
Den Mund halten, wegsehen – nichts für Agnes Scharnetzky. „Das bedeutet, solche Dinge hinzunehmen“, sagt die 25-Jährige. Etwa, dass einem Mosambikaner in ihrer Heimatstadt Pirna bei Dresden alle Autoreifen aufgeschlitzt wurden. Dass Skinheads die Region jahrelang terrorisierten und die NPD nirgendwo sonst so hohe Wahl ergebnisse erzielte. Dagegen kämpft Agnes Scharnetzky mit ihrer „Aktion Zivilcourage“. Zwar wurden die „Skinheads Sächsische Schweiz“ 2001 verboten, doch die gebürtige Chemnitzerin kennt die Statistiken der Bonner Friedrich-Ebert-Stiftung: Jeder sechs te Ostdeutsche vertritt rechtsextreme Ansichten. „Schwer, dem etwas entgegenzusetzen“, sagt Scharnetzky, „auch bei Politikern stießen wir anfangs manchmal auf taube Ohren.“ Das hat sich geändert. Trotzdem gilt die knapp 40 000 Einwohner zählende Stadt Pirna bis heute als Neonazi-Hochburg. Agnes Scharnetzky weiß es besser. „Nein, Pirna ist offen und neugierig“, stellt sie klar. Nach dem Abitur zog sie 2006 für ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) hierher, um für die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein zu arbeiten.
Die Anfänge der Aktion
Ein beklemmender Ort: Fast 14 000 Menschen wurden dort ab 1940 von den National sozialisten ermordet. „Ich war als Jugendliche schon stark politisch und geschichtlich interessiert“, begründet Scharnetzky ihre Wahl. Über eine Mitbewohnerin kam sie zur „Aktion Zivilcourage“, einer Jugendinitiative gegen Rechtsradikalismus. 2008 wurde sie Vorsitzende. „Daran bin ich gewachsen“, erzählt die zukünftige Gymnasiallehrerin. Unter ihrer Leitung wurde aus der Initiative ein professioneller Verein, über den heute sogar Pirnas Bürgermeister sagt: „Ihr
tut der Region gut.“ Das motiviert. „Wir sind nicht mehr nur gegen rechts. Wir sind für Demokratie, stellen uns breiter auf“, erzählt Scharnetzky. Viele Pirnaer zeigen inzwischen Flagge mit einem blauen Einkaufsbeutel, auf dem der Slogan „Intoleranz kommtmir nicht in die Tüte“ und das Vereinslogo prangen. Bei einem Plakatwettbewerb für die „Aktion Zivilcourage“ kamen 1500 Ideen zusammen. Eine Präsenz, die wirkt: 30 bis 40 rechtsradikale Gewalttaten pro Jahr standen mal in der Pirnaer Polizeistatistik. Jetzt sind es noch drei bis vier.
Daran denkt Scharnetzky, wenn sie mal wieder irgendwo den Neonazi-Aufkleber „Todesstrafe für Kinderschänder“ liest. „Dann läuft’s mir eiskalt über den Rücken“, gibt die junge Frau zu. Doch Angst spürt sie nicht. Sie geht entschlossen auf die Menschen zu. „Nur so kann ich ihnen zeigen, dass ihr Denken keinen Sinn ergibt.“ Einen Konzert-Besucher brachte sie dazu, sein Oberteil von Thor Steinar – einer in der Neonazi-Szene beliebten Modemarke – auszuziehen. 2010 hat sie geheiratet. Ihr Mann arbeitet für eine KZ-Gedenkstätte in Bayern. Eine Fernbeziehung. Sie setzen sich für das Gleiche ein. „Was in unserem Land passiert, wirkt auf jeden zurück“, sagt Scharnetzky. Den Vereinsvorsitz hat sie abgegeben, um eine Stelle an der Uni Dresden anzunehmen. Mitglied bleibt sie. „Ich bewege lieber was, als passiv zu sein.“