
VITAL: Weshalb fällt es medizinischen Laien so schwer, Studien wirklich zu verstehen?
Prof. Wolf-Ostermann: Weil die meisten Menschen keine Übung im Umgang mit Statistik haben. Doch vieles lässt sich besser einschätzen, wenn man ein paar statistische Prinzipien beherzigt.
Und die wären?
Vor allem, sich nicht von Prozentzahlen einschüchtern zu lassen. Nehmen wir das klassische Beispiel vom um 100 Prozent erhöhten Krankheitsrisiko, falls man Medikament XY einnimmt. 100 Prozent – das klingt wie „in jedem Fall“. Betrifft das aber z. B. von 5000 Testpersonen nur eine, dann heißt 100 Prozent mehr, dass eine weitere Person von dem Medikament krank wird. Insgesamt sind das also zwei von 5000. In realen Zahlen klingt dieses Studienergebnis dann längst nicht mehr so bedrohlich.
Oft ist auch von absoluten und relativen Risiken die Rede. Was bedeutet das?
Ein Beispiel: Eine bestimmte neue Therapie soll die Rückfallquote um 25 Prozent senken. Von 100 herkömmlich behandelten Patienten erkranken vier erneut, unter der neuen Therapie drei. Relativ gesehen, reduziert sich das Risiko um 25 Prozent – eben von vier auf drei. Absolut handelt es sich um eine Person von 100. Das ist weniger, als man zunächst vermuten würde.
Für manche Studien werden nur 50 oder noch weniger Teilnehmer befragt. Ist das wirklich noch aussagekräftig und seriös?
Die Teilnehmerzahl hat nichts mit der Seriosität einer Untersuchung zu tun. Für genau definierte Fragestellungen kann man auch berechnen, wie groß der Stichprobenumfang sein muss, um verlässliche Aussagen treffen zu können. Oft aber haben Wissenschaftler keine andere Möglichkeit, als mit kleinen Gruppen zu arbeiten, etwa bei seltenen Erkrankungen wie Mukoviszidose oder bei sehr kostspieligen Versuchen. Grundsätzlich gilt aber: Je weniger Probanden, desto ausgefeilter sollte die Methodik der Studie sein, um Fehler und Verzerrungen möglichst gering zu halten.
Dann sind „Erfolgsstudien“ an 30 Frauen, mit denen z. B. Hersteller von Shampoos gegen Haarausfall werben, also tatsächlich seriös?
Im Prinzip schon, schließlich kann auch dieses Resultat mit einer völlig korrekten Untersuchung zustande gekommen sein. Meist sind die Bedingungen aber vormoduliert, also so eng gesteckt, dass tatsächlich das erwünschte Ergebnis dabei rauskommt. Verbraucher sollten immer überlegen: Wer hat die entsprechende Studie in Auftrag gegeben? Bei der Kombination aus positivem Ergebnis und hohem Eigeninteresse des Herstellers ist sicherlich gesunde Skepsis angebracht.
Häufige Studienformen
Randomisierte und kontrollierte Studien Sie gelten als die qualitativ beste Studienanordnung. Randomisiert bedeutet, dass die Teilnehmer den unterschiedlichen Gruppen (z. B. der Wirkstoff- oder Placebogruppe) zufällig zugeordnet werden. So kann man bekannte und unbekannte Einflussfaktoren gleichmäßig verteilen. Kontrolliert ist die Studie, wenn die Auswertenden die Ergebnisse der Wirkstoff gruppe am Schluss mit denen der Placebogruppe (Kontrollgruppe) vergleichen.
Blind- und Doppelblindstudie Beide werden oft genutzt, um z. B. Medikamente zu prüfen. Von einer Blindstudie spricht man, wenn die Studienleiter wissen, welche Testperson den Wirkstoff erhält und welche nur ein Scheinpräparat (Placebo). Die Teilnehmer selbst tappen im Dunkeln. Doppelblind ist eine Studie, wenn nicht mal die behandelnden Ärzte wissen, wer was bekommt. Diese Studienart erzielt objektive Ergebnisse.
In-vitro- und In-vivo-Studien „In vitro“ steht für Experimente, die „im Glas“ ab laufen, etwa in Reagenzgefäßen, also einer künstlichen und überschaubaren Umgebung. Im Gegensatz dazu nennt man alles, was Forscher am lebenden Organismus testen, „in vivo“. Das wird meist erst gemacht, wenn durch Invitro Untersuchungen schon Rückschlüsse möglich sind.
Präklinische und klinische Studien Ein neuer Wirkstoff, der später als Arzneimittel zugelassen wird, muss erst vorklinische (lat. prä-) Versuche durchlaufen, um in das klinische Stadium, also den Test am Menschen, zu gelangen. Von 10 000 Substanzen schaffen das nur 10! Die präklinische Prüfung sieht zahlreiche pharmakologisch-biochemische Versuche vor, unter anderem mit Zellkulturen oder Labortieren. Dabei werden verschiedene Reaktionen, die Heil- und Nebenwirkungen, aber auch die Sicherheit und die Schädlichkeit untersucht.