
Vom Tellerwäscher zum Millionär. Janet Thiemann würde gern glauben, dass jeder Wohlstand erreichen kann. Sie weiß es besser: Kinder aus Oberschichtfamilien gehen dreimal häufiger aufs Gymnasium als ihre Altersgenossen aus Arbeiterfamilien. An deutschen Universitäten sieht’s ähnlich aus. 72 Prozent der Beamtenkinder studieren, aber nur 12 Prozent der Arbeiterkinder. Nicht Fleiß, Können oder Talent entscheiden über Erfolg, sondern die soziale Herkunft.
Die Hilfe für Alle
Spricht Janet Thiemann darüber, verschwindet jede Fröhlichkeit aus ihrem Gesicht. „Es gibt Ungerechtigkeiten in Deutschland, die wir uns einfach nicht leisten können“, sagt die 32-Jährige mit Nachdruck. Sie selbst wächst wohlbehütet in Stendal in Sachsen-Anhalt auf. Ihr Vater ist Unternehmer, führt Kinderferienlager für seine Angestellten ein, spendet Geld, trainiert Jugendliche im Sportverein. „Er sagte oft: ,Wer die Möglichkeit hat, sollte die unterstützen, die diese Chance nicht haben‘“, erzählt Thiemann.

Nach dem Abitur und einem Freiwilligen Ökologischen Jahr studiert sie an der Hochschule Magdeburg- Stendal Sozialpädagogik. Was es bedeutet, in „schwierigen Familienver- hältnissen“ aufzuwachsen, erlebt und erforscht sie nun hautnah. Seitdem weiß sie: Je eher sozial benachteiligte Kinder gefördert werden, desto größer der Erfolg. Und: desto geringer die Folgekosten. „Bis Kinder zur Schule kommen, haben die Eltern den größten Einfluss auf sie“, sagt Thiemann. „Wir müssen also mit ihnen arbeiten, um bei Kindern etwas zu erreichen.“
Das Projekt für sozial-Schwache
Als einer ihrer Dozenten, Prof. Meinrad Ambruster, 2002 mit dem Forschungsprojekt „Eltern-AG“ genau diesen Weg einschlägt, ist sie sofort dabei. Die Idee: Vor Ort, im „Problemviertel“, werden Eltern motiviert, eine AG zu gründen. Kommen acht bis zwölf Mitglieder zusammen, beginnt ein 20-wöchiger Kurs, den eine speziell ausgebildete Mentorin leitet.
Einmal in der Woche können sich die Eltern dann eineinhalb Stunden über den Erziehungsalltag austauschen. Sie lernen, Stress zu bewältigen, bekommen fachlichen Rat und werden in die Lage versetzt, ihre Eltern-AG am Ende des Kurses ohne die Mentorin weiterzuführen. „Im Mittelpunkt steht jedoch der Austausch der Eltern“, sagt Thiemann.
Das Konzept trägt Früchte
Sie hat selbst mehrere Eltern-AGs geleitet, seit 2007 ist sie Geschäftsführerin des MAPP Instituts in Magdeburg, das mittlerweile sozialen Trägern in ganz Deutschland das Konzept zur Verfügung stellt. „Bis zum Kurs hatten viele Eltern oft keine Unterstützung“, erklärt Thiemann. „In der AG finden sie Freunde, mit denen sie über ihre Probleme reden können.“
Mehrere Studien belegen inzwischen: Das macht die Kinder – über 2500 waren es bislang – emotional stabiler, lernen fällt ihnen leichter. Und knapp 70 Prozent der Eltern treffen sich auch ein halbes Jahr nach dem Kurs regelmäßig in der AG. Für Thiemann und ihr Team ein großer Erfolg. „Der haut mich immer noch um“, sagt die 32- Jährige. Jetzt lächelt sie wieder. Will sie selbst mal Mutter sein? „Noch fehlt dafür Zeit. Aber Kinder sind auf jeden Fall in Planung.“