
Der Typ hüpft über den Standstreifen, als ginge es um Leben und Tod. „Please, sir, help me!“, ruft er, als ich die Beifahrertür öffne. Ich schätze ihn auf Ende 20. Sein Hemd ist sauber, sein Englisch miserabel. Er redet, als stünde er kurz vor dem Infarkt, stammelt irgendwas von seiner kranken Frau, mit der er zu einem bestimmten Arzt müsse – und von 100 Euro für Benzin. Ich drücke ihm einen Schein in die Hand. „God bless you!“, schreit er und rennt zurück zu seinem Opel. Erst in diesem Moment erkenne ich, dass in dem Wagen keine sterbende Frau sitzt, sondern zwei Typen, die sich halb totlachen und mir zum Abschied höhnisch zuwinken.
Warum passiert mir so etwas ausgerechnet, während ich einen Artikel zum Thema Vertrauen schreibe? Trau! Schau! Wem? Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Mit solchen Sprüchen hat uns Oma früher mächtig genervt. Wer anderen vertraut, so lautete die Botschaft, macht was falsch im Leben. „Wer gar zu viel auf andere baut, erwacht mit Schrecken“, mahnt Wilhelm Busch.
Ist Kontrolle wirklich so viel besserals Vertrauen?
Dabei haben Psychologen in den letzten Jahren völlig andere Erkenntnisse gesammelt. Höchste Zeit für ein paar Wahrheiten, damit uns Autobahn-Abzocker und alte Redensarten nicht den Glauben an die Menschheit rauben.
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie lernen im Urlaub ein einheimisches, sehr sympathisches Paar kennen. Man redet und lacht, dann laden die beiden Sie zu einer Party ein. Die Straße liegt aber in einem Viertel, in das sich Touristen nie verirren. Nehmen Sie die Einladung an? Mit solchen geschickten Gedankenspielen arbeitet Vertrauensforschung gern. Andere sammeln ihre Erkenntnisse im Labor, wie der Sozialpsychologe David Dunning von der renommierten Cornell University in New York. Versuchspersonen bekamen von ihm umgerechnet 7,50 Euro und zwei Optionen: das Geld behalten oder es einem anderen Teilnehmer geben – mit der Aussicht, bis zu 30 Euro zu verdienen. Doch der mögliche Gewinn spielte überhaupt keine Rolle, vielmehr zeigte sich: Je mehr konkrete Informationen die Testpersonen vorher über ihren Investitionspartner gehört hatten, desto mehr wuchs ihr Zutrauen.
Und was, wenn ich auf dem Standstreifen der Autobahn leider keine konkreten Informationen habe? „Wir haben herausgefunden, dass weit mehr als 80 Prozent der Bevölkerung absolut vertrauenswürdig sind“, sagt David Dunning. Es klingt fast unglaublich: Acht von zehn Unbekannten zahlen einem anvertrautes Geld zurück. Sogar dann, wenn sie den Betrag ungestraft behalten könnten. „Wir haben das in den USA untersucht, in den Niederlanden, in Deutschland – die Ergebnisse waren quasi überall identisch“, so Dunning.
Wer vertraut, entlarvt Lügner schneller
Aus seinen Laborexperimenten ist inzwischen sogar ein neuer Internettrend geworden: Crowdfunding, eine Art Kreditmarktplatz. Auf Seiten wie smava.de stellt etwa der Regisseur Sergej Goya sein nächstes Filmprojekt „Hotel Desire“ vor – und sucht Geldgeber. Diese finden sich in einem Kreis anonymer Internetnutzer – der „Crowd“ –, die für ihr Geld später z.B. eine Prämie bekommen. Eine aktuelle Umfrage zeigt: Fast jeder Zweite würde über Crowdfunding Projekte finanziell unterstützen.
Ein Vertrauensvorschuss wird fast immer belohnt
Nicht zufällig nennen Experten das Vertrauen soziales Kapital: Es bewirkt auch, dass Kinder sorglos in der Nachbarschaft spielen und Geschäftsleute Verträge per Handschlag abschließen können. Ganz klar: Vertrauen macht das Leben leichter. Genau das erfährt auch Steffi. Sie möchte ihrem Sohn einen Sportbogen kaufen. An der Kasse merkt sie, dass sie nicht genügend Bargeld dabeihat. Ausgerechnet heute ist das EC-Karten-Lesegerät kaputt. „Wir geben Ihnen eine Rechnung mit, und Sie überweisen das Geld in den nächsten Tagen“, sagt der Verkäufer routiniert. Steffi ist so fassungslos, dass sie die Szene hinterher allen Freunden und Kollegen erzählt. „Stellt euch das mal vor. Dass es so etwas noch gibt!“ Was Steffis Geschichte verrät: Ein Vertrauensvorschuss wird meist belohnt. Steffi überweist das Geld sofort. Und ihre Anekdote ist die beste Werbung, die sich das Sportgeschäft wünschen kann.
Fast alle Menschen verhalten sich wie Steffi: Sie vergelten Vertrauen mit Vertrauen. „Gesetz der Reziprozität“ nennen Psychologen das. So gesehen überrascht es nicht, dass Vertrauen erfolgreich macht. Das gilt für Verkäufer, Lehrer, Architekten – und sogar beim Militär, wie US-Forscher kürzlich in einer Langzeitstudie herausfanden: Auch in der Army stiegen nicht die besten Kämpfer die Karriereleiter hoch. Sondern jene, die ihren Kollegen und Vorgesetzten von Beginn an mit Vertrauen und Loyalität begegneten.
Nebenbei macht Vertrauen noch glücklich, wie der kanadische Ökonom John F. Helliwell herausfand. Seine Studien belegen: Ein wenig mehr Vertrauen in den Chef steigert unsere Lebenszufriedenheit mehr als eine Gehaltserhöhung.
Ob wir vertrauen, können wir nicht in jedem Fall steuern
Die Botschaft scheint klar: „Unterstelle deinen Mitmenschen erst einmal die besten Absichten und begegne ihnen ohne Argwohn – das Leben wird dich dafür belohnen.“ Leider funktioniert das nicht so einfach. Denn wir können zwischen Vertrauen und Misstrauen nicht unbedingt wählen wie zwischen Butter und Margarine. Vertrauen ist ein Gefühl, das sich bewusster Kontrolle bisweilen entzieht. Manche gehen ein Leben lang offen auf andere zu. Andere reagieren eher vorsichtig und verschlossen.
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Vertrauen ist Alters- und Geschlächtsabhängig
Welchen Weg wir einschlagen, entscheidet sich häufig schon in unserem ersten Lebensjahr. Erlebt der Säugling die Eltern als verlässlich und liebevoll, entsteht das sogenannte Urvertrauen oder das „Vertrauen in Vertrauen“. Traumatische Erlebnisse zerstören es, lösen eine tiefe emotionale Unsicherheit und nicht selten psychische Störungen aus.
Frauen und Männer vertrauen sehr unterschiedlich
Später, mit drei bis vier Jahren, vertrauen Kinder bereits der Mehrheitsmeinung, so Kathleen Corriveau von der Universität Harvard. Beobachten sie Frauen, die über den Namen eines Gegenstands diskutieren, spüren sie, welche Ansicht überwiegt – und vertrauen dieser mehr. „Kinder erkennen außerdem, ob eine Person einer anderen absichtlich schadet“, erläutert Dr. Amrisha Vaish vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Und reagieren entsprechend: Wer mutwillig böse ist, dem hilft man nicht. Ein Verhalten, das vielleicht sogar genetisch programmiert ist, wie Zwillingsstudien zeigen. Diese Gene und eine unterschiedliche Erziehung dürften auch die enormen Unterschiede in Sachen Vertrauen bei Männern und Frauen auslösen.
Wie bei Steffi und ihrem Mann Hans-Georg. Er findet gleich jeden sympathisch, der das gleiche Auto fährt wie er oder mit dem gleichen Handy telefoniert. „Super Typ“, sagt er dann und kauft seinem Gegenüber vertrauensselig die größte Lügengeschichte ab. Steffi lässt sich von Äußerlichkeiten weniger blenden. Sie weiß, dass nicht jeder ein Engel ist, nur weil er zufällig am selben Tag Geburtstag hat wie sie. Männer, sagen Forscher der University of Ohio, sind leichtgläubiger, Frauen dafür großzügiger, wenn sich jemand als vertrauenswürdig erweist.
Und wem schenken wir überhaupt Vertrauen? Auch das haben Wissenschaftler fleißig erforscht. Das Ergebnis: Wir trauen religiösen Menschen eher als Ungläubigen, Frauen eher als Männern und Senioren eher als Teenagern. Auch Gesichter erwecken Vertrauen – allerdings nur, wenn sie unserem eigenen ähnlich sehen, fand Lisa DeBruine von der McMaster University in Kanada heraus. Bestehende Vorurteile, etwa über „Ausländer“, verstärken diesen Effekt. Schön und gut. Aber wenn 80 Prozent der Menschen vertrauenswürdig sind – was ist mit den restlichen 20 Prozent? „Es wäre mit Sicherheit ein Fehler, allen Menschen zu jeder Zeit zu vertrauen“, gibt auch Psychologe David Dunning zu. Deshalb empfiehlt er eine Haltung, die er „generalisiertes Vertrauen“ nennt. Motto: Ich vertraue so lange, bis ich vom Gegenteil überzeugt bin. Offenheit mit einer kleinen Prise Wachsamkeit also.
Für mich bleibt die Frage: Wie reagiere ich, wenn das nächste Mal Menschen um Hilfe winken? Nun, ich werde rechts ranfahren, die Beifahrertür öffnen und fragen, ob ich irgendwie helfen kann. Vertrauen fängt dort an, wo das Risiko beginnt. Und wenn nur ein Trottel etwas riskiert, dann will ich eben ein Trottel sein.
Test - „Gutgläubig oder misstrauisch – was für ein Typ sind Sie?“
Kreuzen Sie an, welcher Buchstabe am ehesten auf Sie zutifft. Am Ende ist der Buchstabe entscheidend, der die meisten Kreuze bekommen hat.
1 Eine fremde, sauber gekleidete Frau spricht Sie am Bahnhof an. Sie behauptet, sie habe ihre Handtasche mit Handy und Brieftasche im Taxi vergessen, müsse aber unbedingt den nächsten ICE erwischen und sich deshalb 50 Euro von Ihnen leihen. Wie reagieren Sie?
A Ich gebe ihr das Geld. Schließlich handelt es sich um einen Notfall.
B Kommt darauf an. Wenn mir die Frau ehrlich erscheint, gebe ich ihr das Geld gern. Wenn ich ein schlechtes Gefühl habe, sage ich höflich ab.
C Ich sage ihr, dass ich kein Bargeld dabeihabe. Ich gebe nie etwas in solchen Situationen.
2 Sie wollen für drei Wochen in den Urlaub fahren. Wer kümmert sich in dieser Zeit um Ihr Haus oder um Ihre Wohnung?
B Ich bitte einen guten Freund oder einen Verwandten, regelmäßig nach dem Rechten zu sehen.
A Ich schließe einfach alle Fenster und Türen ab und verlasse mich auf die Wachsamkeit meiner Nachbarn.
C Ich habe eine Alarmanlage, die ein Sicherheitsdienst betreut. Gelegentlich rufe ich aus meinem Hotel die Nachbarn an und frage, ob alles in Ordnung ist.
3 Sie melden sich bei Facebook an. Wie viele Informationen stellen Sie von sich ins Internet?
C Bei Facebook anmelden? So weit kommt’s noch! Ich möchte im Netz nicht sichtbar sein.
B Ich lese mir vorher ein paar Fachartikel zum Thema durch und entscheide mich dann.
A Ich halte mich an die Standardeinstellungen. Schließlich habe ich nichts zu verbergen.
4 Im Urlaub lernen Sie ein einheimisches Paar kennen. Die beiden laden Sie zu einer Party ein – in ein Ihnen unbekanntes Stadtviertel. Was tun Sie?
B Ich verlasse mich auf meine Intuition. Wenn mir die beiden ehrlich erscheinen, feiere ich mit.
C Ich behaupte, schon etwas anderes vorzuhaben.
A Ich gehe natürlich hin. Tolles Abenteuer!
5 Mal angenommen, Sie geraten in eine finanzielle Notlage. Wie würden Sie sich verhalten?
C Dann könnte ich nur hoffen, dass meine Ersparnisse ausreichen. Mit der Hilfe von Freunden rechne ich nicht.
A Ich vertraue darauf, dass mir Freunde und die Familie helfen.
B Schwierig. Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich die Hilfe bekäme, die ich in so einem Fall erwarten würde.
6 Stellen Sie sich vor: Ihre 16-jährige Tochter will mit ihrem Freund, den Sie kaum kennen, übers Wochenende verreisen. Okay für Sie?
A Ja, wieso denn nicht? Ich könnte mich auf meine Tochter hundertprozentig verlassen.
C Nein, auf keinen Fall. Das kann sie mit 18 machen.
B Ich würde es wahrscheinlich erlauben, weil ich nicht spießig erscheinen will. Ein bisschen flau im Magen wäre mir schon.
7 Sie fühlen sich schon länger krank. Sie lassen sich untersuchen, bekommen ein Medikament, das aber kaum Besserung bringt. „Sie müssen Geduld haben“, vertröstet Sie der Arzt, „wir müssen vielleicht noch weitere Tests machen.“ Wie reagieren Sie?
A Er hat bestimmt recht. Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht. Ich befolge seinen Rat und warte ab.
B Wenn es in einer Woche immer noch nicht besser ist, gehe ich zu einem anderen Arzt.
C Das reicht mir nicht. Ich gehe gleich zu einem anderen Arzt.
Auswertung: Ihre Kreuzchen verraten es
Überwiegend Antwort A
Sie sind ein ausgesprochen offener Typ, der an das Guteim Menschen glaubt. Vermutlich sind Sie beliebt und haben viele Freunde. Dass Ihre Gutmütigkeit manchmal ausgenutzt wird, stört Sie nicht.
Überwiegend Antwort B
Sie neigen dazu, anderen zu vertrauen, und verfügen zugleich über eine exzellente Menschenkenntnis. Sie haben mit den Jahren gelernt, dass Sie sich auf Ihr Bauchgefühl verlassen können. Das bewahrt Sie fast immer vor Enttäuschungen.
Überwiegend Antwort C
Sie sind ein vorsichtiger Menschen, der nur selten Fehler begeht. Manchmal haben Sie jedoch das Gefühl, dass Ihr Leben ein bisschen aufregender und bunter verlaufen könnte.