Raus aus der Grübelfalle

Raus aus der Grübelfalle

Über sich selbst nachzudenken ist normal. Doch wenn wir uns zu oft in Gedankenknoten verheddern, wird es Zeit, dass wir mutig die Schere ansetzen. So befreien Sie sich.

Frau mit einer Schere© jalag-syndication.de
Frau mit einer Schere
Einfach mal nichts tun. Kein Telefon, kein Handy, keine E-Mails, keine Termine. Eine wunderbare Vorstellung. Doch ausgerechnet in solchen kostbaren Momenten lenkt unser Gehirn die so schön schweifenden Gedanken immer auf das gleiche Thema: unser Ich. Ego-Pflege hat es dabei selten im Sinn. „Manchmal wandert der Geist zwar auch zu angenehmen Gedanken oder Fantasien, häufiger allerdings fühlt er sich anscheinend zu Grübeleien und Sorgen hingezogen“, bestätigt der US-Psychologe und Autor Daniel Goleman („Konzentriert Euch!“, Piper, 384 Seiten, 19,99 Euro). Mehr noch: Dass wir uns stets selbst ins Rampenlicht stellen, solange unsere Aufmerksamkeit nichts Wichtigeres ausleuchten muss, hat die Evolution offenbar in unseren Gehirnen voreingestellt, fanden Neurowissenschaler heraus. Unsere grauen Zellen bilden ein regelrechtes Selbstbezogenheitsnetzwerk, das agiert wie der lustige Bildschirmschoner an unserem Computer, der zuverlässig anspringt, wenn wir Kaffeepausen einlegen. Nur, dass in unserem Kopf keine bunten Fische oder geometrischen Figuren kreisen, sondern lästige Fragen, die gern mal an unserem Selbstbewusstsein nagen.

Grübeln führt zu Schlafstörungen

Grübeln gehört also ein Stück weit zu unserer Natur. Vor allem morgens, wenn der Geist noch nicht ganz wach ist, und abends, wenn die Anspannung des Tages abfällt, neigen wir dazu. Solange wir den „Ich-Kinosaal“ ohne Probleme wieder verlassen können, besteht kein Handlungs- bedarf. Doch jeder vierte Erwachsene in Deutschland bleibt laut einer Umfrage der DAK-Gesundheit in Hamburg im Kinosessel kleben. Nächtliches Grübeln bilde die häufigste Ursache für Schlafstörungen, so das Ergebnis der Umfrage. Die Zimmerdecke über dem Bett mutiert dann zu einer Leinwand für zunehmend lähmende Szenen. „Die Gedanken werden abstrakter, und die Chance, dass einem eine Antwort auf seine Fragen einfällt, wird zunehmend geringer. Gleichzeitig wird das Denken immer negativer“, erklärt Tobias Teismann, geschäsführender Leiter des Zentrums für Psychotherapie an der Universität Bochum („Grübeln“, Psychiatrie Verlag, 136 Seiten, 14,95 Euro).
Meist schubst ein konkreter Anlass das Gedankenkarussell an: „Warum hat mich der Chef heute nicht gegrüßt?“ Aussteigen wäre jetzt noch möglich. Doch unbewusste Erwartungen – „Ich werde es besser verstehen, wenn ich gründlich darüber nachdenke“ – verhindern das und beschleunigen stadessen die Fahrt. Mit jeder Umdrehung schwillt das „Problem“ weiter an: Warum passiert das immer nur mir? Warum habe ich noch diesen Job? Warum mache ich es mir so schwer? „Hefeteig-Effekt“, nannte das die 2013 verstorbene US-Psychologin Susan Nolen-Hoeksema („Warum Frauen zu viel denken“, Heyne, 256 Seiten, 7,95 Euro). Negative Gedanken gehen auf in weiteren negativen Gedanken. Die Grübelfalle schnappt zu.

Vorsicht Grübelfalle

Aber wo verläuft die Grenze? Die wievielte Denkschleife verwandelt die Selbst-Reflexion in Selbst-Demontage? Das beantwortet die „Zwei-Minuten-Regel“: Wenn Sie unsicher sind, ob Sie grübeln, fahren Sie für zwei Minuten mit dem fort, was Sie tun. Stellen Sie sich dann drei Fragen: Bin ich mit dem Lösen des Problems vorangekommen? Habe ich etwas verstanden, was mir vorher noch nicht klar war? Bin ich in der Zeit weniger selbstkritisch, weniger niedergeschlagen? Können Sie keine der drei Fragen mit Ja beantworten, bewegen Sie sich Richtung Grübelfalle. Wie hoch Ihr Risiko liegt hineinzutappen, verrät Ihnen außerdem unser Test links. Beobachten Sie auch, welche Art Fragen Sie sich stellen: Beim nützlichen Problemlösen dominieren sachliche, zielorientierte Wie-Fragen, z. B. „Wie gehe ich vor?“, mit denen Sie über die Gegenwart nachdenken. Wenn Sie sich berechtigte Sorgen machen, lenken „Was wäre, wenn?“- Fragen Ihren inneren Monolog: „Was ist, wenn das alte Auto kapugeht?“ Mit deren Hilfe versuchen Sie, sich auf die Zukunft vorzubereiten.
Im Gegensatz dazu bohrt sich Grübeln in die Vergangenheit. Warum-Fragen – „Warum ru er nicht an?“ – springen von einem Thema zum nächsten, und keines wird abgeschlossen. Warum tun wir uns das an? „Die eine Erklärung für anhaltendes Grübeln gibt es bislang nicht“, fasst Psychologe Tobias Teismann den momentanen Forschungsstand zusammen. Fest steht: Menschen, die den Erziehungsstil ihrer Eltern als überkontrollierend beschreiben, neigen eher zum Grübeln. Das Risiko steigt weiter, wenn Grübeln positiv bewertet wird, im Sinne von „Ich grüble, um mich besser zu verstehen und mich dadurch zu ändern“. Oder wenn es negativ wahrgenommen wird: „Dieses Grübeln wird mich noch krank machen.“ Eine entscheidende Rolle spielt obendrein die Frage: Wie nah lasse ich Gedanken an mich heran? Klingt paradox. Näher als im eigenen Kopf geht ja kaum. Stimmt. „Was wir uns im Alltag aber nur selten vor Augen führen, ist, dass unsere Gedanken nicht eins zu eins die Realität abbilden, sondern nur eine mögliche Interpretation unserer Umwelt darstellen“, erklärt Tobias Teismann. Wer aufblitzende Selbstkritik – „Ich bin so ein Versager!“ – immer für bare Münze nimmt, tappt eher in die Grübelfalle.
Um sie zu umgehen, sind drei Punkte entscheidend:
1. Typische Grübelsituationen schriftlich (!) unter die Lupe nehmen: Was löst das Grübeln aus? Worum geht es? Wie fühle ich mich dabei? Wie bewerte ich mein Grübeln und mich selbst, während ich grüble? Versuche ich durch das Grübeln vielleicht, andere Dinge aufzuschieben?
2. Die eigene Aufmerksamkeit bewusster steuern. Dabei hilft z. B. die Übung „Ohren auf“.
3. Den emotionalen Abstand zum eigenen Denken vergrößern, z. B. mit der Übung „Blätter im Fluss“.
Lassen Sie sich Zeit. „Um das Grübeln zu überwinden, ist es wichtig, ihm in dieser Weise über mehrere Wochen auf den Grund zu gehen“, empfiehlt Tobias Teismann. Peu à peu spüren Sie so Ihr persönliches Grübelmodell auf, erkennen Zusammenhänge und bringen Ordnung ins Gedankenchaos. „Beides hil Ihnen, schneller aus Grübelprozessen auszusteigen.“ Kein Telefon, kein Handy, keine E-Mails, keine Termine? Wunderbar! Genießen Sie den Moment, und lassen Sie Ihren Geist mal ganz entspannt schweifen.

Übungen: Denkschleifen lösen

OHREN AUF
Setzen Sie sich in eine Umgebung mit angenehmen Geräuschen. Schritt 1: Richten Sie Ihre Konzentration fünf Minuten nacheinander für jeweils ca. 30 Sekunden auf einzelne Geräusche. Schritt 2: Springen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit fünf Minuten jeweils zum nächsten Geräusch, sobald sie ein anderes genau hören. Schritt 3: Versuchen Sie zwei Minuten, möglichst viele Geräusche gleichzeitig wahrzunehmen. Bewerten Sie Ihre Konzentration schriftlich („-3“ = total bei mir, „+3“ = total außen). Zweimal täglich üben. Das hilft, die Aufmerksamkeit von sich selbst loszueisen.
KEINE KONTROLLE?
Knapp 60 von 100 Grüblern glauben, dass sie automatisch in Denkschleifen hineinrutschen. Sie auch? Zeit für einen Realitäts-Check! Stellen Sie sich folgende Fragen: Wenn Grübeln unkontrollierbar ist, wie kommt es, dass es ir- gendwann aufhört? Könnten Sie versuchen, noch intensiver zu grübeln? Was geschieht mit Ihrem Grübeln, wenn etwas Unerwartetes passiert? Also: Wer hat wirklich die Kontrolle? Sie!
GRÜBELN ALS STARTSCHUSS
Denkschleifen knoten, Denkschleifen knoten, Denkschleifen... Stopp! Taucht die erste auf, sagen Sie sich in Zukunft bewusst: „Aha, ich grüble, also muss ich aktiv werden.“ Gehen Sie spazieren, treiben Sie Sport, machen Sie Musik, treffen Sie Freunde, graben Sie den Garten um, kurz: Lenken Sie sich ab. Wichtig: Den Fragen, die trotzdem immer wieder auftauchen, müssen Sie sich irgendwann zuwenden. Dauerablenkung funktioniert nicht.
GRÜBELAUFSCHUB
Taucht die erste Denkschleife auf, schreiben Sie auf, worum es geht, und sagen Sie sich bewusst: „Dafür nehme ich mir später Zeit.“ Legen Sie jeden Tag eine Uhrzeit fest (mind. zwei Stunden vor dem Zubettgehen), zu der Sie 15 bis 20 Minuten grübeln dürfen. Stellen Sie sich zu Beginn den Wecker. Klingelt er, gehen Sie sich das Gesicht waschen, und setzen Ihren Alltag fort.
BLÄTTER IM FLUSS
Nehmen Sie eine bequeme Körperhaltung ein. Schließen Sie die Augen. Atmen Sie ruhig ein und aus. Stellen Sie sich einen ruhigen Fluss vor, der durch eine Landschaft fließt, die Ihnen gefällt. Suchen Sie sich am Ufer einen schönen Sitzplatz. Blätter treiben an Ihnen vorbei. Woran denken Sie? Lassen Sie jeden Gedanken gelassen aufsteigen. Greifen Sie nach einem Blatt, und befestigen Sie Ihren Gedanken daran. Legen Sie das Blatt zurück aufs Wasser und beobachten Sie, wie Ihre Gedanken nach und nach davonschwimmen. Nach fünf Minuten (Wecker stellen) verabschieden Sie sich von Ihrer Landschaft.
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