
Reden wir über das, was uns stark macht. Reden wir über starke Frauen. Nehmen wir Angela Merkel. Eine vordergründig starke Frau, die sich hochgearbeitet hat, in der rauen Realität der Politik an der Spitze unseres Staates das Äußerste leistet. Eine wirklich starke Frau – der es aber, sagen ihre Kritiker, an Autorität mangelt, an Entscheidungsfreude, an Kommunikationsfähigkeit, an Zielsicherheit.
Stärke muss also etwas anderes sein, etwas weniger Augenscheinliches, das alle Betrachter gleich stark empfinden. Und wenn man danach fragt, lautet die Antwort von Männern und Frauen oft: Etwas Geheimnisvolles, das Frauen umgibt, die ihre Schwächen ebenso kennen wie ihre Stärken. Frauen mit Ideen und Idealen, mit Herz und Herzlichkeit, mit Mut und Toleranz und Friedfertigkeit und dem Vorsatz, es zu schaffen. Sie haben den Willen, das Leben zu leben, das sie sich ausgesucht haben, und kalkulieren ein, dass dieser Plan in Phasen auch mal schiefgeht. Starke Frauen haben den Mut, Entscheidungen zu fällen, die anderen nicht behagen. Sie gründen Firmen, entwickeln Zeitschriften oder holen jeden Tag ihre drei Kinder aus der Schule, kochen, kontrollieren Hausaufgaben und gehen nachts, wenn alle schlafen, arbeiten, weil das Geld sonst nicht reicht. Sie sind dankbar und tolerant, können anderen vertrauen und Fehler verzeihen, auch sich selbst. Starke Frauen lieben das Leben.
Frauen mit innerer Stärke vertrauen auf ihre eigenen Kräfte. Sie mögen ihren Körper, lachen gern und sind neugierig auf das Leben. Sie kennen ihre Interessen und vertrauen nicht darauf, dass ein Prinz sie rettet. Und wer jetzt sagt, dass das alles ganz toll ist, aber leider nicht die eigene Realität, dem sei gesagt: Stärke ist nicht ein ausschließlich in die Wiege gelegtes Gut. Sie will und vor allem kann gelernt sein.
Stark geboren
Zahlreiche Studien belegen, dass Persönlichkeit zu einem Drittel genetisch bestimmt ist, zu einem Drittel in den ersten Lebensjahren geprägt wird und sich zu einem Drittel in den folgenden Jahren entwickelt. Davon ausgehend, dass ein Baby stark geboren wird, kann jenes zweite Drittel es schaffen, alles Angeborene zu zerstören. „Jeder kommt stark auf die Welt“, da ist sich Susanne Hühn, Lebensberaterin und Buchautorin („Was dir Kraft gibt“, Schirner) sicher. „Wer eine Geburt überlebt, ist stark. Ein Kind, das schreit, weiß, was es braucht und was es will.“ Es hat nur ein Problem: Eltern, die es missverstehen können. Die die Bedürfnisse des Kindes nicht wahrnehmen, es entmutigen, es nicht beachten. Die ihm später keine Eigenverantwortung übergeben und ihm nichts zutrauen. Ein Kind, das in seinen ersten Lebensjahren nicht bestärkt wird, dessen Kräfte nicht in die richtige Bahn gelenkt werden, wird nur schwer ein starker Erwachsener, der Krisen bewältigen kann und weiß, wie sein Leben aussehen soll.
Stark geboren – dann kommt‘s auf die Eltern an
Somit tragen Eltern eine große Verantwortung. Ebenso schwer wiegt aber die eigene Verantwortung sich selbst gegenüber. „Die Prägungen, die wir genetisch mitbekommen und die wir in der Kindheit erhalten, bringen uns auf den Weg, unsere spezielle eigene Kraft zu entwickeln“, erklärt Susanne Hühn. Dazu müsse jeder Mensch in sich hineinhorchen und herausfinden, was ihn im Innersten ausmacht. Was ihn, und zwar nur ihn, zufrieden macht, auch wenn es unbequem scheint. Denn das, was uns glücklich macht und erfüllt, uns also Stärke gibt, können wir uns leider nicht aussuchen. Und wir können uns noch so sehr einreden, wie stark wir sind, wenn wir nicht im tiefsten Inneren daran glauben. Stärke lässt sich nicht mit Affirmationen und positivem Denken beschwören, wenn sie künstlich ist.
Von den Eltern bedingungslos geliebt zu werden, ist der wichtigste Grundstein für innere Stärke und fürs Selbstbewusstsein. Wenn uns dann aber manchmal verloren geht, was gut an uns ist, müssen wir es suchen. Zehn Minuten reichen aus, um zehn Dinge zu finden, die wir an uns selbst lieben: die Art zu kochen, aufzuräumen, die Ohren oder auch die Füße. Die Spontaneität, die Freundschaftsdienste, die wir leisten, die Hilfsbereitschaft, die Mutterrolle. In irgendetwas ist jeder Mensch gut und stark, und das ist der Ausgangspunkt.
Stark sein für andere
Wird uns in der Kindheit Stärke mitgegeben und in die richtige Bahn gelenkt, bemühen wir uns für den Rest des Lebens, sie zu sichern und weiterzugeben. An den Partner, an Kollegen oder eigene Kinder. Es fühlt sich gut an, stark zu sein für andere, ihnen Stärke zu schenken, Kraft zu haben für sich selbst. „Erfolg bedeutet aber nur zu einem Bruchteil in die Wiege gelegtes Können, es bedeutet vor allem Schweiß“, sagt der Spitzenleistungsexperte und Coach Matthias Herzog. „Wille ist noch wichtiger als Talent, und den Willen zu haben, etwas zu leisten, ist stark.“ Entscheidend sei, ein Ziel für sich selbst zu finden. Also muss uns klar werden, was wir wollen. „Wichtig ist: Warum mache ich das? Das fehlt vielen, deswegen bleiben sie dann doch wieder in ihrem Quark sitzen. Wenn ich nicht weiß, warum ich abnehmen will, oder wenn ich nicht begreife, warum ich mich unwohl fühle, werde ich mich nicht bewegen“, bekräftigt Matthias Herzog. Stets und ständig stark zu sein, immerzu sein Bestes zu geben, strengt an. „Doch nur wenn ich bereit bin, mein Bestes zu geben, muss ich mir im Anschluss keinen Vorwurf machen“, sagt Matthias Herzog.
Nehmen und Geben und stark sein für andere
„Dann ist auch ein siebter Platz stark, wenn einfach nicht mehr drin war.“ Entscheidend ist, was wir draus machen. Zusammengefasst: Orientierungslosigkeit macht eher schwach. Wer stark sein will, braucht ein klares Ziel. Für den Moment und fürs Leben: Die kleine Parklücke nehmen, an der der Typ vor uns gerade mit seinem Kleinwagen gescheitert ist? Na, aber sicher doch! Den nächsten Marathon laufen? Nun heißt es üben. Zufriedene und starke Kinder großziehen? Eine große Aufgabe. Wir wollen glücklich leben? Ein tolles Ziel. Man muss sich diese Ziele vor Augen führen, wenn der Blick abschweift.
„Eine Krise kann ein produktiver Zustand sein. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen“, wusste schon der Schriftsteller Max Frisch. Wer scheitert, darf wütend sein. Wer von jemandem verlassen wird, darf verzweifeln. Wem Krankheit einen Strich durch die Rechnung macht, der darf traurig sein. Manche Menschen stehen nach dem K. o. oder einem Schicksalsschlag auf und machen weiter, als wären sie von einer unsichtbaren Kraft gelenkt. Manchen zieht schon ein verhunztes Referat den Boden unter den Füßen weg, andere verlieren den Mut, weil die Kaffeemaschine zum dritten Mal in Folge den Geist aufgibt. Was zählt, ist danach wieder aufzustehen. Den Zeitpunkt dafür bestimmen wir selbst, wenn wir unsere innere Kraft wieder gefunden haben. Und das dauert, je nachdem, wie gut wir gerüstet sind.
Die Krise im Blick
Auf die meisten Krisen kann man sich vorbereiten, indem man das drohende Szenario einmal vorher durchspielt. Matthias Herzog: „Ausgehend von einer Krise, in der es auf Ihre Stärke ankommt: Fragen Sie sich, was das Schlimmstmögliche ist, das in diesem Moment passieren kann. Wenn uns bewusst wird, dass wir wahrscheinlich nicht daran sterben werden, dass etwa ein Vortrag misslingt, dann gehen wir die Sache viel entspannter an.“ Und zu große Angst behindert uns. Gehen wir eine verlockende, aber riskante Beziehung zu einem unberechenbar wirkenden Mann nicht ein, nur weil uns der Gedanke Angst macht, verlassen zu werden, verpassen wir womöglich die Liebe und den Sex unseres Lebens. „Man sollte nicht vergessen: Starke Menschen sind gewiss schon 100-mal an irgendetwas gescheitert. Denn schwache Menschen würden gar nicht so weit kommen, sie geben von vornherein auf und denken, dass es sowieso nicht funktionieren wird“, erklärt Matthias Herzog. Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist, dass wir dem Hallodri am Ende hinterher trauern und es uns schlecht geht. Der Gewinn aber bleibt: Wir haben es erlebt. Wir waren mutig genug, es zu wagen.
Die Krise im Blick – aber wieder nach vorn gucken
Denn schon Nietzsche wusste: „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.“ In Krisen durchlaufen wir einen Prozess, der uns mit unserem Unbewussten in Kontakt bringt und unserer psychischen Ganzheit ein Stück näher. Individuation nennen das die Psychologen. Wir dürfen weinen, wir dürfen leiden, beides ist kein Ausdruck von Schwäche. Denn es braucht außerordentlich viel Stärke, sich den Schmerzen zu stellen. Krisen verbrauchen Stärke, aber sie machen auch stark. Jeder Mensch hat bis zu dem Punkt seines Lebens, an dem er jetzt steht, Formen von Existenzangst gespürt, Krisen durchgemacht, Verletzungen überlebt. All das müssen wir uns vor Augen führen, wenn sich die Kraft wieder einmal versteckt. Sie ist da.