
Silikon ist ein Verwandlungskünstler. Es tritt unter verschiedenen Namen auf, und es gibt kaum etwas, was es nicht kann. Dass dieser synthetische Stoff so wandelbar ist, liegt daran, dass er wie Lego funktioniert. Man kann kurzkettige, langkettige oder ringförmige Silikone bauen und beliebig miteinander verzweigen. Deshalb gibt es auch so viele Einsatzgebiete – ob zum Abdichten von Fugen, als Brustimplantat, Kuchenform oder zum Faltenauffüllen. Kein Wunder, dass Silikon zu den am häufigsten eingesetzten Kosmetikzutaten überhaupt gehört – auch wenn es in letzter Zeit in die Kritik geraten ist. Während die einen Beauty-Hersteller darauf schwören, ist es in der Naturkosmetik tabu und wird von anderen konventionellen Anbietern wieder aus einigen Produkten herausgenommen. Woran liegt es, dass Silikon so polarisiert? Was ist Vorteil, was Vorurteil? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
BESCHWEREN SILIKONE DIE HAARE?
Glänzende Haare sind der Inbegriff von Attraktivität. Deshalb enthalten mehr als die Hälfte aller Shampoos und sogar 90 Prozent aller Spülungen Silikon. Wie ein Schutzfilm legt es sich um jedes einzelne Haar, schmiegt abstehende Hornschüppchen an den Schaft und reflektiert das Licht. Kritiker behaupten, dass Silikonrückstände sich auf den Haaren ansammeln, es fettig wirken lassen und das Färben erschweren. „Früher war das tatsächlich oft der Fall“, sagt Britta Klebon, stellvertretende Direktorin der wissenschaftlichen Abteilung von Garnier. „Heute werden mehr wasserlösliche Silikone eingesetzt. Für unsere ‚Fructis‘-Haarpflege verwenden wir z. B. ‚Amodimethicone‘, die mit einem Anziehungskraft-Trick arbeiten.
Da die Moleküle einen positiv geladenen Seitenarm haben, docken sie gezielt an den geschädigten, negativ geladenen Haarstellen an, ohne den Rest zu beschweren.“ In puncto kaputte Haarspitzen ist Silikon sogar das Einzige, was hilft. Es kann das Haar zwar nicht reparieren, aber so versiegeln, dass es nicht weiter aufribbelt.
SCHADET EIN SILIKONFILM DER HAUT?
Was Silikon auf den Haaren kann, kann es auch auf der Haut: Es bildet eine Art wasserabweisenden Mantel, der vor Feuchtigkeitsverlust schützt. Das macht es zu einer idealen Zutat in Handcremes und Salben gegen Wunden, die es wie ein Sprühpflaster verschließt. Gut ist vor allem, dass Allergien gegen Silikon unbekannt sind. Auch in Körperölen kommt Silikon oft zum Einsatz, denn es ist ewig haltbar, fixiert Duftstoffe auf der Haut und fühlt sich nicht fettig an. Das hat den Vorteil, dass Sie sofort nach dem Einreiben in Ihre Jeans schlüpfen können. Einen wahren Boom erlebt Silikon seit ein paar Jahren zudem in sogenannten „Falten-Filler-Produkten“, die nach dem Prinzip eines Fugenfüllers funktionieren. Durch die hohen Dosen an Silikon erscheint das Gesicht jugendlich glatt – und das direkt nach dem Auftragen. Klingt super, ist aber nur die eine Seite der Medaille. Steckt nämlich zu viel Silikon in einer Creme, staut sich der Schweiß, die Haut quillt unter dem Film auf und wird spröde. Außerdem liefert Silikon im Gegensatz zu pflanzlichen Ölen keinerlei eigene Pflegestoffe, sodass immer Wirkstoffe zugesetzt werden müssen, um mehr als einen oberflächlichen kurzfristigen Effekt zu erzeugen. Cremes, die Sie täglich anwenden wollen, sollten am besten nur solche Mengen Silikon enthalten, dass es in den unteren zwei Dritteln der Zutatenliste (siehe Kasten) auftaucht.
WAS MACHT SILIKON IN MAKE-UP?
Haben Sie sich schon mal gefragt, was ein Mousse-Make-up so schaumigleicht und einen Lippenstift kussecht macht? Obwohl es nur wenig bekannt ist, spielen Silikone in Lippenstiften, Lidschatten und Foundations eine große Rolle. Dafür, dass sich die Produkte so geschmeidig auftragen lassen und die Farben über Stunden an Ort und Stelle bleiben, sind „flüchtige Silikone“ verantwortlich. Das Besondere daran: Sowie sie mit Hautwärme in Kontakt kommen, verdunstet der cremige Anteil und zurück bleiben festere Partikel, die sich pudrig anfühlen und Farbpigmente fixieren.
BELASTEN SILIKONE DIE UMWELT?
Gemessen an den Mengen, die etwa in der Autoindustrie oder beim Häuserbau anfallen, dürfte silikonhaltige Kosmetik aus ökologischer Sicht nicht sonderlich zu Buche schlagen, sollte man meinen. Für die Herstellung von Silikon, bei der jede Menge klimaschädliches Kohlendioxid entsteht, mag das sogar stimmen. Aber nicht unbedingt, was unser Wasser betrifft, denn im Gegensatz zu Dichtungen, die fest sitzen, wird silikonhaltige Kosmetik tagtäglich beim Waschen, Baden oder Duschen abgespült. Ein Problem, das nicht unterschätzt werden sollte, warnt das Umweltbundesamt. Rund 330 Tonnen Shampoos und Spülungen wurden 2007 in Deutschland verkauft, die gemeinsam mit Creme- und Bodylotionresten durch die Abflüsse rauschten und im nächsten Klärwerk landeten. Da die Kosmetikhersteller betonen, dass sie seit ein paar Jahren verstärkt wasserlösliche Silikone einsetzen, müsste sich das doch auch positiv auf die Umwelt auswirken, oder?
„Das ist leider ein Trugschluss“, sagt Harald Hanßen, Abteilungsleiter bei der Stadtentwässerung Hamburg. „Die Tatsache, dass sich die Silikone leichter aus den Haaren waschen lassen, heißt noch lange nicht, dass sie auch besser abbaubar wären.“ Was passiert also mit unseren Pflegeresten? Große Silikone bleiben an festen Partikeln haften, die aus dem Abwasser herausgefiltert werden. Die kleineren gelangen in den sogenannten „Belebtschlamm“. Darin verarbeiten Bakterien die nährstoffreichen Abwasserinhaltsstoffe zu Klärschlamm und Kohlendioxid – normalerweise jedenfalls. Bei Silikon klappt das nämlich nicht, sodass es im Klärschlamm zurückbleibt. Dieser wird zur Hälfte mitsamt dem Silikon darin verbrannt. Die anderen 50 Prozent werden jedoch wegen ihres hohen Stickstoff- und Phosphorgehalts oft als Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt. So gelangen die Silikonreste in Flüsse, Seen und ins Grundwasser.
„Dass die Silikonbelastung durch Kosmetik in den letzten Jahren stark zugenommen hat, merken wir vor allem daran, dass unsere Verbrennungsmotoren für Klärgas nicht mehr wie früher 8000 Stunden, sondern nur noch 3000 Stunden störungsfrei laufen“, sagt Harald Hanßen. „Der bei der Verbrennung von silikonhaltigem Klärgas entstehende Quarzsand lagert sich überall in den Maschinen ab. Außerdem treten vermehrt schädliche Bakterien der Gattung ‚Nocardia‘ auf, die als Hinweis für deutlich erhöhte Silikonwerte gesehen werden.“ Wer die Vorteile von silikonhaltigen Handcremes, Haarwaschmitteln oder Faltenfüllern nutzen möchte, ohne der Umwelt zu schaden, sollte das deshalb maßvoll und gezielt tun.