
Es geschieht im Kleinen: Gern passt die 73-jährige Nachbarin auf den Sohn der alleinerziehenden Mutter auf, wenn die länger arbeiten muss. Dafür geht die 34-jährige Mama freitags für die alte Dame einkaufen. Und es geschieht im Großen, zeigt eine Studie des Instituts für Demokratieforschung in Göttingen: Bei Demos gegen Flughäfen, Bahnhöfe oder die Gier der Banker gehen Ältere – Vorruheständler, Rentner, Pensionäre – für genauso genervte Jüngere mit auf die Straße, weil denen schlicht´die Zeit fehlt. Im Gegenzug organisiert die Facebook- und Smartphone-Generation den Protest gegen Datenklau und Zensur, weil den Älteren oft das technische Wissen fehlt.
Alt hilft Jung. Jung hilft Alt
„Von einem Generationenkonflikt kann keine Rede sein“, sagt Prof. Andreas Kruse, Direktor des Instituts für Gerontologie an der Universität Heidelberg. „Entscheidend ist, dass wir mehr Begegnungsmöglichkeiten schaffen.“ Das Matthias-Claudius-Sozialwerk hat das getan und ließ in Bochum die Claudius-Höfe bauen: ein „Dorf in der Stadt“ mit knapp 200 Einwohnern. Studenten, Familien, Senioren und Menschen mit Behinderung leben hier zusammen. Zwischen den Wohnungen wurden Begegnungsbalkone und eine Gemeinschafts küche eingerichtet, ein Marktplatz, ein Restaurant, eine Kirche, Gemeinschaftsgrünanlagen und zahlreiche andere Treffpunkte beleben das Viertel. „Solche Wohnprojekte sind ein Abenteuer, das lebendig hält“, sagt Dr. Josef Bura, Vorsitzender des Forums Gemeinschaftliches Wohnen in Hannover. Die lahmen Lebensentwürfe aus den Hochglanzprospekten für die „Generation 60 plus“ findet er albern. „Jeder braucht eine Aufgabe.“
2030 wird jeder zweite Deutsche älter als 49 sein. Bis dahin steigt die Zahl der über 80-Jährigen um fast 60 Prozent - Quelle: Bertelsmann Stiftung
Klaus-Peter Martin vom Jugendbüro Neu-Isenburg sieht das ähnlich. „Sicher wollen manche Rentner nur ihre Freizeit genießen. Aber die meisten wollen was bewegen.“ Und das können sie: Ohne die Unterstützung engagierter Ruheständler hätten viele Jugendliche aus dem Vorort von Frankurt am Main weder Schulabschluss noch Ausbildungsplatz. „Diese Menschen haben so viel zu geben“, sagt Michaela Hansen, die vor drei Jahren die Agentur „Granny Aupair“ gründete, die über 50-Jährige ins Ausland vermittelt. „Es müsste noch viel mehr solche Angebote geben.“ Manchmal genügt es, generationsübergreifend zu stricken (siehe rechts). Alt hilft Jung, Jung hilft Alt – und beide gewinnen.
Aus Erfahrungen der Anderen lernen
An das erste Treffen mit den strickenden Damen aus einem Züricher Seniorenheim erinnern sich Debora Biffi und Benjamin Moser noch gut: „Als wir das Projekt vorstellten, schwiegen sie nur“, erzählt Moser. Klang ja auch verrückt: Die zwei Jungdesigner wollten für ihre Diplomarbeit gemeinsam mit alten Menschen Alltagsobjekte gestalten. Ihnen schwebte keine Beschäftigungstherapie vor, sondern eine Geschäftsidee. Trotzdem fiel der Empfang erst mal „harzig“ aus, wie Moser sagt. Das war 2008. Inzwischen ist aus der Abschlussarbeit eine kleine Firma gewachsen: die „Senior Design Factory“ in Zürich (www.senior-design.ch).
Gemeinsam zum Erfolg
Mehr als 200 alte Menschen haben bislang mitgemacht. Entstanden sind Topflappen, Filzvasen, T-Shirts mit von den Senioren designten Prints, Pullover mit raffinierten Zopfmustern oder Kochbücher mit Omas Rezepten und junger, moderner Grafik. „Bei jedem Objekt läuft es anders“, erzählt Biffi. In den Workshops ist maximal die Hälfte der Teilnehmer unter 30. „Wichtig ist immer, die Senioren in den Prozess einzubinden. Sie haben ein gewaltiges Know-how.“ Wer seit 60 Jahren strickt, kennt einfach jede Masche. Verkauft werden die Objekte seit 2011 in zwei Geschäften. Zu einem gehört ein Café, in dem zwölf Senioren servieren. Jeder Mitarbeiter kann sich seinen Anteil am Geschäftsergebnis auszahlen lassen. Aber bis jetzt landeten alle „Gehälter“ wieder als Spende bei „Senior Design“.
Niemand hatte mit so einem Erfolg gerechnet. „Daran geglaubt haben wir umso mehr“, erzählt Moser. „Die Arbeit macht einfach glücklich. Die ,Alten’ übernehmen eine regelmäßige Aufgabe in ihrem Alltag. Sie werden gebraucht und haben den Bezug zu einem jungen Umfeld. Auf die Jungen wirkt die Arbeit entschleunigend. Und ihnen werden Werte wie Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und Freundschaft vermittelt.“
Gemeinsam Dinge verändern
Wer Abida Mazhar und Renate Koenen sieht, sieht zwei Welten aufeinanderprallen. 53 Jahre Altersunterschied trennen sie. Abida stammt aus Pakistan.
2003 kam sie nach Deutschland, lebt heute mit den Eltern und vier jüngeren Geschwistern in Neu-Isenburg. Zu trendigen Turnschuhen trägt sie Sari und Kopftuch.
Jungen Menschen helfen
Bei Frankfurt am Main lebt auch Renate Koenen. Die kinderlose Witwe hat als Pressestenografin bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gearbeitet, mit 60 hörte sie auf. „Ich war allein mit meinem Hund. Und es reichte mir nicht, jeden Tag mit der Zeitung unterm Apfelbaum im Garten zu sitzen“, erzählt die 74-Jährige und lacht. Sie
wurde ehrenamtliche Stadtarchivarin und Vorleserin in einem Pflegeheim. „Aber die Abida ist meine größte Aufgabe. Ich habe sie richtig lieb.“
Vor fast neun Jahren lernten sich die beiden über das Projekt „Alt hilft Jung“ im Jugendbüro NeuIsenburg kennen. Die Idee dahinter: Ruheständler unterstützen Haupt- und Realschüler bei der Berufswahl und beim Job-Einstieg.
33 % weniger 15- bis 29-Jährige steigen bis zum Jahr 2050 ins Berufsleben ein - Quelle: Roman Herzog Institut
Wie Renate Koenen engagieren sich insgesamt 22 Mentoren, jeder kümmert sich um bis zu drei „Mentis“. „Die meisten hatten nie mit dem Umfeld zu tun, aus dem die Jugendlichen stammen“, sagt Klaus-Peter Martin, der das Projekt 1997 startete und seither leitet. „Genau das finden sie spannend.“ Und die Jugendlichen? „Viele erleben zum ersten Mal, dass sich jemand unentgeltlich Zeit nur für sie nimmt“, erzählt Martin.„Und gerade weil der Mentor ihr Opa oder ihre Oma sein könnte, spielt der Generationenkonflikt keine Rolle.“
Zweimal in der Woche treffen sich Renate Koenen und Abida. Vor allem Deutsch haben sie gepaukt. „Am Fachabi bin ich trotzdem gescheitert“, sagt Abida. Ihre Mentorin schüttelt energisch den Kopf. „Nein, Abida, du bist nicht gescheitert.“ Recht hat sie. In Frankfurt macht Abida eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin. „Das Fach abi kannst du ja wiederholen.“ Abida lächelt. Gern würde sie Biochemie studieren. Zwei Welten, ein Ziel. Doch Abidas Blick verrät, dass Renate Koenen ihr viel mehr bedeutet als eine Nachhilfelehrerin. „Sie ist meine deutsche Oma. Solange sie lebt, geht es mit uns weiter.“ Renate Koenen hat Tränen in den Augen.
Eine zweite Familie
Student Simon Osthoff hebt sich den 8-jährigen Justus auf die Schultern, als wäre er sein Bruder. Der Junge strahlt. Seine Mutter Annette Kühn staunt, offenbar reagiert ihr Sohn sonst schüchterner. „Genau das finde ich so toll“, sagt Osthoff, „dass hier verschiedene Generationen zusammenkommen. Ich vermisse das klassische Studentenleben nicht.“ Schnell kommt er im Bistro auch mit seinen anderen „Nachbarn“ ins Gespräch: Kamille Akdemir, die ihre Töchter Dilan und Songül mitgebracht hat, Jurist Matthias Baring, der im Rollstuhl sitzt, und das Rentnerpaar Rosemarie Schulz und Ullrich Lückemeyer.
Das Leben auf dem "Dorf"
Sie alle sind Ende 2012 „aufs Dorf“ gezogen: in die Claudius-Höfe mitten in Bochum. Ein 10 000 Quadratmeter großes Areal mit 88 Wohneinheiten, in denen die etwa 200 Bewohner nicht anonym nebeneinanderher leben, sondern sich begegnen und füreinander da sein sollen. „In Bochum eine barrierefreie Wohnung zu finden ist schwer“, sagt Matthias Baring. Deshalb hat er nicht lange gezögert. „Ich fühle mich hier gut aufgehoben. Die Gemeinschaft gibt mir das Gefühl, dass immer jemand da ist, der mir helfen kann.“ Kamille Akdemir nickt. „Hier ist es selbstverständlich, auf die Nachbarskinder aufzupassen“, sagt die Türkin. „Dieses Gefühl hat mir vorher in der Stadt gefehlt.“
Familiärer Zusammenhalt
Auch ihre 16-jährige Tochter Songül fühlt sich sicherer. „In dem Stadtteil, in dem wir früher gewohnt haben, bin ich auf der Straße oft angemacht worden“, erinnert sie sich. „Gehe ich hier abends auf die Straße, fühle ich mich wohl. Es ist eben wirklich wie ein kleines Dorf in der Stadt.“ An vielen Treffpunkten kreuzen sich die Wege der
Bewohner, sie sollen innehalten und sich austauschen können, z.B. in einem Spiel-, einem Koch- und einem Kulturclub. Niemand soll vereinsamen.

„Mit verschiedenen Generationen zusammenzuwohnen ist wie eine zweite Familie“, sagt Rentnerin Rosemarie Schulz. Sie sitzt im sogenannten Bewohner-Rat. Das siebenköpfige von den Bewohnern gewählte Team tagt wöchentlich. Das nächste geplante Großprojekt ist ein Kinderspielplatz, für den die Bewohner selbst das Geld auftreiben müssen. Ihr Mann Ullrich Lückemeyer verwaltet die Nutzung des Gemeinschaftsraums. Beide engagierten sich schon in der Planungsphase für das Wohnprojekt. „Wir wollen mitreden können“, sagt Rosemarie Schulz. „Und das können wir hier.“ – „Alles muss sich noch ein bisschen einspielen“, sagt Ullrich Lücke meyer. So ein Projekt braucht eben Zeit. Aber die beiden würden jederzeit wieder mitmachen.
Die Chance zum "Granny Aupair"
Hier sieht’s aus wie bei Hempels unterm Sofa“, sagt Bobby Lechner und lacht. „Wir ziehen um.“ Überall stehen Kartons vor leeren Schränken. In einigen Tagen müssen die Sachen im neuen Haus wieder eingeräumt werden. Dann wird Bobby Lechner wieder mit anpacken, sich um Carlos (14) und Marco (12) kümmern und damit die voll berufstätigen Eltern Volker und Marivic Hellstern entlasten.
300 Frauen zwischen 50 und 75 hat „Granny Aupair“ in den letzten drei Jahren in mehr alsn 40 Länder vermittelt
Die 66-Jährige könnte eine typische Großmutter sein. Eine von den Frauen, ohne die viele Mütter und Väter hierzulande den Spagat zwischen Kind und Beruf kaum bewältigen könnten. Aber das ist sie nicht. „Mit der Dauerwellen-Omi kann ich nichts anfangen“, winkt Bobby Lechner ab. Sie arbeitet als Oma auf Zeit, als „Granny Aupair“. Die

Hellsterns haben sie über die gleichnamige Agentur gefunden. Sie leben nicht in Deutschland, sondern in Thailands Hauptstadt Bangkok, 12 000 Kilometer von Bobbys Heimat Rheda-Wiedenbrück entfernt. Zu gern wäre Bobby Lechner als junges Au-pair-Mädchen in die USA gegangen. „Das war immer mein Traum“, sagt die ehemalige Marketing-Fachfrau. „Als mein Vater starb, musste ich den Plan aufgeben.“ Doch sie hat ihn nie vergessen. Ende 2010 ging sie in Rente. „Von hundert auf null“, sagt Bobby Lechner. „Den Ruhestand auf dem Sofa genießen, das war nichts für mich. Ich wollte weiter gebraucht werden.“
Eine Idee mit Erfolg
Da ahnte sie nicht, dass Michaela Hansen exakt Frauen wie sie im Sinn hatte, als sie „Granny Aupair“ (www.granny-aupair.com) in Hamburg gründete. „Doch dann zeigte mir eine Freundin die Zeitungsanzeige, in der Omas auf Zeit gesucht wurden. Auch für deutsche Gastfamilien im Ausland“, erzählt Bobby Lechner. Plötzlich tauchte ihr Traum wieder auf. „Mutest du dir nicht zu viel zu?“ – „Du selbst hattest doch nie Kinder.“ Solche Einwände spornten sie eher an. Sie meldete sich bei der Agentur, lernte
übers Internet die Hellsterns kennen und packte im August 2011 ihre Koffer. Sechs Monate sollte sie in Bangkok bleiben. Das ist mittlerweile zwei Jahre her.
Aller Anfang ist schwer
Obwohl es anfangs nicht so gut lief. „Vor allem Marco trieb mich bis zur Weißglut“, gesteht Bobby Lechner. Eines Tages schickte sie die Jungs für zehn Minuten auf ihre Zimmer. Dann fragte sie: „Soll ich bleiben? Nein oder ja?“ Beide sagten Ja. Als wäre es ein Pakt. „Heute bin ich für sie eine ältere Freundin“, erzählt Bobby Lechner glücklich. „Sie erzählen mir ganz viel, vor allem Carlos. Er fragt mich sogar, wie ich Mädchen finde, in die er sich verguckt hat.“ Wann sie zurück nach Deutschland geht, weiß Bobby Lechner noch nicht. Vor einiger Zeit tagte dazu der Familienrat. „Hinterher sagte Volker zu mir: ,Nach dir wird es keine andere Granny geben’“, erzählt Bobby Lechner gerührt. „Das war Gänsehaut pur.“
Wertschätzung ist der Schlüssel
VITAL: „Alt+Jung=Erfolg“ lautet Ihre Formel. Immer mehr deutsche Firmen sehen das scheinbar auch so.
Ralf Overbeck: Sagen wir mal so: Die meisten Firmenhaben inzwischen erkannt, dass der Jugendwahn, der bis Ende der 1990er-, Anfang der 2000er-Jahre vorherrschte,
nicht zielführend ist.
Also wird zu wenig getan?
Nein, viele Unternehmen tun in diesem Bereich viel Gutes. Ihnen ist aber häufig nicht bewusst, was sie da leisten. Ihre Chefs halten altersgemischte Teams oft für etwas
Normales und erkennen nicht, dass sie etwas Besonderes sind. Denen empfehle ich: Tue Gutes und rede darüber.
Es ist also doch noch Überzeugungsarbeit nötig?
Ja. Dabei wissen wir seit Langem um die Entwicklung, den „demografischen Wandel“. 2024 wird die Schere zwischen Erwerbstätigen unter und über 49 unumkehrbar auseinandergehen. Darum müssten wir uns in Deutschland viel intensiver kümmern. Da wir aber wirtschaftlich erfolgreich sind, denken wir nicht ernsthaft darüber nach.

Einen Alten und einen Jungen können Sie nicht in einen Raum sperren und sich selbstüberlassen. Generationen-Management ist eine neue Form der Unternehmensführung. Sie basiert auf gegenseitigem Respekt, Wertschätzung und Vertrauen. Nur wenn Mitarbeiter sich wohlfühlen, tauschen sie Wissen aus. Je breiter die Vertrauensbasis, desto weniger spielt am Ende das Alter eine Rolle. Generationen-Management muss Chef sache sein.
Sind altersgemischte Teams leistungsfähiger?
Ja, wenn der Rahmen stimmt. Alle Generationen müssen sich in Firmen freiwillig, mit viel Freiraum begegnen können. Führungskräfte und oder externe Berater begleiten den Prozess, schreiben aber nichts vor. Niemand darf das Gefühl haben, dass es seinen Job überflüssig macht.