
Nur die Sieger von Schnellsprech-Wettbewerben, so scheint es, dürfen bei Werbespots in Funk und Fernsehen den altbekannten Satz herunterrappeln: „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ Hören Sie da überhaupt noch hin? Der Hinweis, der nach dem Heilmittelwerbegesetz verpflichtend mitgesendet werden muss, verlässt das Gehirn schon kurz, nachdem er das Ohr erreicht hat. Dabei wären wir gut beraten, ihn zu beherzigen.
Unsere Lebenserwartung in Mitteleuropa rangiert mit rund 80 Jahren weltweit in der Spitzengruppe. Einen großen Anteil daran – Wissenschaftler der Columbia-Universität in New York/USA sprechen von 40 Prozent – hat die Neu- und Weiterentwicklung immer besserer Medikamente. Doch sie können ihr Potenzial nur unter gewissen Voraussetzungen beweisen. Dazu gehören die richtige Dosis und Dauer der Einnahme. Deshalb sind diese Präparate verschreibungspflichtig. Denn nur ein Arzt kann diese Punkte sowie mögliche Wechselwirkungen mit anderen Substanzen und den Gesamtzustand des Patienten beurteilen und berücksichtigen.

Der Schlendrian beginnt
Wie die Apothekerkammer Niedersachsen ermittelt hat, wendet aber rund die Hälfte der Patienten ihre Arzneien nicht wie vorgeschrieben an, setzt das Präparat eigenmächtig ab oder löst das Rezept gar nicht erst ein. Letzteres beobachten Experten vor allem bei Langzeittherapien: Anfangs folgen die Patienten den ärztlichen Anweisungen noch gewissenhaft, doch nach einer Weile schleicht sich der Schlendrian ein bis hin zum „Vergessen“. Im vergangenen Jahr befragte die AFU (Arbeitsgemeinschaft forschender niedergelassener Ärzte am Universitätsklinikum Freiburg) Ärzte und Patienten aus 19 Arztpraxen. Dabei gaben viele Patienten an, Medikamente ohne Rücksprache mit dem Arzt abgesetzt zu haben – und das nur in 7 Prozent der Fälle wegen Beschwerdefreiheit. Viel häufiger nannten sie als Grund Nebenwirkungen (54,8 Prozent) - verständlich. Doch auf die Idee, gemeinsam mit dem Arzt abzuwägen, ob es sich wegen guter Heilungsaussichten lohnt, die Beschwerden als das kleinere Übel hinzunehmen, oder ob ein besser verträgliches Alternativprodukt zur Verfügung stünde, kamen die Befragten offenbar nicht.
Was brachte die übrigen dazu, die Therapie abzubrechen? Einige hatten das Gefühl, das Präparat wirkte nicht. Anderen missfiel der bittere Geschmack, oder Bekannte hatten ihnen von der Einnahme abgeraten. Nicht zu vergessen die vielen beängstigenden Informationen auf dem Beipackzettel und im Internet. Manche Patienten glauben auch, eine Medikamentenpause tue dem Körper gut. Davor warnen Ärzte eindringlich: Sogenannte Drug Holidays gefährden den Therapieerfolg und können zu fatalen Komplikationen führen.
Typische Einnahmefehler
Diese Gefahr besteht beispielsweise bei Gerinnungshemmern und Blutdrucksenkern: Setzen Sie diese Präparate eigenmächtig ab, drohen Herzinfarkt oder Schlaganfall, warnen Deutsche Herzstiftung und Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft einhellig. Auch bei Diabetikern kommt es immer wieder zu schweren Folgeerkrankungen, die teilweise eine aufwendigere Behandlung erfordern als die Zuckerkrankheit selbst. Mangelnde Therapietreue kann in diesem Fall sogar eine Amputation von Gliedmaßen erforderlich machen. Schwierig ist die Lage auch bei kortisonhaltigen Entzündungshemmern gegen Rheuma. Das körpereigene Hormon wird in der Nebenniere produziert. Doch bekommt der Körper Kortison von außen, stoppt das Organ seine Produktion oder fährt sie drastisch zurück. Bei abruptem Absetzen des Medikaments fehlt dann plötzlich dieser Stoff im Organismus, denn die Nebenniere braucht ein paar Wochen, bis sie wieder auf voller Leistung läuft. Der Mangel kann zu Schockreaktionen und Kreislaufversagen führen. Präparate, die Wirkmechanismen des Körpers nachahmen, sollten Patienten daher, wenn überhaupt, schrittweise absetzen, der Fachbegriff lautet "ausschleichen".
Psychisch labile Menschen, die sich wegen Psychosen oder chronischer Depressionen behandeln lassen, nehmen häufig ihre Medikamente nicht mehr, sobald sie sich besser fühlen. Meist fehlt das Bewusstsein, dass eine Disposition für die Erkrankung lebenslang bestehen bleibt und sie nicht gesund sind, nur weil sich gerade keine Symptome zeigen. Sie riskieren mit dem Absetzen der Medikation teils schwere Rückfälle.
Stark in der Diskussion steht in letzter Zeit die Ausbreitung multiresistenter Keime. Auch sie hängt mit Einnahmefehlern bei hochpotenten Medikamenten zusammen. Denn setzt der Patient ein Antibiotikum früher ab als vorgesehen, verbleiben Keime im Körper, die dann eine Resistenz gegen das Mittel entwickeln könne, d.h. künftig nicht mehr darauf ansprechen. So fallen immer mehr lebensrettende Wirkstoffe weg. Hier trifft ohne Frage auch die Ärzte eine Mitschuld: Vielfach landen Antibiotika auf dem Rezeptblock, obwohl es sich überhaupt nicht um eine bakterielle Infektion handelt. Und nur in diesem Fall ergibt eine Antibiotika-Therapie überhaupt Sinn.
Nebeneffekte vermeiden
Wenn eine Substanz wirkt, kann sie auch über das Ziel hinausschießen; alle beobachteten Nebenwirkungen landen im Beipackzettel, so sieht es das Gesetz vor. Bei manchen Präparaten wird einem durch die Lektüre deshalb Angst und Bange. Lassen Sie sich dadurch nicht verrückt machen. Denn es heißt noch lange nicht, dass bei Ihnen tatsächlich Beschwerden auftreten werden. Sollten Sie aber etwas bemerken, entscheiden Sie nichts ohne Rücksprache mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt. Sie kennen doch sicher das Formular, das Sie beim ersten Besuch in einer Praxis ausfüllen sollen oder zur Überprüfung, ob sich Daten geändert haben. Dort taucht mit Sicherheit die Frage "Welche Medikamente nehmen Sie ein?“ auf. Geben Sie alles an, auch wenn es sich „nur“ um Vitamintabletten oder rezeptfreie pflanzliche Präparate handelt. Denn viele Substanzen wirken entweder weniger gut oder aber intensiver, wenn sie mit anderen Stoffen interagieren. Daher bedeuten die Angaben für Ihren Arzt wichtige Informationen. Auch die Ernährung kann die Wirkweise bestimmter Medikamente beeinflussen.
Achten Sie bitte ebenfalls darauf, wann und wie Sie die verordneten Präparate einnehmen. Auf den richtigen Zeitpunkt kommt es an, weil viele Stoffwechselvorgänge über den Tag gesehen in Phasen ablaufen (zirkadiane Rhythmen).
Wenn Sie kortisonfreie Rheumamittel vor dem Schlafengehen nehmen, plagen Sie sich z. B. am nächsten Tag nicht mit der typischen Morgensteifigkeit herum. Für Kortisonprodukte dagegen eignen sich eher die Morgenstunden, in denen die körpereigene Produktion des Hormons besonders hoch ist und Nebenwirkungen dann geringer ausfallen. Die Anweisung „einmal/zweimal/dreimal täglich“ gibt die Zeit an, die zwischen den Einnahmen liegen soll. Die können Sie leicht ausrechnen: Bei drei Tabletten täglich nehmen Sie alle acht Stunden eine. Zwei Tabletten über den Tag verteilt heißt alle 12 Stunden. Nehmen Sie nur eine Tablette oder Kapsel am Tag, sollte das stets in etwa zur gleichen Tageszeit geschehen. „Vor dem Essen“ bedeutet 30 Minuten vorher und „nach dem Essen“ heißt, warten Sie nach der Mahlzeit noch zwei Stunden damit.

Neues Präparat. Was jetzt?
Gerade ältere Menschen oder chronisch Kranke, die jeden Tag mehrere Präparate einnehmen müssen, kann der Wechsel eines vertrauten Mittels gegen ein anderes mit exakt gleichem Wirkstoff verwirren. Das passiert oft ohne Wissen des Arztes: Die Krankenkassen schließen mit den Pharmaherstellern Rabattverträge – und
übernehmen nur die Kosten für deren Produkte. In der Apotheke bekommen Sie dann nicht das Präparat ausgehändigt, das auf dem Rezept steht, sondern das einer anderen Firma: Plötzlich ist die Herztablette nicht mehr rosa, sondern weiß. In dieser Situation besteht Erklärungsbedarf. Scheuen Sie sich nicht, bei der Apothekerin gezielt nachzufragen, wenn Sie etwas nicht verstanden haben. Ein kleiner Tipp, um sich nicht alle Details merken zu müssen: Notieren Sie die Wirkstoffe und Namen der Präparate, die Sie regelmäßig nehmen, in einem Heft – zusammen mit der Dosierungs- und Einnahmeempfehlung. Ändert sich etwas, immer gleich korrigieren. Um das von Zeit zu Zeit checken zu lassen – na, Sie wissen schon, fragen Sie einfach Ihren Arzt oder Apotheker.