
Mit dem 40. Geburtstag schleichen sich oft unbequeme Fragen ins Haus: Wir sind irgendwo angekommen, aber wollten wir da auch wirklich hin? Was haben wir erreicht, was unterwegs verloren? 40 ist Halbzeit – Zeit, sich den unerfüllten Wünschen zu stellen. Und wer glaubt, dafür sei es zu spät, sollte die Sache einmal statistisch betrachten: Eine Frau von 40,6 Jahren kann heute ohne Weiteres erwarten, dass noch einmal genau so viel Lebenszeit vor ihr liegt.
Wahr ist allerdings auch, dass wir mit zunehmendem Alter risikoscheuer werden. Denn potenziell gibt es mehr zu verlieren. In der Regel erfordert es mehr Mut, sich aus den Zwängen des Alltags zu befreien, der Familie und den Freunden ungewohnte Seiten zu zeigen. Im „Jetzt oder Nie“ kann aber auch eine ungeheure Energie frei werden. Wenn wir jetzt einen Neuanfang wagen, dann mit innerer Überzeugung – und größerer Aussicht auf Erfolg: Wir wissen besser, welche Werte uns wichtig sind und was wir uns zutrauen können. 40 heißt: jung genug, es zu tun und alt genug, es richtig zu machen.

„Ich dachte immer, ich mach das klassische Modell: Kinder zu kriegen – das war für mich an eine stabile Beziehung gekoppelt. Dann wurde ich UNGEPLANT SCHWANGER – und von Anfang an war klar: wenn, dann muss ich das alleine durchziehen."
"Ich wusste, das ist meine letzte Chance: Auf den idealen Partner konnte ich nicht mehr warten. Es war ein Gefühlschaos: Ich hatte gerade erst die Bereichsleitung in einem neuen Krankenhaus übernommen. Schon das war eine große Herausforderung. Meine erste Frage war: Wie kriege ich das alles organisatorisch hin? Ich habe mich dann ganz pragmatisch hingesetzt und mir Schritt für Schritt einen Plan gemacht. Schon in der siebten Schwangerschaftswoche bin ich zum Jugendamt: ,Ich werde sofort wieder voll anfangen zu arbeiten, ich brauche eine Tagesmutter.’ Dann habe ich der Klinikleitung gesagt, dass ich keine Nacht- und Wochenenddienste mehr machen kann.
Ich dachte, damit wäre ich für die Klinik untragbar – aber es ging! Ich habe Charlotte ein Jahr lang gestillt – in meiner Mittagspause oder auch zwischen den OPs. Heute ist sie fast vier, und es ist toll, ein Leben vom Beginn an in all seinen Etappen mitzuerleben. Mit 30 hätte ich das alles nicht so regeln können, da wäre ich nicht so selbstsicher gewesen. Heute habe ich mein Standing im Beruf. Ich bin mutiger geworden, auch mal etwas für mich einzufordern.“ Stephany Ostermann, Oberärztin in der Gynäkologie, heute 44.
Eva-Maria Posner, Ökotrophologin

„Es fing damit an, dass wir uns auch außerhalb der Fitnesskurse trafen, Conny war unsere neue Trainerin. Wir machten lange Spaziergänge, jede erzählte aus ihrem Leben. Schnell war klar: DA IST VIEL MEHR ZWISCHEN UNS."
Dann begann das Drama: Ich – seit 14 Jahren verheiratet, meine Kinder zwölf und zehn – ich bin anders. Es war ein Schock, das zu sehen: Ich hatte meinen Mann aus Liebe geheiratet, damals irgendwie der ganz normale Weg: einen Mann zu heiraten und Kinder zu kriegen. Doch so viel Gefühl und Zärtlichkeit wie jetzt hatte ich noch nie erlebt, diese Leidenschaft war heftig und neu. Ich dachte zuerst, vielleicht geht beides: Conny und die Familie. Ich tat alles, um sie heimlich zu treffen. In der ersten Verliebtheit verkraftet man ja so einiges, aber es war nervenzehrend. Den Tag, an dem ich dann in meine eigene Wohnung gezogen bin, kurz vor meinem 40. Geburtstag, habe ich völlig verdrängt. Die Kinder blieben bei ihrem Vater, ich wusste sie dort in guten Händen.
In meinem Leben gab es nun so viele existenzielle Veränderungen. Ich glaube, ich musste mich neu mit mir anfreunden. Erst als ich für mich innerlich klar hatte: Mit einer Frau leben – das ist es, was ich will – konnte ich auch offen damit umgehen. Mein Mann will bis heute nicht mit mir darüber reden. ,Dann hast du das mit uns nur gespielt’, hat er mir hinterher vorgeworfen. Aber so stimmt das nicht. Es war mir genauso ernst, es war bis dahin mein Weg – aber eben nur bis dahin. Aus unserer gemeinsamen Zeit ist mir nur ein befreundetes Ehepaar geblieben. Heute weiß ich, die anderen sind es auch nicht wert gewesen. Gerade bin ich Großmutter geworden, zu meinen Kindern habe ich einen guten Kontakt. Der Tag, an dem ich auszog, muss für sie grausam gewesen sein. Aber für mich war es die glücklichste Wendung in meinem Leben.“ Eva-Maria Posner, Ökotrophologin, heute 56.
Margarete Liebsch, Lehrerin

„An meinem 36. Geburtstag erfuhren wir, dass MEIN MANN bereits seit zehn Jahren eine Leberzirrhose hatte. Es war unfassbar: Innerhalb von drei Monaten ist er dann gestorben, die Zeit war so kurz!"
Trauerarbeit gab es damals noch nicht, man versuchte, alleine damit fertig zu werden. Ich weiß, dass ich im Krankenhaus bei meinem Mann am Bett gesessen und gedacht habe: Wenn es nun so ist, dann werde ich das Abitur nachmachen, dann werde ich Lehrerin. Dieser Gedanke glich einem Rettungsanker, ich brauchte einfach eine Perspektive… In meiner Ehe hatte ich immer das absolute Gefühl von Geborgenheit, und das war weg – wie mit einem Schwert durchtrennt. Es war ein enormer Einschnitt für mich. Bis dahin bin ich meiner Familie gegenüber immer brav gewesen: Weil mein Vater die Meinung vertrat, mittlere Reife reiche für Mädchen, machte ich eine Lehre im Versicherungsfach. Obwohl ich viel lieber weiter gelernt und später selbst unterrichtet hätte. Nach dem Tod meines Mannes fanden meine Eltern und Schwiegereltern, ich sollte halbtags in meinem alten Beruf arbeiten. Alles andere sei unverantwortlich, schließlich musste ich drei Kinder versorgen.
Aber da habe ich das erste Mal Nein gesagt. Es klingt vielleicht seltsam, aber der Verlust meines Mannes hat mich gestärkt, meinen Weg allein zu gehen. Ich hätte den Sprung sonst nie gemacht. Ich habe möglichst vielen von meinem Vorhaben erzählt – ich wollte so Pflöcke setzen, damit mir der Entschluss nicht wieder wegrutscht. Dann habe ich abends die Hochschulreife nachgeholt und drei Jahre lang Deutsch und Geschichte studiert. Ich glaube, ich wäre sonst eingegangen wie eine Primel. Natürlich war es auch schwierig mit den Kindern. Aber sie hatten auf diese Weise auch eine Mutter, die nicht in Depressionen fiel. Im Studium habe ich alles aufgesaugt wie ein Schwamm. Mir erschlossen sich neue Welten. Mit 42 stand ich endlich als Lehrerin vor einer Klasse, da war mein Ältester kurz vorm Abitur. Die Schule wurde neben meinen Kindern mein Leben. Ich hatte das Gefühl: Hier kann ich etwas sein und geben.“ Margarete Liebsch, Lehrerin, heute 75.
Isabel Baum, Marketingexpertin

„Schon als Kind wollte ich ein Musikinstrument spielen, am liebsten KLAVIER, aber so ein Klavier muss man ja erst mal haben. Als meine Eltern meinten: Ach, Gitarre ist doch auch schön – da hab ich eben erst mal Gitarre gelernt.
Aber nur drei Jahre lang, irgendwie hat mich das einfach nicht begeistert. Der Wunsch mit dem Klavier ist aber immer geblieben. Als ich dann mit meinem Freund zusammenzog, brachte der sein Klavier mit in die gemeinsame Wohnung: so ein schönes altes, schwarz lackiertes. Trotzdem habe ich es immer nur angeguckt. Lange Zeit redete ich mir ein, als Beraterin bist du beruflich sowieso viel zu eingespannt: ‚Mach lieber was Einfaches, du hast gar nicht die Geduld, noch so etwas Fisseliges zu lernen.’ Bis mein Freund und ich vor ein paar Jahren im Advent zusammensaßen und wir uns gefragt haben: Was wollen wir eigentlich vom nächsten Jahr? Was ist uns wichtig? Und dann hab ich mir den Klavierunterricht einfach zu Weihnachten gewünscht, von der ganzen Familie. Bei den Geschenken ist es ja inzwischen so: Was ich haben möchte, kauf ich mir selbst. So ein Gutschein ist natürlich auch mit Geld verbunden, aber den Anstoß, den Anfangskick, den hab ich mir schenken lassen. Wenn jetzt schon mehrere zusammenlegen, dann muss ich’s auch tun. Kurz vorher habe ich überlegt, ob ich heimlich schon mal üben soll.
Ich konnte zwar Noten lesen, aber mit der Klaviatur, das war mir alles neu. Dann saß ich in der ersten Stunde da und dachte: auweia. Da wird ein ganz anderer Teil des Gehirns beansprucht, das strengt ganz schön an. Aber im Vergleich zum Gitarrespielen früher habe ich nicht das Gefühl, dass ich langsamer lerne. Im Gegenteil: Ich weiß jetzt, warum ich das mache und bin ganz anders dahinter her. Und ich will ja auch nicht mehr auf die Bühne. Mein Ziel ist, dass ich mir selber etwas vorspielen kann: Chopin, Mozart, Bach, Beethoven – anspruchsvolle Klavierstücke. Ich sehe jede Woche, wie ich echte Fortschritte mache. Ich übe täglich eine halbe Stunde. Inzwischen schaffe ich mir einfach auch den Freiraum für alles, was mir wichtig ist, denn das passiert ja nicht von alleine. Ich habe noch viele Dinge vor im Leben – das Klavierspielen ist nur eins davon.“ Isabel Baum, Marketingexpertin, heute 47.
Kristin Büsing, Food-Stylistin

„Zuerst habe ich meinen Mann überredet, mit mir für einhalbes Jahr nach Australien zu gehen. Es sollte so etwas wie unser LETZTES ABENTEUER sein. Aber schon auf dem Rückflug war klar, dass wir wiederkommen wollen – um für immer dort zu leben."
Sydney, weiter weg geht’s kaum. Mit 20 hätten wir vielleicht einfach den Rucksack gepackt und zur Not in irgendeinem Café gejobbt. Mit Ende 30 plant man mehr. Uns ging es in Deutschland richtig gut, wir hatten nette Freunde, waren beruflich etabliert. Aber wir hatten eben auch diese Sehnsucht nach Sydney: eine Metropole, umgeben vom Meer, die Freundlichkeit der Menschen, Strände und viel Sonne. Diese Bilder haben uns stark gemacht, wenn Zweifel aufkamen. Wir wussten: Ob sich unser Traum erfüllt, finden wir nur heraus, wenn wir es tun. Vier Jahre hat es gedauert, bis wir wirklich gegangen sind. Mein Mann hatte einen Job bei einer australischen Werbeagentur gefunden.
Aber für mich war der Anfang schwerer. Ob ich als Food-Stylistin in Deutschland tolle Sachen gemacht hatte, das interessierte niemanden: Ich musste mich neu beweisen. Irgendwann habe ich gedacht: Was hast du dir da eigentlich eingebrockt? Um die Motivation zu behalten, musste ich mir immer wieder aufs Neue Mut zusprechen: Wir sind da, wo wir immer hin wollten! Inzwischen bin ich bei einem Kochbuch-Verlag angestellt – ein Meilenstein. Heute weiß ich: Man braucht zwei Jahre, um anzukommen. Vielleicht war es gut, dass ich mir das vorher nicht so ausgemalt habe. Wenn ich jetzt zur Arbeit fahre und über das Wasser der Skyline entgegensehe, bin ich stolz und froh: Der Traum war bei meinem Mann und mir gleich stark, wir wollten, dass unsere Kinder hier aufwachsen. Unsere Tochter Mae ist inzwischen zwei Jahre alt.“ Kristin Büsing, Food-Stylistin, heute 42.