
Je mehr Scheidungen, desto mehr „Secondhand-Singles” tummeln sich auf dem Beziehungsmarkt. Wer sich einen angelt, wird nach der ersten Verliebtheit oft von der Flut der Probleme überrascht. Denn die Vergangenheit lässt sich nicht so einfach trennen vom neuen Glück. Vor allem wenn Kinder mit im Spiel sind. Doch wer einen langen Atem behält, wird hinterher meist belohnt…
„Ich hatte ihn nie exklusiv“, schildert Nina, 42, ihre Erfahrungen mit Tom, 47. „Vor allem zu Beginn hatte ich das Gefühl, dass seine Ex unser Leben regelrecht beherrscht. Leider hatten die beiden die Trennung noch nicht verarbeitet, als ich ins Spiel kam.“ Vor sechs Jahren lernte die Berliner Biochemikerin den Fachkollegen Tom bei einer Tagung kennen. Da lebte sie mit ihrer Tochter Emma, damals 6, bereits allein. Ihr Exmann Louis war nach der Scheidung zwei Jahre zuvor in sein Heimatland Spanien zurückgekehrt.
Tom hingegen war gerade erst zu Hause ausgezogen, seine Frau hatte sich in einen anderen verliebt. Emotional schwer angeschlagen, knabberte er besonders an der Trennung von Söhnchen Henri, damals 4. „Wir verliebten uns Hals über Kopf. Freuten uns über die unerwartete neue Chance. Und wunderten uns nach dem Einzug in die gemeinsame Wohnung, dass nichts, aber auch gar nichts klappte“, erinnert sich Nina.
So wie Nina und Tom geht es immer mehr Paaren in Deutschland. Schließlich gehen 40 Prozent aller Ehen zu Bruch. Für die Getrennten kein Grund, danach die Finger von Beziehungen zu lassen. Im Gegenteil. Schätzungen zufolge heiraten zwei Drittel der Geschiedenen wieder. Die Hälfte davon schon innerhalb von drei Jahren nach der Scheidung – Männer haben es doppelt so eilig wie Frauen. Und jedesmal ist das die Geburtsstunde einer sogenannten „Zweitfamilie“. Wovon es unendlich viele Varianten gibt: Mal bringt er Kinder mit, mal sie und manchmal beide. Mal gibt es gemeinsamen Nachwuchs, mal nicht. Fast immer entsteht eine auf verschiedene Wohnorte verteilte Patchworkfamilie mit den unterschiedlichsten (stief-)verwandtschaftlichen Verknüpfungen. Ein kompliziertes, sensibles System. „Keine Frage, als Zweitfrau hat man es mit einer anspruchsvollen Herausforderung zu tun. Viele unterschätzen das“, weiß die Hamburger Paartherapeutin Anna Finne-Teschke aus ihrer Praxis und aus eigener Erfahrung. „Alle Beteiligten stecken voller Hoffnungen. Vieles entpuppt sich als Illusion. Doch wer sich davon nicht abschrecken lässt, fühlt sich am Ende meist bereichert. Secondhand-Beziehungen erweitern den eigenen Horizont und die sozialen Fähigkeiten, sorgen für Inspiration und Lebendigkeit.“
Trennungen aufarbeiten
Damit der Anfang leichter gelingt, sollten laut Expertin vorangegangene Trennungen mental und organisatorisch komplett abgewickelt sein. „Die beiden Expartner brauchen Zeit, um ihre Gefühle zu klären, sich zu sammeln und die Gründe für ihr Scheitern aufzuarbeiten. Erst dann ist Platz für einen Neuanfang. Leider neigen gerade Männer dazu, sich zu schnell in eine neue Beziehung zu stürzen, sozusagen als Balsam für ihre Wunden und zur Wiederherstellung ihres männlichen Stolzes.
Das erhöht die Belastung für den neuen Partner.“ Doch in diesem Punkt sind viele erst hinterher klüger. So wie Nina. Ehe sie sich’s versah, steckte sie mitten in Toms Trennungsdrama.Brütete nächtelang mit ihm über Gesetze, Urteile und Rechnungen. Es kamen hohe finanzielle Verpflichtungen auf ihn zu, die sie indirekt mittragen musste. Weil ihr eigener Unterhalt mit dem Zusammenziehen flöten ging, musste sie ihre Arbeitszeit erhöhen. Aber Nina steckte nicht nur finanziell zurück. Es ging auch um ihre emotionalen Bedürfnisse. Denn natürlich träumte sie auch als geschiedene Frau von Romantik in der Beziehung und wollte, dass ihr Partner ganz für sie da ist. Aber als „die Neue” musste sie sich von diesen inneren Erwartungen verabschieden. „Es war wie in einer Beziehung zu dritt. Toms Ex rief ständig an. Mal, weil sie den Weihnachtsschmuck nicht fand, mal, weil sie Henris Schnupfen besprechen wollte. Mich kränkte dieser permanente Zugriff auf Tom und unser Privatleben. Auch wenn ich manches rational verstehen konnte.“ Zoff gab es auch bei der Wochenend- und Urlaubsplanung. Tom stimmte die Termine zuerst mit seiner Exfrau ab. Für Ninas Wünsche gab es kaum Spielraum. Er hatte Angst vor negativen Auswirkungen auf die Scheidungsvereinbarungen. Erst nach Monaten lernte Nina, darauf zu bestehen, was ihr wichtig ist, und fuhr gegebenenfalls allein mit Emma weg.
Rücksichtnahme und eigene Bedürfnisse
„Der Spagat zwischen Rücksichtnahme und dem Durchsetzen eigener Bedürfnisse ist das Schwierigste“, erklärt Anna Finne-Teschke. „In vielen Bereichen müssen Zweitfrauen tatsächlich zurückstehen, so schmerzlich das ist. Die Erstfamilie kann nun mal nicht ausradiert oder ignoriert werden. Das gilt besonders in Bezug auf die Kinder. Auf der anderen Seite müssen Zweitfrauen sich und ihrer Linie natürlich auch treu bleiben. Sonst fühlen sie sich fremdbestimmt und werden unglücklich. Da ist es wichtig, sich klar zu positionieren und sich notfalls auch mal gegen die Erwartungen zu stellen.“ Eine weitere Quelle für Spannungen: die Ex. Am liebsten würde man sie zusammen mit alten Fotos ad acta legen. Aber das geht nicht, wenn sie Mutter der gemeinsamen Kinder ist. Dann ist sie indirekt Teil des Beziehungskonstrukts. Die Therapeutin: „Die meisten Zweitfrauen streben anfangs ein gutes Verhältnis zu ihr an. Aber den wenigsten gelingt das in der Praxis. Es gibt zu viele explosive Berührungspunkte. Ich finde deshalb ein freundliches, aber distanziertes Verhältnis völlig okay.“
Und doch gibt es diese fast masochistische Neugierde bei Frauen. Wer ist diese Exfrau, die der Partner mal geliebt hat? Ist sie hübscher, tougher, erfolgreicher als man selbst? Aber dann tut es verdammt weh, wenn andere von ihr sprechen. „Es ist einfach schwer, eine Position einzunehmen, die vorher schon besetzt war und oft nicht wirklich frei ist“, findet Nina. „Am Anfang war es komisch, wenn wir bei Toms Eltern, Verwandten oder nFreunden waren. Sie nahmen mich zwar freundlich auf. Aber ich spürte Blicke, die mich mit ihr verglichen. Das verunsicherte. Wenn ich einen schlechten Tag hatte, dachte ich sogar, dass auch Tom innerlich Vergleiche zieht. Schließlich hat sie ihn verlassen. Für ihn war offenbar alles in Ordnung. Manchmal hatte ich Angst, ich sei nur der willkommene Ersatz, bis ihn seine Verflossene zurücknimmt. Wie gut, dass ich über diese Ängste mit Tom sprechen konnte und er mir Sicherheit gab.“
Gebrauchte Männer
Die Fähigkeit, zu kommunizieren, gehört laut der Hamburger Expertin zu den großen Pluspunkten der sogenannten „gebrauchten“ Männer. Sie wissen aufgrund ihrer Erfahrung meist, dass gute Beziehungen keine Selbstverständlichkeit sind. Sie schätzen, was sie an ihrer Partnerin haben, und möchten eigene Fehler nicht wiederholen. Weil sie älter sind als beim ersten Mal, haben sie an Lebensweisheit gewonnen und sind oft gelassener. Davon können die neuen Partnerinnen profitieren. Vollkommen neu hingegen müssen getrennt lebende Männer ihr Verhältnis zu ihrem Nachwuchs definieren. Laut Schätzungen sind bei jeder zweiten Scheidung Kinder betroffen. Danach leben diese hauptsächlich bei der Mutter, sehen den Papa in der Regel jedes zweite Wochenende und in den Ferien. „Das löst bei vielen Vätern Schuldgefühle aus. Sie können ihrer Vaterrolle nicht mehr so nachkommen, wie sie das gern möchten“, so Anna Finne- Teschke.
Die Folge davon: Sie packen in ihre Papa-Zeit möglichst viel hinein. Auch Tom strengte sich an, Henri jedes Mal ein attraktives Programm zu bieten: auf die Kartbahn, ins Schwimmbad, zum Rummel – und dann noch mal in die Eisdiele. Als Wochenend-Papa wollte er lieber guter Kumpel sein als konsequenter Erzieher. Auch damit hatte Nina so ihre Probleme. Natürlich unterstützte sie, dass Tom für Henri ein guter Vater ist. Aber es tat weh, dass Emma und sie an Besuchstagen oft nur Statisten waren. Tom war Henris Papa und sonst gar nichts. Außer wenn es um die Versorgung ging. Für Hunger, schmutzige Wäsche und Hausputz war Nina zuständig. Da fiel es manchmal schwer, die liebevolle Ersatz-Mama zu sein. Und umgekehrt hatte Tom Schwierigkeiten damit, ihre Tochter Emma mehr um sich zu haben als seinen eigenen Sohn. Ihm kam es vor wie Verrat an Henri, und er konnte sie zunächst nicht wirklich an sich heranlassen.
Gefühlswirrwarr
Das Gefühlswirrwarr dem fremden Kind gegenüber ist oft sehr groß, das stellen die meisten Ersatzeltern fest. Man möchte einerseits ein liebevolles Verhältnis, aber da sind auch Hemmschwellen – auf beiden Seiten. Denn auch die Kinder haben Vorbehalte. Oft wollen sie aus Loyalität zu ihrem abwesenden Elternteil mit dem/der Neuen nichts zu tun haben. „Nächtelang haben wir uns zum Thema Kinder den Kopf zerbrochen“, erzählt Nina. „Es half, uns klarzumachen, dass biologische Verbindungen eben anders sind als andere. Da darf man nicht zu viel erwarten. Wir haben uns angestrengt, ein liebevolles, respektvolles Verhältnis zum jeweils fremden Kind aufzubauen – ohne zu viel Kritik und Einmischung in dessen Erziehung. Mittlerweile klappt das ganz gut. Auch Emma und Henri kommen gut miteinander klar. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass wir konsequent neue gemeinsame Familienregeln aufgestellt haben und keiner sich benachteiligt fühlt.“ Klingt nach einer Menge Arbeit. Da ist es nicht verwunderlich, dass es in vielen Fällen zur Ernüchterung kommt. Mehr als die Hälfte der Zweitfamilien trennt sich laut Statistik wieder. Die Einschränkungen für das eigene Leben werden oft zur Zerreißprobe. Besonders gravierend ist das, wenn sich der Wunsch nach dem eigenen Kind nicht erfüllt. Das betrifft vor allem jüngere Frauen. Denn oft schrecken Männer vor neuen Vaterpflichten zurück, sei es aus emotionalen oder aus materiellen Gründen. Zumindest hat der Gesetzgeber jetzt für einen Lichtblick gesorgt. Seit 1. Januar 2008 kann der Exfrau nun schon früher eine (Teilzeit-) Arbeit zugemutet werden, und die neue Frau ist in der Rangfolge der Unterhaltsberechtigten aufgerückt. Darüber hinaus regelt vieles die Zeit. Mit den Jahren wird es meist einfacher. So wie bei Nina und Tom.
Mittlerweile lebt Toms Exfrau wieder in einer Beziehung und Tom ist nicht mehr unterhaltspflichtig, was die Familienkasse erheblich entlastet. Auch in anderen Punkten haben Nina und Tom heute, nach vier Jahren Patchwork-Erfahrung, das Gefühl, über den Berg zu sein. Das hängt zum Teil mit der Geburt des gemeinsamen Sohns Finn, 1, und der anschließenden Hochzeit zusammen. Nina: „Dadurch sind wir alle noch ein bisschen näher zusammengerückt. Außerdem hat heute jeder seine eigene Position gefunden. Auch ich fühle mich in meiner Rolle deutlich wohler. Unter anderem, weil ich gelernt habe, die Vergangenheit zu würdigen, aber mich von Dingen abzuwenden, die ich als Belastung empfinde. Ich muss ja nicht bei jeder problematischen Familienfeier dabei sein… Belohnt werde ich mit einer bunten, lebendigen Großfamilie. Und mit einem wunderbaren Mann, der wie ich Lust hat, an Herausforderungen immer weiter zu wachsen.“