
Gleich fliegen hier die Fäuste. Wie zwei lauernde Raubtiere umkreisen sich die beiden Teenager. Ihre Aggressivität ist fast mit den Händen greifbar. Doch bevor die Situation eskaliert, geht eine junge Frau mutig dazwischen, klärt den Streit – und die zehn Gäste, die heute den Verein „Zweikampfverhalten“ in Hamburg-Wandsbek besuchen, sind froh, dass es nur eine Übung war.
Anne Wangrin wirkt zufrieden, sie hat die Gruppe hierher gelotst. Und es mit ihrer Initiative „Hometown Glory“ auch diesmal geschafft, dass ein Projekt und Menschen, die sich einbringen, etwas verändern wollen, zueinander gefunden haben. „Sozialen Abenteuerurlaub“ nennt die 31-Jährige das. Wer ihn über Hometown Glory bucht, bekommt in Hamburg nicht Alster, Hafen, Michel oder Reeperbahn zu sehen, sondern Problemstadtteile, Obdachlose und vor allem Menschen, die – oft ehrenamtlich – helfen. „Meine Touren richten sich an alle, die ihre Stadt wirklich kennenlernen und ihre Zukunft gestalten wollen. Wer etwas in seinem Umfeld tut, entwickelt sich und die Gesellschaft weiter“, ist die junge Frau überzeugt. Bei jeder Tour können fünf bis zwölf Personen teilnehmen, nein: mitmachen. „Raus aus der Zuschauerrolle und selbst aktiv werden! lautet das Motto", sagt Anne Wangrin. „Es wird gemeinsam gewohnt, gekocht, gelebt – und die Stadt verändert. Im Lauf der Tour werden wir ein Team und können zusammen in neue Projekte einsteigen.“ So wurden bereits ein Gemeinschaftsgarten angelegt, ein Frühstück für die vielen Verkäufer einer Obdachlosen-Zeitung organisiert und Notfallboxen für trauernde Eltern gestaltet, in denen tröstende Texte und Gegenstände liegen.
Hilfsprojekte im eigenen Viertel
Es war ein Anti-Mobbing-Projekt während ihrer Schulzeit, das Anne Wangrin auf den Gedanken brachte, eine Plattform zu gestalten, über die sich Initiatoren von sozialen Projekten austauschen und Unterstützer suchen können. Nach dem Studium realisierte sie 2007 dieses Vorhaben mit dem Namen „Weltretter“. Zwei Jahre später holte sie die „Socialbar“ nach Hamburg, ein Projekt, das dafür sorgt, dass sich Weltretter nicht nur im Internet, sondern auch real treffen können.
„Viele Menschen wissen gar nicht, womit sich die Hilfsprojekte in ihrem Viertel beschäftigen. Sie trauen sich nicht, dort ihre Mitarbeit anzubieten“, weiß Wangrin. So entstand Hometown Glory (www.hometown-glory.com). Leben kann sie davon nicht. „Aber für sozialen Einsatz Geld zu verlangen, finde ich auch schwierig“, sagt Wangrin, die hauptberuflich als Informatikerin arbeitet. Diese Einstellung hat sie wohl von ihrer Mutter geerbt, die nach dem GAU in Tschernobyl die Initiative „Eltern für unbelastete Nahrung“ gründete. Auch ihr Vater ist politisch aktiv. „Sozialdemokrat“, sagt Wangrin und lacht. „Wir sind eben einfach so.“ Ihre Vision? „Eine Vier-Tage-Woche für alle. Der fünfte Tag sollte dazu dienen, die Gesellschaft mitzugestalten. Seit dem Studium achte ich selbst darauf, dass ein Tag in der Woche für meine Projekte frei bleibt.“ Kein Wunder, dass sie für 2012 schon wieder jede Menge neue Ideen hat.