
Manchmal muss das Wasser kalt sein, damit einer aufwacht. Manchmal ist ein Rettungsring nichts anderes als eine Fessel. Und manchmal machen wir jemanden klein, indem wir versuchen, ihn groß zu machen. Diese Gedanken gingen mir durch den
Kopf, als ich vor einiger Zeit in einem Kölner Café einen alten Freund wiedertraf. Nicht irgendeinen, sondern meinen alten Freund. Meinen Ex. Vor langer Zeit waren wir ein Paar. Jahre, in denen ich für ihn immer mehr zu einer Mischung aus Psychotherapeutin, Krankenschwester und Mutterersatz mutierte. Dieser sensible, hübsche Kerl hatte nur ein Problem: sein Leben, ganz allgemein. Der Wohnort zu öde, die Kollegen zu spießig, seine Mutti zu übergriffig – nichts passte ihm. Stundenlang suchte ich für ihn nach Lösungen. Nur, um mir am Ende erklären zu lassen, warum seine Situation völlig aussichtslos war. Irgendwann fühlte ich mich leergeliebt, ausgesaugt, vollgestopft mit negativen Gedanken. Ich machte Schluss, nicht ohne Sorgen und Schuldgefühle.
Man muss auch an sich denken
Umso erstaunlicher fand ich es, den unselbstständigen Jungen von damals nach 20 Jahren wiederzusehen. Er hatte sein Leben tatsächlich komplett umgekrempelt. War umgezogen, hatte den Beruf gewechselt, klärende Gespräche mit seiner Mutter geführt. Und zwar nicht erst vor Kurzem. Sondern fast sofort nach unserer Trennung. Meistens läuft es doch so: Wenn wir jemanden lieb haben, wollen wir ihn nach Möglichkeit unterstützen, das Beste aus ihm herausholen, ihm Steine aus dem Weg räumen. Wir recherchieren online Stellenanzeigen für unsere Männer, hören uns geduldig die Liebeskummer-Endlosschleifen unserer besten Freundin an, ziehen unseren Kindern noch im Vorschulalter die Hausschuhe über und lesen später ihre Uni-Bewerbungen Korrektur. Leider passiert dann häufig genau das Gegenteil von dem, was wir bezwecken.
Statt uns dankbar um den Hals zu fallen, fühlen sich Männer, Freundinnen und Kinder entweder in ihrer eigenen gedanklichen Trägheit ermutigt: Wozu selbst um Socken und Seelenmüll kümmern, ich hab doch diese praktische Servicekraft! Oder das Gegenteil: Sie fühlen sich entmutigt von ihrer patenten Gattin, Seelenverwandten und Mama, und reagieren darauf wie bockige Teenager.
Denn während im besten Fall die Gedanken von zwei Menschen ineinandergreifen wie Zahnräder, die sich gegenseitig antreiben, verhaken sie sich im schlechtesten Fall so, dass sie nur im Leerlauf drehen. Mit wahnsinniger Geschwindigkeit, aber ohne jedes Ergebnis. Und deshalb hilft eben manchmal nur eines, so schwer es fällt: Maschine abstellen. Mitdenken einstellen. Hände in den Schoß. Und zwar bevor der Frust auf beiden Seiten so groß wird, dass man sich aus dem Weg geht. Was ich noch aus der Begegnung mit meinem Exfreund gelernt habe? Erstens zieht mein Sohn ab heute seine Hausschuhe allein an (wozu gibt’s Klettverschlüsse?), zweitens flüstere ich meinem Mann beim Kita-Sommerfest nicht mehr zu, welcher von den anderen Vätern sich fürs Job-Networking eignet. Schließlich ist er selbst groß. Und drittens weiß ich jetzt, wo ich in Köln den besten Kaffee kriege. Falls ich mal wieder in die Nähe meines Ex-freundes fahren sollte.