten, in dem Punkt tatsächlich cleverer. Das zu spüren tut weh, hilft aber. Dann begreift man meist schnell: Die Freundin ist charmanter mit Männern. Oder sucht sich ihre Partner besser aus.

Woran erkenne ich, ob Neid mich lähmt oder nur kurzzeitig aufblitzt?
Nehmen Sie starken Neid, der sich wiederholt, ernst, z. B. wenn Sie die Storys der beruflich erfolgreichen Freundin kaum ertragen. Der flüchtige Neid, z. B. auf eine Bekannte, die im Job in der ganzen Welt rumkommt, erledigt sich oft schnell: Da reicht es oft, sich in einer stillen Stunde zu fragen, ob man mit deren Leben wirklich tauschen wollte.

Trotzdem reagieren wir dann oft gallig auf das Thema.
Weil wir Sehnsüchte haben. Nach der Seite des Lebens, die wir gerade nicht ausleben: Die Ausschweifende wünscht sich Sicherheit. Die Erfolgreiche mehr Ruhe. Diesen Widerspruch können wir nicht auflösen.

Manche Menschen werden von allen beneidet. Warum?
Solche Leute können sich selbst meist gut darstellen. Ihr Leben ist zwar kein bisschen besser als das der anderen, aber sie propagieren immer das, was sie gerade tun, als das Beste. Wohnen sie im Bauernhaus, geht nichts über das Landleben. Fehlt zwischendurch das Geld, gilt plötzlich das Motto „Weniger ist mehr“. Da muss man als Außenstehende gelassen bleiben und einkalkulieren, dass diese Typen ein bisschen angeben.

Wie kann ich generell meinen Neid dämpfen?
Indem Sie jeden Tag etwas für sich tun, ein Hobby pflegen, Sport treiben, sich an Kleinigkeiten wie einer Tüte Kirschen freuen. Denn wer entspannt und zufrieden ist, vergleicht sich weniger kritisch mit anderen. Das steigert das Selbstvertrauen und lindert den Neid.

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