Helfen macht glücklich

Helfen macht glücklich

Nächstenliebe ist keine Einbahnstraße, findet Verena Carl: Wer sich für andere engagiert, erntet auch selbst mehr Lebensfreude. Warum Mitmenschlichkeit wieder wichtig ist – vier Frauen berichten, wie sie sich selbst und andere mit ihrem Einsatz bereichern 

© jalag-syndication.de

Beim Stichwort „Klimaerwärmung“ denkt man normalerweise an nichts Gutes. Einzige Ausnahme: wenn es um das soziale Klima geht. Und um das ist es besser bestellt, als man meinen könnte. Nach einer aktuellen Studie der Generali-Versicherungsgruppe hat jeder dritte Deutsche ein Ehrenamt, besonders hilfsbereit sind die 30- bis 55- Jährigen. Ein knappes weiteres Drittel kann sich einen solchen Einsatz immerhin vorstellen. Das war vor einigen Jahren noch anders: Ältere Studien gingen nur von einem Fünftel engagierter Bürger aus.

Ausgerechnet in Zeiten wachsender sozialer Ungerechtigkeit ist ein altmodischer Wert wie Mitmenschlichkeit wieder en vogue. Beispiele gibt es genug. Da stehen sich über 15.000 Menschen in sechs deutschen Städten für einen Bluttest die Beine in den Bauch, weil ein Knochenmarksspender für ein leukämiekrankes Baby gesucht wird. Da lassen sich Einser-Absolventen von Elitehochschulen als Lehrer an Problemschulen einsetzen. Da tagt die Crème der internationalen Trendforscher in Hamburg unter einem Motto, das eher klingt wie aus dem Wahlprogramm der Linkspartei: „Sozialer Reichtum – wer teilt, gewinnt.“ Und jeder imagebewusste Star startet sein eigenes Hilfsprojekt: für Kinder aus bildungsfernen Schichten, chronisch Kranke, Nachwuchssportler. „Kulturvergleichende Studien zeigen dabei, dass die Hilfsbereitschaft dort am größten ist, wo die Lebensbedingungen am härtesten sind“, erklärt Sozialpsychologe und Altruismusforscher Hans-Werner Bierhoff von der Ruhr-Uni Bochum. Dies zeigt sich schon in kleinen Dingen: Wer in einer fremden Stadt nach dem Weg fragt oder versucht, Kleingeld zu wechseln, hat es leichter, je ärmer die Bevölkerung ist. Selbst wenn es fast schon zynisch klingt: Sinkt unser Lebensstandard in Mitteleuropa, könnte sich dafür immerhin die Art unseres Umgangs verbessern. Auch weil hilfsbereite Menschen eine erstaunliche Erfahrung machen: Der Einsatz für andere ist immer auch ein Einsatz für sich selbst. Hans-Werner Bierhoff: „Menschen engagieren sich nicht nur aus Nächstenliebe. Sondern auch, weil sie nach neuen Kontakten und Erfahrungen suchen und ihre Grenzen austesten möchten. Weil die Erfahrung, etwas zu bewegen, das Selbstwertgefühl steigert.“ Ein psychischer Mehrwert, den die freiwillige Tätigkeit so manchem Job voraushat.

Soziales Engagement bringt mehr Zufreidenheit

Und mehr noch: Wer sich für seine Mitmenschen engagiert, ist auch mit dem eigenen Leben eher im Reinen. „Befragt man Menschen nach ihrer allgemeinen Lebenszufriedenheit, zum Beispiel mit ihrem Wohnort oder ihrer Nachbarschaft, zeigt sich immer wieder: Diejenigen, die sich für andere einsetzen, sind mit ihrem gesamten Umfeld glücklicher als diejenigen, die es nicht tun“, bestätigt der Sozialpsychologe. Je unmittelbarer der Kontakt zu den Hilfsempfängern, desto größer die eigene Befriedigung. Wer hautnah mitbekommt, was die eigene Unterstützung bewirkt, empfindet dabei deutlich mehr Freude als derjenige, der nach einem Erdbeben per Onlinebanking eine Spende anweist. Mit einer verblüffenden Ausnahme: Hilfe in der eigenen Familie. Die demenzkranke Mutter pflegen kann weniger erfüllend sein, als eine Selbsthilfegruppe für Alzheimer-Angehörige zu gründen. „Engagement ist dann am befriedigendsten, wenn man sich freiwillig dafür entscheidet und den Umfang selbst bestimmt. Kommt ein Gefühl von Verpflichtung oder Schuld dazu, ist der eigene Gewinn geringer“, erklärt Hans-Werner Bierhoff.

Denn auch wenn wir unser mitfühlendes Herz wieder mehr entdecken, bleiben wir dennoch Geschöpfe unserer Zeit: individualistisch und leicht sprunghaft. „Wir wollen nicht in der Masse untergehen; anders sein als die anderen, aber trotzdem nicht allein“, bringt der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann unseren Seelenzustand auf den Punkt. Mit Folgen für unsere Art des Engagements, weiß Wippermann. Wir helfen ähnlich, wie wir lieben: befristet, erfolgsorientiert, weniger verbindlich. Statt lebenslang bei der freiwilligen Feuerwehr, lieber vier Wochen im Urlaub bei einem Bibliotheksprojekt in Mittelamerika. „Die Tendenz geht weg von starren Großorganisationen zu konkretem, zeitlich befristetem Engagement mit konkretem Erfolg“, hat auch Altruismusforscher Bierhoff beobachtet. Und warum auch nicht? Als Glückssucher muss eben jeder seinen eigenen Weg gehen. Anderen zu helfen, kann dabei eine Etappe sein. Oder uns auf der ganzen Strecke begleiten. Sicher ist nur eines: Jeder kleine Schritt sorgt dafür, dass das große Heizkraftwerk namens Mitmenschlichkeit auf Touren kommt. Und das ist doch mal eine Nachricht, bei der es einem wirklich warm werden kann ums Herz.

Stiftung für junge Witwen

MARTINA MÜNCH-NICOLAIDIS, 41, AUS MÜNCHEN GRÜNDETE EINE STIFTUNG FÜR JUNG VERWITWETE UND IHRE FAMILIEN

»Ich helfe, weil ich dadurch meinem Schicksal einen Sinn geben kann «

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Kurz vor ihrem 30. Geburtstag stand in Martina Nicolaidis’ Leben alles auf Anfang. Sie war frisch verheiratet, die gemeinsame Firma kam in Gang, die Geburt der Tochter machte das Glück komplett. Doch nur sechs Wochen später verunglückte ihr Mann tödlich mit dem Auto. Martina Nicolaidis fühlte sich wie erdrückt von ihrer tiefen Trauer. Und schwor sich: „Wenn ich das hier überlebe, muss es für irgendetwas gut sein.“ Die Wende kam, als sie zwei Schicksalsgenossen fand. Schnell wuchs die Selbsthilfegruppe für jung Verwitwete auf zehn Personen, nach einem Zeitungsbericht meldeten sich weitere 50 Betroffene. „Da wusste ich: Das habe ich angezogen, das wird meine neue Aufgabe“, erinnert sie sich. Als Tochter einer Unternehmerfamilie beschloss sie: wenn schon, dann professionell. Und im großen Stil. Heute engagiert sich die Nicolaidis Stiftung deutschlandweit, vermittelt Kontakt zu Selbsthilfegruppen, leistet Rechtsberatung, baut ein Hilfswerk für traumatisierte Kinder auf.

Martina Nicolaidis hat wieder geheiratet. Und nicht mehr viel gemeinsam mit der Frau, die sie vor zwölf Jahren war: „Durch meine Aufgabe bin ich selbstbewusster geworden, fordernder.“ Ist es nicht bitter, durch ihre Arbeit immer wieder an die dunkelste Zeit ihres Lebens erinnert zu werden? „Der Tod meines ersten Mannes verschwindet ja nicht aus meiner Biografie. Er bleibt für immer eine schmerzliche Lücke. Gerade deshalb ist es so wichtig, anderen zu zeigen: Auch du kannst deinem Leben wieder eine neue Ausrichtung geben. Du hast ein Recht auf neues Glück. Und davon, wie andere mit solchen Schicksalsschlägen umgehen, kann ich immer noch etwas lernen.“

Obdachlosenmagazin "Hinz & Kunst"

BIRGIT MÜLLER, 53, IST CHEFREDAKTEURIN DES HAMBURGER OBDACHLOSENMAGAZINS „HINZ & KUNZT“

»Ich helfe, weil ich dichter dran sein möchte an den Menschen und ihrem Leben «

Als sie vor Jahren ihren Job als Redakteurin bei einer Hamburger Tageszeitung kündigte, um für einen Bruchteil ihres alten Gehalts bei einem neuen Obdachlosenmagazin mitzuarbeiten, hielten sie alle für verrückt. Aber für Birgit Müller war es genau der richtige Weg: „Meine Stiefkinder waren aus dem Haus, es war eine Umbruchzeit. Und an meiner Arbeit hat mich immer gestört, dass ich nicht wirklich nah dran bin an den Menschen und ihren Geschichten.“

Das war bei Hinz & Kunzt ganz anders: Schnell wurde aus den professionellen Zeitungsmachern und ihren wohnungslosen Mitarbeitern ein eingeschworenes Team. Und Birgit Müller nach zwei Jahren Chefredakteurin: „Was mich von Anfang an so beglückt hat, war diese Augenhöhe. Die Obdachlosen sind keine Bittsteller und wir anderen keine Wohltäter, wir wuppen das Projekt zusammen. Und ich bin als ganzer Mensch gefordert, nicht nur als Journalistin.“ Mit allen Höhen und Tiefen. „Natürlich sind mir die Schicksale oft nahegegangen. Auch die häufige Begegnung mit Krankheit und Tod. Aber ich bin auch immer wieder fasziniert vom Mut dieser Menschen, von ihrem Überlebens- und Veränderungswillen.“ Ist Birgit Müller heute ein glücklicherer Mensch, weil sie anderen etwas Gutes tut? „Eher umgekehrt: Ich habe mir selbst zu mehr Zufriedenheit verholfen, und ich glaube, das strahle ich auf andere aus. Anderen helfen, das kann man eigentlich gar nicht. Nur etwas bereitstellen, damit Menschen ihre eigene Stärke wiederfinden.“

Entwicklungshilfe mit Puppentheater

HEIKE KAMMER, 49, AUS BERLIN SETZT AUF PUPPENTHEATER ALS MITTEL DER ENTWICKLUNGSHILFE

»Ich helfe, weil ich mir ein sinnvolles Leben gar nicht anders denken kann «

© jalag-syndication.de

16-jährige Mädchen wollen vieles werden: Model, Popstar, Molekularbiologin. Nicht so Heike Kammer: Für die Tochter einer politisch engagierten Mutter stand schon früh fest, dass sie sich in ihrem Leben für die Schwachen einsetzen würde: „Ich wollte immer etwas Sinnvolles tun!“ Aber den richtigen Platz dafür fand sie erst mit Mitte 20, als sie in Lateinamerika die Friedens- und Menschenrechtsorganisation ,peace brigades international’ kennenlernte. Ihr wohl schönstes Projekt: Seit acht Jahren ist Heike Kammer mit einem Puppentheater der besonderen Art unterwegs. Anfänglich in der mexikanischen Bürgerkriegsregion Chiapas, wo sie und ihr Team in Indianerdörfern Stücke aufführten, die den Konflikt auf die Bühne brachten. Einfache Geschichten wie die von den zwei Hasen, der eine auf dem Mond, der andere auf der Erde, die dennoch zusammengehören. Die Stücke brachten Kinder zum Lachen, Erwachsene zum Nachdenken und Diskutieren.

Eine Idee, die auch in Deutschland funktioniert: Seit fünf Jahren ist Heike Kammer mit dem Puppentheater an Kindergärten und Schulen unterwegs. Und zeigt den Kindern spielerisch Wege zu einem besseren Miteinander. „Es gibt mir so viel Mut und Hoffnung, an einer gemeinsamen Sache zu arbeiten“, sagt Heike Kammer. „Allein kann ich ja nichts bewirken. Aber ich kann Teil einer Veränderung sein. Das stärkt mich.“

Akademie für Menschen mit geistigen Behinderungen

SOPHIE ALTENBURGER, 32, AUS KIRCHZARTEN HAT EINE AKADEMIE FÜR MENSCHEN MIT GEISTIGEN BEHINDERUNGEN MIT INS LEBEN GERUFEN

»Ich helfe, weil Erfolg und soziales Miteinander für mich zusammengehören «

Ausbildung zur Hotelfachfrau, BWL-Studium, Job bei einer Unternehmensberatung: Sophie Altenburger legte einen rasanten Karrierestart hin. Aber von Anfang an gab es diese Momente, die sie irritierten. Etwa, als eine behinderte Hotel-Mitarbeiterin bei der Weihnachtsfeier als einzige nicht mit vor die Gäste treten durfte. Und so war die junge Aufsteigerin sofort Feuer und Flamme, als sie die Projektleitung für ein ungewöhnliches Restaurant übernehmen konnte: ein Ausflugslokal, in dem Menschen mit Down-Syndrom und anderen geistigen Einschränkungen die Hälfte des Personals stellen sollten.

Eine Herausforderung, auch mit skurrilen Seiten. „Eine Zeit lang wollten sämtliche Frauen in der Küche arbeiten, weil sie alle in den Koch verliebt waren“, erinnert sich Altenburger schmunzelnd. Heute, fünf Jahre später, hat sich nicht nur das „Hofgut Himmelreich“ in der Nähe von Freiburg zu einem Gästemagneten entwickelt, sondern sogar einen Ableger hervorgebracht: die „Integrative Berufsakademie“, an der sich Behinderte auch für Gastronomie-Jobs in anderen Betrieben qualifizieren können. Mittlerweile Sophie Altenburgers Hauptaufgabe. „Meine Tätigkeit hier ist keine Einbahnstraße“, betont sie. „Es geht nicht um Mildtätigkeit, sondern darum, geistig eingeschränkte Menschen herauszufordern, ihnen eine Aufgabe zu geben.“ Und umgekehrt auch etwas von ihren Schützlingen zu lernen: „Behinderte sind oft viel sensibler, haben ein feines Gespür für Stimmungen. Und von ihrer ehrlichen und herzlichen Art können wir uns oft eine Scheibe abschneiden.“

5 Wege zum Glück

5 Wege zum Glück

Vom Aids-Schleifen-Verteilen bis zum Sportplatzbauen in Afrika: außergewöhnliche Tipps für Ihren privaten Einsatz.

Reisen, Lernen, Helfen Tolle Kombination: Ein ökologisch und sozial engagierter Reiseveranstalter bietet nicht nur Sprachkurse an ungewöhnlichen Orten (z. B. Spanisch in Mittelamerika), sondern vermittelt auch Helfer für Projekte, z. B. an Krankenhäuser oder Bibliotheken: www.lernenundhelfen.de

Großfamilie gesucht Alte Menschen, junge Familien, Singles – in Großstädten leben sie oft ohne Berührung nebeneinander her. 500 „Mehrgenerationenhäuser“ in ganz Deutschland schaffen Raum für Begegnung und gegenseitige Hilfe – ob beim Babysitting, Vorlesen oder Einkaufen: www.mehrgenerationenhaeuser.de

INFOS

Ob Sie für einen Tag Aids-Schleifen in der Fußgängerzone verteilen oder einen Monat lang einen Asylbewerber bei Behördengängen begleiten möchten – hier finden Sie alle Einsatzmöglichkeiten in Ihrer Nähe. Noch mehr Ideen gesucht? Info z. B. unter www.geben-gibt.de

Den Weg mit zu Ende gehen Hospize sind für viele unheilbar Kranke eine Alternative zum technisierten Sterben im Krankenhaus. Auch hier sind Freiwillige gefragt: um Hände zu halten und zu trösten, aber auch zum gemeinsamen Lachen, Unterhalten, Austausch von Lebensgeschichten. Infos und Ansprechpartner: www.hospize.de

Experten gesucht Nicht nur für Rentner oder derzeit Arbeitslose: Hilfsprojekte in ganz Deutschland sind auf die Mithilfe und Beratung von Experten angewiesen, vom Ingenieur bis zur PR-Fachkraft. Einsatzmöglichkeiten unter www.ehrenamtsportal.de/html/ expertenhilfe.html

Last-Minute-Hilfe Eine aktuelle Datenbank für freiwillige Helfer bietet www.helpedia.de/jobs-ehrenamt.

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