
Wenn Jos van Mil (46) nach seinen Tomaten sieht, greift er zu weißem Kittel und Schuhüberziehern. Eine grüne Schürze oder erdige Finger sucht man bei dem holländischen Gärtner vergebens. In Honselersdijk bei Den Haag betreut er mit seinem Team in einem 1500 Quadratmeter großen Hightech-Gewächshaus über 50 verschiedene Tomatensorten. Der Computer ist dabei sein wichtigstes Arbeitsmittel.
Bis zur vollen Reife
Mit seiner Arbeit steht Jos van Mil stellvertretend für die gesamte holländische Obst- und Gemüsebranche. Wie er versuchen 9000 Kollegen, das schlechte Image, das ihren Produkten anhaftet, zu verbessern. Denn was aus niederländischen Gewächshäusern jahrelang importiert wurde, brachten Verbraucher stets mit „Pestiziden“, „Ressourcen-Verschwendung“ und „wässrigem Geschmack“ in Verbindung. Die extremen Umsatzrückgänge in den 90er-Jahren veranlassten die Gärtner zum Handeln. Gerade der Geschmack ihrer Gewächshausprodukte liegt ihnen am Herzen. „Unsere Tomaten galten bei deutschen Verbrauchern nur als ,Wasserbomben‘. Schön anzusehen, aber von dem eigentlichen Tomatenaroma weit entfernt. Die Früchte wurden einfach zu früh geerntet, damit sie nicht schon vor dem Verkauf matschig wurden“, erklärt Jos van Mil. Die Farbe verändert sich dann zwar, aber mehr eben auch nicht. Denn sobald eine Tomate von ihrer Stammpflanze getrennt ist, kann sie nicht mehr mit Geschmacksstoffen versorgt werden. Heute bauen Hollands Gärtner widerstandsfähigere Züchtungen an und lassen die Früchte so lange an den Pflanzen ausreifen, bis sie einen hohen Brix-Wert (das ist das Maß für den Zuckergehalt) erreicht haben. Dann ist ihr Aroma voll ausgebildet. Etwa 200 Stoffe prägen das Geschmacksbild einer einzelnen Frucht. Unter den vielen verschiedenen Tomaten in Jos van Mils Gewächshaus kann jeder seine Lieblingssorte entdecken. Neben den klassisch roten wachsen hier auch gelbe und grüne, orangefarbene, gestreifte oder sogar dunkelviolette Tomaten. Bei Größe und Geschmack gibt es ebenfalls enorme Unterschiede: von den neun Millimeter kleinen Tomaten-Zwergen, die Kinder gerne wegen ihrer Süße essen, bis hin zu den enormen Ochsenherz-Tomaten, die stolze 200 Gramm pro Stück auf die Waage bringen können.
Gemüse mit Inhalt
Gemüse mit Inhalt
Wer reinbeißt, stellt fest, dass die Gewächshaustomate mit ihrem Freiland-Pendant durchaus mithalten kann. Das gilt auch für Gurken, Paprika und Auberginen. Bei den Inhaltsstoffen gibt es ebenfalls keine großen Unterschiede. „Die zeigen sich erst bei der Schädlingsbekämpfung, die im Unterglasanbau einfach besser zu kontrollieren ist“, erläutert Jos van Mil. Jeden Tag muss er seine Pflanzen auf Schädlinge untersuchen. Zur Bekämpfung nutzt er, wie die anderen Gärtner, biologischen Pflanzenschutz, setzt also natürliche Feinde ein. So fressen zum Beispiel Schlupfwespen die für die Tomaten gefährliche weiße Fliege. Denn die entzieht den Pflanzen Nährstoffe und hemmt so deren Wachstum. Für den Beobachter sind die Nützlinge kaum zu erkennen. Nur kleine Pappkärtchen, die in den Pflanzen hängen, weisen darauf hin, dass hier Nützlinge am Werk sind. Der Vorteil für die Pflanzen: Sie bilden keine Resistenzen mehr und bleiben vital und gesund. Pestizide sind nur noch im äußersten Notfall nötig. Das wurde auch in den Tests von Greenpeace und dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit festgestellt. „Rückstände von Pflanzenschutzmitteln auf Obst und Gemüse werden deutlich weniger. Und Holland ist in Europa bei biologischer Schädlingsbekämpfung inzwischen Vorreiter. Mittlerweile versorgen sie mit ihren Nützlingen auch die spanischen Anbaugebiete“, erklärt Manfred Santen, Chemie-Experte von Greenpeace. Und das ist gut so, denn spanisches Gemüse fiel in der Vergangenheit häufig durch hohe Pestizidbelastungen auf, und das Umdenken war dringend notwendig.
Ein geschlossenes System
Auch die Holländer mussten umdenken, und zwar bei ihrer verschwenderischen Anbauweise. Heute versorgt der Klima-Computer Jos van Mils Tomatenpflanzen mit genau der Menge an Wasser, Mineralstoffen, Wärme und Dünger, die sie gerade brauchen. Die Ressourcen werden so besser geschont. Regenwasser fangen die Gärtner in Bassins auf, reinigen es und führen es über ein verzweigtes Röhrensystem zu den Pflanzenwurzeln. Im Wasser sind die Nährstoffe enthalten, die die Tomaten ansonsten über die Erde aufnehmen. Als Erdersatz dient sogenannte Steinwolle, wie bei Paprika, Gurken und Auberginen auch. Der Vorteil: Überflüssige Nährstoffe können so aufgefangen und wiederverwertet werden. Auch das Wasser, das die Pflanzen nicht über die Steinwolle aufnehmen, wird gereinigt und wieder verwendet. Nach etwa sechs Monaten tauschen die Gärtner die Steinwolle aus und sie wird zu neuem „Boden“ recycelt. Beim Heizen sparen Hollands Anbaubetriebe ebenfalls. Was sie nicht für die Heizung der Gewächshäuser benötigen, speichern sie in speziellen Behältern und verwenden es erst wieder bei Bedarf. Ein Ablüften und damit ein Verschwenden der Wärme nach draußen gibt es nicht mehr.

1600 Hektar Anbaufläche für Tomaten
1600 Hektar Anbaufläche für Tomaten
Das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2), das beim Heizen entsteht, führen die Gärtner über ein Pipeline-System den Pflanzen wieder zu. Und die benötigen es zum Wachsen. „Die holländische Technik zum Anbau von Gewächshausgemüse ist weit entwickelt und unter den gegebenen Voraussetzungen effizient“, sagt Dr. Niels Jungbluth, Umweltingenieur und Experte für Ökobilanzen bei der unabhängigen Schweizer Firma ESU Services GmbH. „Trotz der Verbesserungen in den letzten Jahren sollte uns aber bewusst sein, dass Gemüseanbau im Gewächshaus immer aufwendiger als Freilandanbau ist und deshalb ein umweltbelastender Luxus“, meint Jungbluth. Trotzdem ist holländisches Gemüse in den kalten Jahreszeiten eine echte Alternative. Denn die wenigsten von uns wollen im Winter auf das Tomatenbrot oder den Gurkensalat verzichten. Wer aber noch klimafreundlicher essen möchte, kauft saisonales Biogemüse aus der Region. Doch dann gibt es im März eben keinen Mozzarella mit Tomaten.