
30 Grad im Schatten. Schweißtreibend? Oder herrliches Sommerwetter? Entscheiden Sie sich für das Zweite. „Aber ich muss noch ...“ – ach was, Sie müssen viel weniger, als Sie denken. Klar, das ist leichter gesagt als getan. Denn Nichts-Tun will gelernt sein. Ganz ehrlich: Es ist eine Kunst.
„Verschiebe nicht auf morgen, was genauso gut auf übermorgen verschoben werden kann“ (Mark Twain, amerikanische Schriftsteller)
Die Kunst, nichts zu tun – das klingt nach Beamten-Witz, ist aber eine der schwersten Aufgaben überhaupt. Wegen der Gedanken, die uns wie eine Horde wilder Affen sogar in der Hängematte umzingeln und ärgern. Statt entspannt zu schaukeln, dem Rauschen der Blätter zu lauschen und ab und an in die Sonne zu blinzeln, springen wir im Geiste von der Vergangenheit in die Zukunft. „Ich muss diese Rechnung bezahlen“ folgt auf „Warum hat sie gestern so gereizt reagiert?“ Das ärgert uns selbst, denn die Minuten in der Hängematte sind so schön, dass sie unsere volle Aufmerksamkeit verdienen. Wie verscheucht man also die Affen?
Die erste Lektion im Nichts-Tun ist zugleich die schwerste, sogar für Zen-Meister: die Gedanken zähmen und ganz im Hier und Jetzt verweilen. Bring deinen Geist zur Ruhe, lautet die Grundregel der ostasiatischen Meditationslehre Zen; warte nicht, dass etwas geschieht. Achtsamkeit ist nicht durch Tun zu erreichen, sie entsteht im Sein. Ist Ihnen mal aufgefallen, dass das Wort Meditation dieselbe Wurzel hat wie „Medizin“? Meditation meint den Zustand, in dem man eins mit sich ist, alle Muskeln sind entspannt, die Augen geschlossen, der Atem fließt ruhig. Das ist die beste Medizin der Welt für Körper und Geist. Schade nur, dass es uns so selten gelingt, diesen Zustand länger als ein paar Minuten aufrechtzuerhalten. Entweder wir schlafen ein, oder die Affenhorde unserer Gedanken tobt wieder herum. Akzeptieren Sie das. Denn paradoxerweise fruchtet die Meditation oft gerade dann, wenn wir uns von dem inneren Druck befreit haben, dass sie klappen muss. In dem Moment erleben wir so etwas wie Erleuchtung. Das kann ein Gefühl sein wie „Ich bin Teil dieser wunderschönen Welt“ oder „Was auch passiert, ich werde meine Miete bezahlen können.“
„Arbeiten, um nicht denken zu müssen, ist auch Faulheit“ (Erhard Blanck, deutscher Schriftsteller)
Für die zweite Lektion im Nichts-Tun müssen Sie Ihre Hängematte oder Ihren Liegestuhl nicht verlassen. Sie dürfen auch gern umherwandeln. Hauptsache, Sie bleiben entspannt. Genießen Sie den Schatten der Bäume, lassen Sie sich den Nacken vom aufkommenden Wind kühlen. Zerreiben Sie Lavendel zwischen den Fingern, kosten Sie ein Blatt Minze aus dem Garten. Berauschen Sie sich an kleinen Dingen, denn genau die machen uns jeden Tag glücklich.
In Indien glaubt man, dass Gott in den kleinen Dingen wohnt. Wer jemals einen Sommertag mit allen Sinnen genossen hat, stimmt dem vorbehaltlos zu. Wissenschaftler sowieso: Der berühmte US-amerikanische Psychologe Martin Seligman forderte Depressive für ein Experiment auf, zumindest ein paar Minuten am Tag etwas Schönes, aber Alltägliches mit allen Sinnen zu genießen. Tatsächlich zeigte die Mehrzahl eine deutliche Steigerung ihres Glücksempfindens, und ihr Herzschlag wurde regelmäßiger.
„Leben ist nicht genug, sagte der Schmetterling. Sonnenschein, Freiheit und eine kleine Blume gehören auch dazu“ (Hans Christian Andersen, dänischer Schriftsteller)
Mitten in der dritten Lektion stecken Sie schon, wenn Ihre Gedanken gerade abschweifen – in die Vergangenheit oder in die Zukunft. „Aber ich sollte mich doch nicht von der Affenbande ablenken lassen, sondern im Hier und Jetzt verweilen“, denken Sie. Aber dieses Erinnern meint etwas anderes, nennen wir es Schwelgen. Nutzen Sie die träge Zeit des Augusts für Fantasiereisen. Genießen Sie die Vergangenheit, indem Sie sich an gute, alte Zeiten erinnern. An glückliche Sommertage als Kind zum Beispiel, an Ihren Hochzeitstag oder den letzten Urlaub. Die Zukunft genießen Sie, indem Sie an künftige positive Ereignisse denken, wie eine geplante Feier oder das neue Hybrid-Auto. Oder Sie malen sich aus, wie es wäre, selbstständig zu arbeiten, z. B. ein kleines Geschäft zu eröffnen. Egal ob Sie sich an Vergangenes erinnern, die Gegenwart auskosten oder optimistisch an die Zukunft denken, nach wissenschaftlichen Erkenntnissen tun Sie sich und Ihrer Gesundheit etwas Gutes.
Phänomen: Genießen
Die Psychologen Fred Bryant und Joseph Veroff haben in ihrem Buch „Savoring – A New Model of Positive Experience“ (leider nur auf Englisch) das Phänomen des Genießens untersucht. Sie fanden heraus: Menschen, die gern auf das Gestern zurückblicken, gehen am besten mit Stress um. Menschen, die das Hier und Jetzt leben, leiden weniger an Depressionen, Stress und Schuldgefühlen. Menschen, die in Vorfreude schwelgen oder sich eine positive Zukunft ausmalen, neigen eher zu Optimismus und zu starken positiven Emotionen.
„Muße ist das Kunststück, sich selbst ein angenehmer Gesellschafter zu sein“ (Karl Heinrich Waggerl, österreichischer Schriftsteller)
Lektion Nummer vier: Müde vom Lesen? Dann recken und strecken Sie sich, gähnen Sie nach Herzenslust – denn Gähnen wird zu Unrecht als unhöflich angesehen. Dabei werden komplette Muskelgruppen von innen her gedehnt – eine körperliche Wohltat. Jedes Gähnen beginnt als kleiner Tiefdruckwirbel im Kopf. Dann breitet es sich in einer spiral förmigen Bewegung im Körper aus. Der Rachen, die Kehle, Nasenlöcher und Bronchien werden geweitet, Augenbrauen und Schultern heben sich, das Zwerchfell senkt sich, sodass sich die Lunge ausdehnen kann. Gähnen beschleunigt den Herzschlag und steigert so die Blutzufuhr zum Gehirn. All das passiert in weniger als sechs Sekunden. Wer ausgiebig gegähnt hat, fühlt sich locker und geschmeidig, wie nach ein paar Yoga-Übungen.
Hörbücher
Lesen lassen entspannt zuverlässig!
„Schloß Gripsholm“ von Kurt Tucholsky, gelesen von Uwe Friedrichsen, ca. 30 Euro, Verlag Litraton.
Diese sommerlich leichte und zugleich tiefsinnige Liebesgeschichte ist einer der beliebtesten Tucholsky-Texte überhaupt.
„Ein russischer Sommer“ von Jay Parini, gelesen u. a. von Frank Arnold und Wanja Mues, ca. 22 Euro, Verlag Deutsche Grammophon.
Der Roman über Leo Tolstoj wurde letztes Jahr mit Helen Mirren verfilmt. Auch als Hörbuch ein Genuss!
„Das Labyrinth der Wörter“ von Marie- Sabine Roger, gelesen von Stephan Benson, ca. 15 Euro, Hoffmann und Campe.
Roman über die feinsinnige alte Dame Margueritte, die den ungebildeten Germain zum Lesen verführt – bezaubernd.
„Wir leben in einer Zeit, die zu viel arbeitet und zu wenig erzogen ist, in einer Zeit, wo die Leute vor Fleiß blödsinnig werden“ (Oscar Wilde, irischer Schriftsteller)
Für Lektion fünf lassen Sie dieses Heft sanft aus Ihren Händen gleiten. Um es sich im August gut gehen zu lassen, ist die Siesta ein Muss. Die Hitze scheint uns förmlich in die Waagerechte zu drücken. Die Schlafforschung zeigt, dass während eines Nickerchens komplexe physiologische Prozesse ablaufen. Was von außen wie Trägheit wirkt, ist tatsächlich ein aktiver innerer Zustand mit viel Neuronen-Gefunke im Gehirn. Stress-Resistenz, Aufmerksamkeit und Urteilsvermögen steigen nach einer Siesta deutlich an. Betrachtet man die Statistik der Verkehrsunfälle und Arbeitsunfälle, die sich in der Mittagszeit häufen, möchte man die Pflicht zum Tagesschlaf gesetzlich verankern lassen. Gesund ist er auch: Forscher der medizinischen Hochschule Athen wiesen in einer Studie nach, dass eine halbe Stunde Mittagsschlaf das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben, um 37 Prozent senkt. Grund genug, die träge Mittagszeit zu verdösen und ab dem späten Nachmittag wieder aktiv zu werden. Dann bringen Arbeiten und Kreativ-Sein Spaß. Man schafft auch mehr. Gut so, denn nur als Gegensatz von Spannung kann man Entspannung erfahren. Wer jede Herausforderung aus seinem Leben verbannt, wird passiv und rutscht leicht in eine Depression. Umgekehrt werden als stressig empfundene Aktivitäten nur durch Entspannung zu Herausforderungen. Besteht der Tag aber nur aus Anforderungen, droht ein Burn-out.
„Die Seele nährt sich von dem, an dem sie sich erfreut“ (Aurelius Augustinus, römischer Philosoph)
Lektion sechs besagt, dass es mal wieder um die Balance geht. Stress ist nicht grundsätzlich schlecht, nur zu viel schadet und lähmt. Nach einer Pause kommen uns oft die besten Gedanken. Und Kreativität brauchen Sie, um das schlechte Gewissen zu besiegen, wenn Sie sich jetzt Tag für Tag Ihrer Hängematte hingeben.
Oder noch besser: Sie lernen Lektion Nummer sieben. Dann machen Sie das schlechte Gewissen zu Ihrem Verbündeten. Genießen Sie das Flair des Verbotenen. Denn eines ist sicher: Der geschäftige September kommt bestimmt.