
Jeden Tag teilen wir Büro und Kantine miteinander, klauen uns gegenseitig die Kugelschreiber und trinken uns den letzten Schluck Kaffee weg. Mit unseren Arbeitskollegen verbringen wir mehr Zeit als mit Familie und Freunden. Doch während wir uns Letztere aussuchen können, entscheiden Chef und Zufall, wer uns täglich am Schreibtisch gegenübersitzt. Selten entsteht dabei Sympathie auf den ersten Blick. Oft genug braucht es Zeit, bis Kollegen miteinander warm werden und ein Team bilden, das diesen Namen wirklich verdient.
Jeder übernimmt im Büro eine soziale Rolle. So entstehen Vertrauen und Verlässlichkeit
Haben wir aber erst mal Erfahrungen miteinander gesammelt, wissen wir bald ziemlich genau, wie die anderen ticken. Fast wie in einer Familie: Da gibt es den väterlichen Chef, der sich für alle(s) verantwortlich fühlt, den lustigen Onkel, der uns mit seinen Witzen aufheitert, oder die gluckenhafte Mutter, die am liebsten alle auf den Schoß nehmen und trösten würde. Psychologische Studien bestätigen dieses Phänomen. Sie zeigen: Die Beziehungen zwischen Arbeitskollegen sind weit mehr als rein beruflich. Zwischen Kopier- und Konferenzraum entstehen im Laufe der Zeit vielfältige Kontakte. Mal herzlich und freundlich, mal distanziert und kompliziert. Mit dem einen trinken wir nach Feierabend noch ein Glas Wein, mit dem anderen empfinden wir schon 30 Sekunden Fahrstuhlzeit als Belastungsprobe. Auch das erinnert stark an die Verwandtschaft.

Für den Freiburger Diplom-Psychologen und Führungscoach Hans-GeorgHuber (www.coachingbuero.de) eintypischer Prozess. „In einem Team übernimmt jeder auch eine soziale Rolle. Das stellt sicher, dass ein Kollegium funktioniert und sich seine Mitglieder aufeinander einspielen und verlassen können.“ Huber vergleicht Bürogemeinschaften deshalb gern mit Fußballmannschaften: „Manche Spieler können eine Mannschaft in entscheidenden Momenten mitreißen, andere bringen die nötige Ruhe rein, wenn es brenzlig wird, und wieder andere machen völlig überraschende Sachen. Jeder hat seine Berechtigung.“ Auch jene Zeitgenossen, die uns mit ihrer geistigen Unbeweglichkeit („Das haben wir schon immer so gemacht“) oder ihrer Zukunftsangst („Das klappt nie. Wir kriegen alle die Kündigung“) gehörig auf die Nerven gehen. „Anstrengende Kollegen können ebenfalls wichtige Positionen besetzen“, sagt Huber: Sie finden das Haar in der Suppe, den Denkfehler, den alle anderen übersehen, und behalten bei Hektik häufig einen kühlen Kopf.
Die Bürofamilie darf keine Ersatzfamilie sein. Grenzen beugen Missverständnissen vor
So manche Kolleginnen und Kollegen würden wir höchstwahrscheinlich nicht wiedererkennen, wenn wir sie außerhalb des Büros träfen. Der zynische Personalchef entpuppt sich als liebevoller Familienvater, die überkorrekte Chefsekretärin spielt Volkstheater in einer Laienspielgruppe. Huber erklärt: „In einem Arbeitsteam werden jene Charaktereigenschaften eines Menschen gestärkt, die förderlich für die berufliche Gemeinschaft sind.“ Anderes wird ausgeblendet. Wer etwa durch diplomatisches Geschick auffällt, wird schneller zum Chef geschickt. Wer mit lösungsorientiertem Denken punktet, wird immer öfter um Rat gefragt. Je länger so eine Bürogemeinschaft besteht und sich einspielt, desto stärker wird das Familiengefühl. „Das ist gut so“, sagt Huber. „Dadurch wächst die Solidarität. Die Kollegen stehen stärker füreinander ein und zeigen Verständnis, etwa wenn jemand mal private Probleme hat.“ Doch bei aller „Liebe“: Zur Ersatzfamilie dürfen die Kollegen nicht werden. „Zwischen Privatleben und Büro sollte immer eine Grenze mit klaren Spielregeln bestehen bleiben“, betont Huber. Wo diese verläuft und wer sie gerade überschreitet, erkennen wir schneller, wenn wir wissen, welche „Job-Verwandten“ wir haben. Die sieben häufigsten stellen wir hier vor. Natürlich existieren auch Mischformen. Jedes Bürofamilienmitglied besitzt besondere Vorzüge, legt uns aber auch typische soziale Stolpersteine in den (Berufs-)Weg. Deshalb haben wir drei Experten gebeten, die sieben verbreitetsten Beziehungsfragen im Büroalltag zu beantworten (siehe Seite 38). Aber jetzt erst mal: Herzlich willkommen in Ihrer Bürofamilie!
Job-Verwandte: Die häufigsten sieben
1. Die Glucke
Viel (Mit-)Gefühl, frische Blumen, ein Familienbild, kleine Glücksbringer, Basteleien von den Kindern – ihr Schreibtisch ist ein Schrein der Harmonie. Die gute Büroseele strebt zweifellos den Weltfrieden an und leistet im Büro ihren Teil dafür, dass er zumindest dort schon mal gelingt. Sie hat immer ein offenes Ohr und tröstet mit Keksen, Bonbons und Kaffee. Einfühlsam vermittelt sie zwischen streitenden Kollegen und macht Mut, wenn ein Gespräch mit dem Chef ansteht. Zuweilen wird es ihr aber auch zu bunt. Sollten die Zankereien überhandnehmen, kann sie mit überraschender Strenge auf den Tisch hauen und klarmachen: Leute, jetzt reicht es!
Vorteile: Die Glucke ist die emotionale Klimaanlage des Büros. Mit sanfter Unterstützung fördert sie die allgemeine Zufriedenheit und senkt so den Stresslevel.
Nachteile: Mit ihrer „Wie geht's dir heute?“-Plauderei hält sie Kollegen von der Arbeit ab. Manchmal bewirkt ihr hochempfindliches Stimmungsbarometer auch, dass sie Probleme wahrnimmt, wo gar keine sind.
Tipps für den Umgang: Gut überlegen, von welchen Problemen die Glucke erfahren soll. Was sie nicht weiß, muss sie auch nicht therapieren. Das entlastet nicht nur sie, sondern auch die Bürogemeinschaft. Fragt sie besorgt nach, weil Sie irgendwie blass, krank oder traurig aussehen, signalisieren: Ich komm klar, mach dir keine Sorgen.
2. Die Komikerin
Rote Nase - „Humor ist, wenn man trotzdem lacht.“ Diese Lebensweisheit hat sie schon mit der Muttermilch aufgesogen und immer einen Spruch auf Lager, egal, wie ernst die Lage gerade ist. Mal mit kindlichem Witz, mal ironisch, bissig oder pointiert: Die Komikerin betrachtet die Welt immer (auch) mit den Augen eines Clowns.
Vorteile: Die Komikerin verbessert auf jedem Flur die Stimmung, auch wenn das Pensum mal stressig ist. Damit nimmt sie der Arbeit die Schwere und würzt sie mit einer Prise Leichtigkeit. Das motiviert das Team.
Nachteile: „Frau Sorgenfrei“ verkennt manchmal den Ernst der Lage. Dann laufen ihre Sprüche ins Leere und strapazieren die Nerven der Kollegen. Besonders Witze auf Kosten von Kollegen, die gerade wirklich Probleme haben, führen dann zu allgemeinem Fremdschämen.
Tipps für den Umgang: Die Komikerin liebt Publikum und Menschen, die über sie lachen. Kichern Sie trotzdem nicht aus Gewohnheit mit, sondern setzen Sie bei ernsten Themen auch Grenzen: „Ich wünsche mir jetzt eine sachliche Antwort von dir/von Ihnen.“
3. Die Ruhige
Mit wenigen Worten - Manche Kollegen lernen sie erst kennen, wenn sie beim Julklapp zufällig ihren Namen ziehen. Die Ruhige arbeitet ihr Pensum ohne Murrenund Knurren weg und fällt vor allem durch eines auf: Unauffälligkeit. Dabei ist die Ruhige nicht desinteressiert an ihren Kollegen. Gern setzt sie sich in der Kantine dazu. Dann hört sie zu, nickt oder murmelt vor sich hin. Ab und zu redet sie sogar – aber nur, wenn sie gefragt wird.
Vorteile: Die Ruhige ist der Buddha im hektischen Büroalltag. Obwohl sich die Akten stapeln, strahlt sie mitihrer Gelassenheit („Eins nach dem anderen.“) positive Energien aus und mindert so den psychischen Druck bei den weniger ausgeglichenen Kollegen.
Nachteile: Ihre Tiefenentspannung hat leicht die Tendenz zur Gleichgültigkeit. Wird die Ruhige zur „Büro- Schlaftablette“, kann das gesamte Team am Ende unter ihrer Behäbigkeit leiden.
Tipps für den Umgang: Konkret sagen, was Sie von ihr erwarten. Nicht durch Floskeln wie „Ruhig Blut“ abspeisen lassen, wenn es drängt. Fragen Sie die Ruhige immer wieder konkret nach ihrer Meinung. Das fördert ihre Bereitschaft zur Anteilnahme.
4. Die Hochmotivierte
Frau Zehntausendvolt - Mit wehendem Haar und fixem Schritt betritt sie die Bürobühne. Im Gepäck: viel Energie und supergute Vorbereitung. Die hoch Motivierte stellt hohe Ansprüche an sich selbst und nimmt regel- mäßig Arbeit mit nach Hause. Es gibt keine Probleme, nur Herausforderungen, lautet ihr Motto. Als Vortänzerin im Team hat sie eine Standleitung zum Chef. Manchmal sehen wir ihr die Anstrengung an. Dann schaut sieaus dem Fenster und nippt gedankenverloren am Kaffee. Doch solche Momente haben Seltenheitswert.
Vorteile: Die hoch Motivierte ist stets bereit, Verantwortung zu übernehmen, freut sich über neue Aufgaben und kann mit ihrer positiven Sicht das Team mitreißen.
Nachteile: Ihre zupackende Art können andere als anstrengend empfinden, vor allem, wenn sie deren Argumente nicht ernst nimmt oder Erwartungen an Kollegen stellt, die diese nicht umsetzen wollen oder können.
Tipps für den Umgang: Die hoch Motivierte braucht klare Ansagen, sonst überhört sie Einwände. Sagen Sie freundlich, aber bestimmt, was Sie leisten können und was nicht. Falls erforderlich, auch als Team („Wir müssen deinen Vorschlag noch mal besprechen“).
Weitere Jobverwandte
5. Die Realistin
Fakten, Fakten, Fakten Sie lässt sich kein X für ein U vormachen und bringt in Besprechungen alles kurz und knapp auf den Punkt. Palavern Kollegen über die Zukunft oder tauschen sich über ihre Träume und Wünsche aus, schüttelt sie nur mitleidig den Kopf. Mit ihrerKlugheit durchschaut sie jedoch schwierigste Zusammenhänge. Ihr Lieblingssatz: „Leute, überlegt doch mal!“
Vorteile: Die Realistin schützt das Team vor Fehlentscheidungen. Bevor eine Idee auch nur ansatzweise in die falsche Richtung läuft, holt ihre pragmatische Sicht alle wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
Nachteile: Die Realistin kann – wenn sie Ideen blöd findet – unsachlich werden und ihre Argumentesehr abwertend vortragen. Dann zieht sie Kollegen leicht ins Lächerliche, die Stimmung im Team sinkt.

Tipps für den Umgang: Die Realistin wird unbequem, wenn kreative Projekte anstehen und niemand Stolper- fallen beachtet. Lassen Sie sie deshalb möglichst früh ihre Bedenken äußern, das beruhigt das ganze Team.
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6. Die Erfinderin
Viele lose Enden In ihrem Zimmer hängt ein Bild von Albert Einstein, auf dem Schreibtisch herrscht Chaos. Überall kleben gelbe Notizzettel, in den Ablagefächern türmen sich To-do-Listen, Zeichnungen und Pläne. Ständig wird hier an neuen Ideen getüftelt, wie die Arbeit noch besser, schöner, effektiver und anders laufen könnte. Tatsächlich gelingt der Erfinderin immer wieder ein echter Coup, der Kollegen und Vorgesetzte hellauf begeistert.
Vorteile: Ihre Kreativität bringt frischen Wind ins Büro, wenn sich Einheitsbrei und Alltagstrott zu sehr ausbreiten. Gerade wenn neue Projekte starten, liefert die Erfinderin beim Brainstorming entscheidende Impulse.
Nachteile: Viel Lärm um nichts. Statt zu arbeiten, produziert die Erfinderin häufig nur heiße Luft, verzettelt sich, redet viel und leistet wenig. Das staut den Arbeitsfluss und schwächt am Ende das gesamte Team.
Tipps für den Umgang: Lassen Sie sich nicht zu schnell vor ihren Karren spannen. Gern überlässt die Luftschlossherrin die praktische Umsetzung nämlich ihrem „Fußvolk“. Hier gilt es, Grenzen zu setzen: „Gute Idee. Dann mach mal. Ich muss jetzt weiterarbeiten.“
7. Die Netzwerkerin
Vitamin B Wie heißen die Kinder des Kollegen aus der Buchhaltung? Wann hat der Chef Hochzeitstag? Wohin geht der Betriebsausflug 2014? Die Netzwerkerin sammelt „weiches“ Wissen wie andere Leute Vasen und hat für jeden ein persönliches Wort auf Lager. Sie ist bestens informiert, wer welches berufliche oder private Problem hat, und nutzt dieses „Vitamin B“ klug für ihre Karriere.
Vorteile: Die Netzwerkerin schafft es, dass sich alleim Team „verbunden“ fühlen. Sie stellt Neulinge vor, baut Brücken zwischen Streithähnen. Bei Problemen weiß sie, wer die beste Lösung findet, und bringt diese Menschen charmant und mühelos an einen Tisch.
Nachteile: Beziehungen zu pflegen braucht Zeit. Die Netzwerkerin vernachlässigt deshalb nicht selten ihre Arbeit. Ob Teeküche, Toilette oder Kopierer – sie bleibt immer und überall in einem Plausch hängen.
Tipps für den Umgang: Damit die Arbeit nichtunter Nebenbeigesprächen leidet, ist es sinnvoll, mit der Netzwerkerin feste Treffen zu vereinbaren. Aber: Zuviel Privates sollten Sie ihr dabei nicht erzählen. Es besteht die Gefahr, dass der ganze Betrieb davon erfährt.