
So ganz spurlos geht Corona an keinem vorbei. Sei es die Angst vor dem neuartigen Virus, die wirtschaftliche Lage oder die auferlegten Lockdown-Maßnahmen: Unsere Psyche muss momentan so einiges aushalten und das hat Folgen. Wie die kaufmännische Krankenkasse (KKH) mitteilte, stieg die Zahl der psychischen Erkrankungen im ersten Halbjahr 2020 deutlich. Die KHH verzeichnete rund 26.700 Fälle, im Vorjahreszeitraum waren es rund 14.600. Die Befragung der AXA untermauert dies. Ergebnissen zufolge seien junge Menschen stärker eingeschränkt als Ältere. Frauen empfinden die Doppelbelastung mit Job und Kinderbetreuung stärker. Personen mit psychischen Vorerkrankungen sind erwartungsgemäß in der Krise stärker betroffen.
Corona-Krise: Unser Gehirn will Kontrolle
Das kann auch Dr. Stephanie Grabhorn, Chefärztin der psychosomatischen Privatklinik Blomenburg in Selent bei Kiel bestätigen. „Es handelt sich aktuell tatsächlich um eine nie dagewesene Krise, in der es um die gesundheitliche und finanzielle Existenz aller geht. Das führt zu Ohnmacht und Hilflosigkeit und diese bedeuten Dauerstress.“ Unser Gehirn ist so gepolt, dass es nach Kontrolle strebt. Es kennt quasi nur zwei Modi: Kämpfen oder Flüchten, so die Expertin. Da wir in der aktuellen Situation weder das eine noch das andere können, sind wir machtlos und empfinden je nach Persönlichkeit und Situation eine ganze Flut von Gefühlen. „Einige Menschen reagieren mit Angst und Panik, andere mit Rückzug, Depression, Trauer oder Wut. Andere werden aggressiv und rebellieren“, so Dr. Grabhorn.
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Warum die Corona-Pandemie depressiv macht
Unsere menschliche Psyche ist clever und hat Mechanismen entwickelt, um sich vor Gefühlen wie Ohnmacht, Unsicherheit und Hilflosigkeit zu schützen. So gaukeln wir uns zum Beispiel Kontrolle und Handlungsfähigkeit vor oder verleugnen die Gesamtsituation. Auch das Demonstrieren von Macht kann ein Gefühl von Sicherheit erzeugen.
Die Hilflosigkeit, die wir während der Corona-Pandemie erleben, kann auch zu Angst, Trauer, Rückzug, Selbstaufgabe oder einem Gefühl der Lähmung führen. „Die gefühlte Unfähigkeit, Bedrohungen aus dem Weg zu gehen oder wirksam zu begegnen, kann enorme Ängste und Panik auslösen“, so die Psychologin. Folglich können Betroffene in eine Depression geraten, in der sie Geschehnisse nicht mehr rational betrachten können, sondern diese auf sich beziehen.
Depressive Menschen neigen zur Annahme, dass ihre gegenwärtigen Schwierigkeiten und ihr Leiden in der Zukunft kein Ende finden werden und, dass jegliche Unternehmungen sowieso scheitern werden. „Viele Menschen leiden in der Depression unter körperlichen Symptomen, wie Appetitlosigkeit, Unruhe, Anspannung und Schlafstörungen“, erklärt die Expertin.
Hinzu kommt, dass Bedürfnisse wie Nähe, Bewegung und Kommunikation, die zu einer ausgeglichenen Psyche beitragen, in der Krise untergeordnet werden. „Wir erwarten während und nach der Corona- Krise eine Zunahme von Depressionen und Angststörungen“, fasst Dr. Grabhorn zusammen.
Raus aus der Depression: So stärken Sie Ihre Psyche
Das Tückische an dieser Corona-Pandemie ist auch, dass sie uns nicht nur psychisch massiv belastet, sondern wir auch keine Möglichkeit haben, wieder ins Gleichgewicht zu kommen und uns zu stabilisieren. Jedoch gilt: Je stärker und belastbarer unsere psychischen Schutzmechanismen sind, desto besser kommen wir durch diese schwierige Zeit. Doch je länger die Corona-Pandemie andauert, desto mehr gerät unser Fundament der Selbstregulation ins Wanken. Isolation und Langeweile tragen noch zusätzlich zum Stimmungstief bei. Die Krankenkassen Zentrale hat Tipps zusammengestellt, die unsere Psyche stärken:
- Tagesstruktur
Pflegen Sie eine Alltagsstruktur und bauen sich eine Tagesroutine auf. Diese gibt Ihnen ein Gefühl von Sicherheit. - Ausreichend Bewegung und gesunde Ernährung
Ein täglicher Spaziergang oder Sport hebt die Stimmung und baut Stress ab. Setzen Sie ebenfalls auf gesunde Ernährung und ausreichend Schlaf, um sich rundum gut zu fühlen. - Medien bewusst konsumieren
Informieren Sie sich einmal am Tag über das aktuelle Corona-Geschehen. Ein stetiges Verfolgen des Corona-Newstickers kann zu Unsicherheit und Stress führen. - Soziale Kontakte pflegen
Telefonieren Sie regelmäßig mit Ihren Liebsten. Der Austausch über Sorgen und Ängste entlastet Ihren Psyche und verringert das Gefühl, in Zeiten von Social Distancing allein zu sein. - Hilfe suchen
Scheuen Sie nicht, sich professionelle Hilfe zu suchen und einen Arzt aufzusuchen. Psychiatrische und psychotherapeutische Anlaufstellen bauen zurzeit ihre Angebote für Beratungen über Telefon oder Videosprechstunde aus.
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Datum: 09.11.2020