
An den meisten Tagen rauscht das Leben an uns vorbei. Wir gestalten nicht, wir funktionieren und befüllen unsere Tage mit Terminen, beruflichen und privaten. Und da wundern wir uns noch, dass wir verlernt haben, zu genießen, weil wir uns nie dem Moment widmen, sondern stets dem Ziel. Egal, ob wir hektisch aus dem Haus gehen, um uns nachher zu fragen, ob wir die Kaffeemaschine ausgeschaltet haben oder ob wir freundlich die Hand unseres Gegenübers schütteln, während wir fieberhaft in unserem Gedächtnis nach seinem Namen suchen. Wir schen- ken dem Jetzt zu wenig Aufmerksamkeit – und uns selbst zuletzt. Genau hier liegt der Schlüssel zur Veränderung: in uns. Wenn wir aufhören, unsere Empfindungen zu vernachlässigen, gewinnen wir – indem wir uns selbst gegenüber achtsam sind, uns selbst gewahr werden, macht uns das gesünder, gelassener, zufriedener. Die "Bodyscan"-Übung hilft dabei.
Sich auf sich selbst einzulassen, schenkt Kraft
Der emeritierte Professor Jon Kabat-Zinn, 72, hat dazu Programme entwickelt, in die Menschen jeden Alters einsteigen können, körperliche Fitness spielt dabei keine Rolle. „Wichtig ist es, sich auf die Übung – und damit auf sich selbst – einzulassen“, sagt der amerikanische Pionier der modernen Achtsamkeitspraxis. „Offen zu sein für neue Erfahrungen und uns Zeit zu nehmen für uns selbst.“ Die wichtigste seiner Übungen ist der Bodyscan. Was wir dazu brauchen? Nichts, außer einer halben Stunde Ruhe. Am besten funktioniert die Übung in elf Schritten im Liegen, entweder auf einer Matte oder im Bett. Dann geht es los: Wir lassen unsere Aufmerksamkeit durch unseren Körper wandern, so als würden wir die Wände einer Höhle mit einer Taschenlampe ausleuchten – Bodyscan bedeutet so viel wie „Körper erfassen“.
Das mag einem im ersten Moment seltsam erscheinen. Wenn wir uns ausmalen, wie die Luft beim Einatmen zu jeder der Körperregionen wandert, die wir in Gedanken erspüren, wirkt das beruhigend. Natürlich kann niemand in die Zehen atmen – aber die Vorstellung hilft, sich auf diesen Körperteil zu konzentrieren und nicht abzuschweifen. Wer den Moment bewusst wahrnimmt, ohne ihn zu bewerten, lernt fürsorglich mit sich selbst umzugehen.

Schritt 1:
Legen Sie sich auf den Rücken, die Beine leicht auseinander. Winkeln Sie die Beine an, wenn das bequemer ist. Schließen Sie die Augen, Sie dürfen sie jederzeit wieder öffnen. Spüren Sie das Gewicht des Körpers auf der Matte oder dem Bett und registrieren Sie, wo er aufliegt.

Schritt 2:
Wenn Sie bereit sind, lenken Sie die Wahrnehmung der Reihe nach auf die Zehen des linken Fußes. Achten Sie auf jede Empfindung: die Berührung eines Zehs mit einem anderen, Wärme oder Kälte, ein Kribbeln. Wandern Sie dann mit der Aufmerksamkeit zu den anderen Teilen des Fußes: Sohle, Ballen, Ferse, Oberseite, Seiten und Knöchel.

Schritt 3:
Lenken Sie nun die Aufmerksamkeit nacheinander auf das linke Schienbein, Wade, Knie und Oberschenkel. Verweilen Sie etwa eine halbe Minute bei jedem Körperteil, bevor Sie weiterwandern. „Scannen“ Sie Wade und Oberschenkel von allen Seiten.

Schritt 4:
Gehen Sie mit der Aufmerksamkeit vom linken zum rechten Bein. Wie zuvor nehmen Sie der Reihe nach jeden Zeh, dann Sohle, Ballen, Ferse, Oberseite und Außenseiten des Fußes und Knöchels wahr. Danach scannen Sie auch rechts Wade, Knie und Oberschenkel.

Schritt 5:
Verfahren Sie auf gleiche Weise im Beckenbereich: Leiste, Genitalien, Gesäß, Hüfte. Lassen Sie sich dabei Zeit. Wandern Sie dann mit der Aufmerksamkeit zum unteren Rumpf, Unterbauch und unteren Rücken. Nehmen Sie die Bewegung des Bauchs beim Atmen wahr.
Tipp:
Weiter gehts!
Es ist ganz normal, in manchen Körperteilen gar nichts zu empfinden. Bleiben Sie mit Ihrer Wahrnehmung kurz an dieser Stelle und nehmen sie mit Akzeptanz und Interesse wahr, während der Atem ein- und ausströmt. Dann gehen Sie weiter.

Schritt 6:
Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die Brust und auf den oberen Rücken. Spüren Sie, wie sich der Brustkorb im Atemrythmus hebt und senkt. Beobachten Sie den Herzschlag, falls Sie ihn spüren können. Nehmen Sie Ihre Lungentätigkeit wahr.

Schritt 7:
Gehen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit zum linken Arm und zu den Fingern. Verfahren Sie wie bei den Zehen. Nehmen Sie dann die Handinnenfläche, das Handgelenk, den Handrücken und die Seiten der Hand wahr. Wandern Sie am linken Arm über den Unterarm zu Ellbogen, Oberarm und Schulter. Scannen Sie dann auf gleiche Weise den rechten Arm.

Schritt 8:
Richten Sie die Aufmerksamkeit auf Nacken und Hals. Danach gehen Sie zum Kiefer und zum Mund, einer Hauptquelle für Körper- empfindungen. Spüren Sie, wie die Lippen sich berühren, nehmen Sie die Grenzen Ihres Mundraums mit der Zunge wahr.

Schritt 9:
Nehmen Sie Augen und Lider wahr, eine weitere wichtige Quelle von Sinnesempfindungen. Spüren Sie den Lidschlag und prüfen Sie, ob es bei den Augen unterschiedliche Empfindungen gibt. Gehen Sie zur Nase und spüren Sie, wie Sie ein- und ausatmen.

Schritt 10:
Lenken Sie die Aufmerksamkeit auf Ohren, Wangen, Schläfen, Stirn, Hinterkopf und Scheitel. Nehmen Sie wahr, wie das Haar auf der Haut aufliegt.

Schritt 11:
Beenden Sie die Übung, indem Sie einige Minuten lang Ihren Körper als Ganzes bewusst wahrnehmen. Fühlen Sie, wie der Atem ihm durch sein beständiges Ein- und Ausströmen Leben schenkt. Gehen Sie behutsam aus der Meditation heraus. Spüren Sie sich in Ihrer Ganzheit, gelassen und in sich ruhend.
Tipp:
Einfach Probieren!
Häufigkeit: Am besten eine Woche lang zweimal am Tag oder täglich eine längere Einheit – bis die Übung so selbstverständlich zum Tag gehört wie Zähneputzen. Besonders schön als Ritual, mit dem der Tag begrüßt wird, besonders entspannend vorm Einschlafen.
Dauer: Entscheiden Sie je nach Tagesform, wie viel Zeit Sie ihr widmen. Etwa 30 Minuten sind für die meisten optimal.
Positive Effekte: Diese zentrale Achtsamkeitsübung verbindet Körper und Geist und steigert, sofern sie regelmäßig ausgeführt wird, Zufriedenheit, Belastbarkeit und Gesundheit.