
VITAL: Wenn Sie nicht mit 21 Jahren einen schweren Motorradunfall gehabt hätten – wie sähe Ihr Leben heute aus?
Kirsten Bruhn: Ganz sicher wäre ich keine Leistungssportlerin! Denn ich hatte zwar auch vorher schon sportliche Ambitionen, aber mit Leuten wie der Weltrekordschwimmerin Britta Steffen hätte ich nicht mithalten können, da hätte ich schon in jüngeren Jahren härter trainieren müssen. Wahrscheinlich hätte ich einen kreativen Beruf, und mit Sicherheit wäre ich ein zufriedener und erfolgreicher Mensch.
Wünschen Sie sich das manchmal? Oder haben Sie Ihren Frieden mit diesem Schicksal gemacht, das ja zugleich eine ungewöhnliche Chance war?
Es gibt immer wieder Momente, in denen ich unglücklich bin – nicht täglich, aber doch in bestimmten Rhythmen. Ich würde mich gerne spontaner und freier bewegen können, und wenn andere im Sommer am Strand Beachvolleyball spielen, ist das für mich immer noch sehr schmerzhaft. Wintersport mit Monoski würde sogar gehen, aber mein Trainer hat es mir verboten, wegen der Verletzungsgefahr. Stattdessen sitze ich dann in meinem Rollstuhl fest und fühle mich wie an die Wand genagelt.
Mein vitales Geheimnis
Regelmäßige und entspannte Zeiten, um im Gleichgewicht zu sein und meinen Akku wieder aufzuladen. Jede Woche nehme ich mir einen Tag, an dem ich ganz für mich bin, das Handy ausschalte, zur Couch-Potato werde. Dann will ich auch niemanden sehen außer meinem Freund. Auf der anderen Seite liebe ich es, richtig schnell Auto zu fahren. Das hat für mich mit Lebensenergie zu tun, das setzt Adrenalin frei, und Adrenalin find’ ich toll!
Umgekehrt: In welchen Momenten sind Sie am glücklichsten?
Im Wasser. Da fühle mich beinahe wie vor dem Unfall. Im Wasser bin ich nicht behindert, da bewege ich mich entspannt und leicht.
Fühlen Sie sich dann auch am wohlsten in Ihrem Körper?
Ja, wobei: So ganz glücklich bin ich mit meinem Körper nicht, aber das hat wenig mit meiner Behinderung zu tun. Das ist eher so ein typisches Frauenproblem, dass man immer etwas an sich auszusetzen hat. Obwohl, wahrscheinlich geht es den Männern auch nicht besser, die geben das nur nicht so offen zu (lacht).
Sie haben in den letzten zehn Jahren alles erreicht, was man im Behindertensport erreichen kann – Goldmedaillen, Weltrekorde, internationale Anerkennung. Was motiviert Sie?
In erster Linie motiviere ich mich selbst: Mein Maßstab sind immer die Zeiten, die ich vor 25 Jahren als Nicht-Behinderte erreicht habe. Wenn ich die annähernd schaffe, bin ich glücklich. Natürlich geben Auszeichnungen wie das olympische Gold mir einen Ego-Schub und helfen gegen Krisenstimmung, aber sie sind nicht das Wichtigste.
Was ist Ihr nächstes Ziel?
Bei der WM im August möchte ich an meine eigene Bestzeit über 100 m Brust herankommen, alles andere wäre unrealistisch, denn ich habe im Moment Probleme mit der Schulter und kann nicht gut trainieren. Zur EM im nächsten Jahr höre ich aber mit dem Leistungsschwimmen auf, das steht schon fest. Es gibt ja auch noch andere Tätigkeiten, die mich motivieren. Ich habe einen neuen Job in der Öffentlichkeitsarbeit am Unfallkrankenhaus Berlin, das macht mir viel Spaß, und ich möchte meine kreative Seite noch stärker ausleben, zum Beispiel Schmuck, Kleidung oder Möbel entwerfen.
Wer hat Ihnen in all den Jahren geholfen, mit Ihrer Behinderung klarzukommen?
Ganz wichtig waren meine Familie, meine Eltern, meine vier Geschwister, meine Nichten und Neffen. Mein Freund, den ich zur Zeit des Unfalls hatte, mein jetziger Lebenspartner. Ohne deren Unterstützung wäre ich vielleicht an meinem Schicksal zerbrochen. Aber grundsätzlich war ich schon immer ein widerstandsfähiger, zielbewusster Mensch, ich bin diszipliniert und ehrgeizig. Das hilft natürlich, es mit dem Leben aufzunehmen, auch wenn es hart kommt.
Viele Menschen sehen Sie als Vorbild – Sie sich auch?
Ich freue mich, wenn ich mit dem, was ich tue, andere auf gute Gedanken bringe und ihnen Mut mache. Aber ich möchte auch nicht ständig Hinterkopf haben: Achtung, du bist ein Vorbild! Wenn ich so sehr Vorbild wäre, dann wäre ich nicht mehr Kirsten.