Menschen sind mehr als Zahlen

Menschen sind mehr als Zahlen

Eine Arbeitsvermittlerin, die kritisch über Hartz IV bloggt? Prompt stellte das Jobcenter Inge Hannemann, 45, frei

Inge Hannemann© Frank Schwarz
Inge Hannemann

Sie wirkt in sich ruhend – und strotzt vor Energie. „Hartz-IV-Rebellin“ wird Inge Hannemann genannt. Tatsächlich setzt sie ihren eigenen Job aufs Spiel, um „ihren Menschen“ zu helfen. Denn die Arbeitsvermittlerin eines Hamburger Jobcenters weigert sich, Hartz-IV-Empfänger mit den üblichen Sanktionen zu belegen. Etwa Geldzuweisungen zu kürzen, wenn sie nicht zu einem Beratungstermin erscheinen. Sie spricht lieber mit den Leuten, als gleich durchzugreifen. „Oder ich nehme Sanktionen zurück, wenn ich entsprechende Belege bekomme“, erklärt sie.

Menschen sind nicht alle gleich

Mehr noch: Seit gut einem Jahr schreibt Inge Hannemann auf ihrer Internetseite „altonabloggt“ über das, was im Jobcenter und in der Agentur für Arbeit falsch läuft. Zwar fand sie viele Unterstützer. Doch die Reaktion des Jobcenters fiel heftig aus: Die 45-Jährige wurde im April von ihrer Arbeit freigestellt. Aber Wegsehen? Kommt für die studierte Journalistin nicht infrage. „Ich habe einen starken Gerechtigkeitssinn“, sagt sie. „Schon als Kind stellte ich mich vor schwächere Mitschüler. Meine Eltern haben immer gesagt: Jeder Mensch ist gleich.“ Ihr Vater engagierte sich bei Amnesty International, die Mutter in der Frauenbewegung.

Harte Methoden beim Arbeitsamt

Zu ihrem heutigen Beruf kam Inge Hannemann „aus Geldnot“: Ihre Honorare als Dozentin bei Bildungsträgern reichten nicht mehr. „Ich war ja alleinerziehend“, erzählt sie. 2005 begann sie im Jobcenter, anfangs mit Spaß. „Ich wollte immer mit Menschen arbeiten und helfen. Dann wurden wir aber dazu angehalten, Zahlen zu erfüllen.“ Versäumt ein Kunde einen Beratungstermin, können seine Leistungen um 10 Prozent gekürzt werden. Will er eine Arbeitsstelle nicht annehmen, um 30 Prozent, beim zweiten Mal um 60 Prozent. Irgendwann fällt die Leistung ganz weg. „Das ist heftig, es geht um die Existenz“, sagt Inge Hannemann. „Außer dem sollen wir Menschen in prekäre Zeit arbeits jobs oder sinnlose Weiterbildungsmaßnahmen vermitteln.“

Wie sie das System verändern will? „Ich sympathisiere mit dem Grundeinkommen. Eine Alternative wäre auch ein Mindestlohn von zwölf Euro. Oder man reformiert das alte System der Arbeitslosen- und Sozialhilfe komplett.“ Greift die Auseinand ersetzung sie an? Dass Kol- legen sich von ihr abwenden? „Ich fühle mich nicht persönlich angegangen“, sagt sie. „Es geht mir um die Sache. An meinen vielen Unterstützern sehe ich, dass ich recht habe.“ Mithilfe einer Psychotherapeutin erarbeitet sie Methoden, um sich selbst vor Burn-out zu schützen. „Mein Mann klappt manchmal mein Laptop zu und sagt: Bitte mach Pause“, erzählt sie. Die 20-jährige Tochter, die in Frankreich und Ungarn studiert, ist stolz auf ihre Mutter. Inge Hannemann lacht: „Wir diskutieren über Politik, gehen aber nicht konform. Sie wählt die CDU.“ Dann wird sie ernst: „Ich glaube nicht, dass ich langfristig an meine Arbeitsstelle zurück kann.“ Zukunftsangst kennt sie dennoch nicht: „Ich h abe schon neue Angebote, auch im Journalismus. Ich mach immer weiter.

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