
Es war ein Totalausfall. Aus meinem Mund kam nur noch ein Hauchen, ein kratziges Nichts. Zwei Jahre ist das her. Bei einer Schilddrüsen-OP waren damals einige Nerven verletzt worden. Diagnose: einseitige Stimmbandlähmung.
Kein Tag verging, an dem mir nicht schmerzhaft bewusst wurde, wie sehr mir etwas fehlte, das zuvor selbstverständlich war – meine Stimme. Ich bin Journalistin. Interviews oder Radioaufnahmen waren plötzlich undenkbar. Auf dem Spielplatz musste ich anderen Müttern frustriert zuflüstern, ob sie meine Kinder für mich rufen könnten. Schritt für Schritt half mir eine Logopädin dabei, meine Stimme wiederzufinden. Atmung trainieren. Einsätze üben. Kiefer lockern. Tönen. Summen. Langsam wurde es besser. Doch gepasst hat mir meine Stimme lange nicht. Sie war zu schwach, zu hoch, zu brüchig. Das war nicht ich. Meine verletzte Stimme machte mich verletzlich.
Die Stimmfarbe
Unsere Stimme verrät es zuerst, wenn Seele und Körper aus der Balance geraten „Ein derartiger Verlust der Stimme ist für Betroffene dramatisch. Erst wer keine mehr hat, merkt, wie wichtig sie ist“, weiß Birgit Pascher, HNO-Ärztin aus Fribourg in der Schweiz, spezialisiert auf Hör-, Sprach- und Stimmstörungen. Experten wie sie wissen genau, wie eng Stimme und Stimmung, also die Psyche, zusammenhängen. Ihr Klang verrät häufig zuerst, dass das Körper-Seele-Gleichgewicht aus den Fugen geraten ist. „Ich hab einen dicken Hals“, sagen wir, wenn uns etwas ärgert. Andere müssen sich ständig räuspern. Und vor allem Frauen sprechen (zu) leise und (zu) hoch.
Doch wer piepst, statt zu sprechen, wird nicht ernst genommen. Da nützen auch die beste Ausbildung und die größte Erfahrung nichts. Dünne Stimmen finden nur selten Gehör. Oder sie werden von männlichen Organen einfach überstimmt. „Entschuldigen Sie, Herr Kollege, ich bin mit meinem Vortrag noch nicht fertig“, könnte (und sollte) Frau dann selbstbewusst und mit fester Stimme erklären.Stattdessen wird die Tonlage bei vielen in solchen Situationen noch höher und schriller: „Könnten Sie mich vielleicht mal aussprechen lassen?!“ Souverän klingt das dann nicht mehr. Eher nach bockigem Kind. Oder – noch schlimmer – hysterisch. Wer so um Zuhörer kämpft, darf zwar weiterreden, etwas erreichen wird er aber nicht mehr.
Das Stimmen-Seminar
Im Seminar hören viele Frauen zum ersten Mal, wie kräftig ihre Stimme wirklich ist Kommunikationstrainer Paul Johannes Baumgartner aus München kennt dieses Problem. „Ein Nein muss auch wie ein Nein klingen. Bei vielen Frauen aber steht ein unsichtbares Oder dabei“, erklärt der Stimmprofi. Insbesondere, wenn die Tonlage vor Aufregung oder Selbstunsicherheit am Ende des Satzes nach oben geht. Was als Aussage gedacht war, wird zu einer Frage, die wie eine kniefällige Bitte klingt.
In Baumgartners Seminar „Die Macht der weiblichen Stimme“ lernen die Teilnehmerinnen deshalb, ihre Standpunkte klar und eindeutig zu vertreten. „Häufig hindert die Erziehung Frauen daran, selbstbewusst zu sprechen“, weiß Baumgartner. „Viele haben beigebracht bekommen, dass Frauen, die laut und deutlich ihre Position vertreten, Hyänen sind.“ Diesen inneren Dämpfer gilt es zu lösen. Um das zu erreichen, analysiert Baumgartner die Stimmen seiner Klientinnen, übt mit ihnen die bewusste Zwerchfellatmung, doziert über Körperhaltung, Artikulation und Sprechtempo. In der geschützten Seminar-Atmosphäre werden viele Frauen zum ersten Mal richtig laut. „Das ist ein wichtiges Aha-Erlebnis“, sagt Baumgartner.
Stimme lässt sich trainieren
Das bedeutet jedoch nicht: Wer am lautesten schreit, hat recht. Es kommt auch auf den Inhalt an. „Wenn wir uns inhaltlich nicht sicher sind, drückt sich das wiederum in unserer Körpersprache und auch in der Stimme aus“, stellt Baumgartner klar. Und die Münchner Logopädin Angela Rösch ergänzt: „Unsere Stimme verrät sogar unbewusst, was wir tatsächlich über den Inhalt des Gesagten denken.“
Wer jetzt jedoch sorgenvoll versucht, Versprecher zu umschiffen, weil sie, wie Sigmund Freud schon warnte, unser Innerstes enthüllen, darf sich entspannen. „Solche Versprecher enthüllen tatsächlich etwas“, erläutert Prof. Gary Dell, Linguist und Psychologe an der Universität Illi- nois in den USA, den aktuellen Forschungsstand. „Aber nur, wie sprachgewandt wir sind.“ Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Denn dass wir überhaupt sprechen können, ist eine Meisterleistung unseres Gehirns. Drei verschiedene „Netzwerke“ müssen dafür in Bruchteilen von Sekunden koordiniert werden. „Dabei können sie auch mal übereinanderstolpern“, sagt Dell. Die Folge: Versprecher. „Oder stellen Sie sich vor, Sie essen mit einem Kollegen, der eine neue Uhr trägt“, fährt Dell fort. „Dann kann es durchaus passieren, dass Sie beim Kellner eine Uhr statt eine Gabel bestellen.“ Das zeige aber nur, dass etwas unsere Aufmerksamkeit fesselt.

Die Stimme trainieren
Verborgene Wünsche? Fehlanzeige. Die perfekte Stimme? Gibt es nicht. Doch sie lässt sich trainieren wie ein Muskel Gleichwohl wird jemand, der eine Position vertreten soll, hinter der er eigentlich nicht steht, vermutlich wenig überzeugend klingen. Auch Angst oder Freude sind hörbar. Radiomoderatoren stellen deshalb gern mal einen Spiegel vor sich auf, damit sie daran denken, zu lächeln – und schon klingt die Stimme sympathischer. Angst dagegen macht die Stimme eng. Wer Angst vor einem Vortrag hat, ist gestresst. Dies führt zu einer Muskelanspannung, zu weniger Atemvolumen, die Stimmlippen im Kehlkopf geraten unter Druck, Mund und Rachen fühlen sich trocken an. Die Folge: Die Stimme schwächelt – und das löst neuen Stress aus. „Das ist ein Teufelskreis“, sagt Logopädin Rösch. Der lässt sich aber mit relativ einfachen Mitteln durchbrechen. „Wenn ich merke, dass meine Stimme bei Stress dünn und piepsig wird, kann es schon helfen, Entspannungsübungen wie Qigong oder autogenes Training zu machen“, rät Medizinerin Birgit Pascher. Die perfekte Stimme? Gibt es nicht! Aber jeder kann seine Stimme trainieren, so wie ein Sportler seinen Körper. Für VITAL hat Angela Rösch deshalb einige Übungen zusammengestellt . Und meine eigene Stimme? Ist wieder voll da. Die Nervenverletzung ist abgeheilt. Bin ich nicht müde und gestresst, klingt sie – dank Sprechtraining – sogar besser als vor der Operation.
Hier finden Sie die Stimmübungen von Angela Rösch zum Nachmachen und Tranieren.