
Sie ist anders als die anderen. Lässt sich anschauen, beschnuppern, berühren. Wir kennen jeden Zentimeter an ihr und können buchstäblich mit ihr fühlen: Im Gegensatz zu unseren anderen Organen liegt die Haut außen. Das gut zwei Quadratmeter große, empfindsame System verbindet uns mit der Umwelt und grenzt uns gleichzeitig von ihr ab. Die Haut erfüllt lebenswichtige Jobs, regelt die Temperatur und den Wasserhaushalt, kümmert sich um Abwehr und Ausscheidung. Und wie ein feinfühliger Sensor zeigt sie auch an, ob jemand körperlich auf der Höhe ist. Aber nicht nur die Gesundheit der inneren Organe spiegelt die mit ihnen eng vernetzte Schutzhülle wider. Eine direkte Datenbahn verbindet sie mit dem Gehirn, mit unserer Seele. Wenn es der nicht gut geht, lässt sich das an der Haut ablesen – und chronische Krankheiten wie Neurodermitis oder Schuppenflechte blühen blitzartig auf.
Diese Verbindung rückt immer mehr in den Fokus der Wissenschaft. Vom „Haut-Ich“ ist die Rede, von psychosomatischen Hautkrankheiten. Verhaltens - therapie gehört plötzlich zum Behandlungsstandard wie Kortisonsalben, und Dermatologen machen eine Zusatzausbildung als Psychotherapeut und nennen sich Psychosomatische Dermatologen. Aber lesen Sie selbst, was die Forschung inzwischen so alles weiß.
Beim Embryo bilden sich Haut und Gehirn aus denselben Zellen
„Die Haut, die Nerven und das Gehirn haben den gleichen entwicklungsgeschichtlichen Ursprung. Sie entstehen in der Embryonalphase des Menschen aus dem gleichen Keimblatt“, führt der Hautarzt und Psychotherapeut Prof. Uwe Gieler vom Zentrum für Psychosomatische Medizin der Universität Gießen aus. Das erklärt, warum sich psychische Probleme oft am Hautbild zeigen. Und umgekehrt, weshalb Hauterkrankungen die Psyche belasten.
Streicheln hilft genauso gut wie Medikamente

Neuere Forschungen haben zudem ergeben, dass das vegetative Nervensystem bis in die oberste Hautschicht reicht. Dort stellen spezielle Botenstoffe eine Verbindung zwischen Nerven und Immunzellen der Haut her. In milder Form hat diesen Teufelskreis vermutlich jeder von uns schon einmal erlebt: Bei starkem Stress vor einer Prüfung sprießen plötzlich Pickel oder Lippenherpes blüht auf, und man fühlt sich mit roten Spots im Gesicht oder Bläschen an den Lippen noch unsicherer.
Einen weiteren Beweis für die enge Seele-Haut-Connection liefert eine aktuelle Erkenntnis zum häufigen Begleiter von Hautkrankheiten, dem Juckreiz. Früher glaubten Dermatologen, dass das Signal über Schmerzbahnen zum Gehirn geleitet wird. „Heute wissen wir, dass spezielle Juckreizfasern über das Rückenmark ins Gehirn führen – und zwar in Areale, die stark mit Emotionalität in Verbindung stehen und völlig unabhängig vom Schmerz sind“, sagt Psychodermatologe Gieler. Und der Hautarzt Dr. Thilo Evers vom Dermatologikum Hamburg bestätigt: „In der Tat reagieren viele Menschen mit Hautbeschwerden auf emotional belastende Situationen oder innere Konflikte, über die sie nicht sprechen können.“ Diese eingeschlossenen Gefühle erzeugen körperlichen Dauerstress, der sich in psychosomatischen Hautkrankheiten wie Schuppenflechte, Neurodermitis, Akne oder Nesselsucht äußern kann.
Streicheln hilft genauso gut wie Medikamente
An der Medizinischen Hochschule Hannover ging man dem Zusam - menhang zwischen Stress und Hautleiden auf den Grund. Studienleiter Dr. Gerhard Schmid-Ott und sein Team stellten fest, dass bei Neurodermitikern unter akutem Stress die Zahl der weißen Blutkörperchen (zuständig für die Immunabwehr) und Entzündungs stoffe (Zytokine) stark steigt.
Auch bei Depressionskranken hat eine wissenschaftliche Untersuchung der School of Medicine of Osijek in Kroatien die Verbindung zwischen Stress, geschwächtem Immunsystem und entzündlichen Hautkrankheiten nachgewiesen. Untermauert wird dieses Ergebnis durch die Statistik: Mehr als 30 Prozent der Menschen mit Depressionen haben eine „genervte“ Haut.
Die Haut ist das einzige Organ, das mit allen anderen spricht

Ob psychische Probleme die Ursache oder die Folge von Hautkrankheiten sind, konnte wissenschaftlich bislang noch nicht geklärt werden. Aber das ist auch gar nicht so wichtig, denn: „Für den Therapeuten ist es entscheidend festzustellen, welche Gefühle, Verhaltensweisen und Ereignisse auf die Erkrankung zurückwirken, das heißt sie verschlechtern oder verbessern“, sagt der Münchner Diplompsychologe Lothar Niepoth. Die Praxis zeigt, dass Entspannungstechniken in der modernen Dermatologie erstaunliche Erfolge erzielen. „In der aktuellen Neurodermitis-Schulung machen psychosomatisch orientierte Therapieansätze wie z.B. Entspannungsübungen mittlerweile 50 Prozent des Programms aus“, so Prof. Gieler. „Im Vordergrund stehen grundsätzlich Strategien, bei denen die Patienten einen besseren Umgang mit der Krankheit erlernen. Auch das richtige Stressmanagement ist in der Dermatologie als zusätzliche Maßnahme sehr hilfreich.“ So lassen sich die Symptome zumindest oft mildern – oder, je nach Schwere, sogar zum Verschwinden bringen.
Ähnlich hilft die heilende Kraft der Berührung: Jedes Streicheln, jede angenehme Massage beeinflusst unseren Hormonhaushalt. Der Körper schüttet weniger Stresshormone aus, dafür aber mehr Nervenbotenstoffe, die beruhigen und ausgleichen. Dazu noch das „Kuschelhormon“ Oxytocin, was entstressend wirkt und das Schmerzempfinden senkt – und Hautleiden tatsächlich bessern kann.
Das wird durch neueste Studienergebnisse umso plausibler: Die bestätigen, dass viele Hautpatienten schon als Kind wenig körperliche Berührungen erfahren haben. Weitere Studien zeigen, dass Berührungen nicht nur bei ihnen geradezu therapeutisch wirken und Seele und Körper helfen, die Balance wiederzufinden: So erhöhen regelmäßige Massagen z.B. die Gedächtnisleistung von Alzheimer-Patienten. Frühgeborene, die viel körperliche Zuwendung erhalten, nehmen besser zu als andere Frühchen. Ganz nebenbei tut „Doktor Haut“ auch dem Menschen gut, der massiert.
Die Haut ist das einzige Organ, das mit allen anderen spricht
Das Kommunikationsorgan Haut steht aber auch in engem Kontakt mit den inneren Organen – und hilft so dem Arzt als zunehmend wichtiges Diagnose- Medium, internistische Beschwerden abzuklären. Pusteln, Äderchen, Rötungen, Juckreiz oder weiße Flecken können erste Anzeichen gesundheitlicher Probleme sein. „Natürlich steckt nicht hinter jedem Pickel eine ernste Erkrankung. Dennoch zeigt die Haut eine Reihe spezifischer Signale, die auf Organstörungen hinweisen und oft sogar vor anderen Symptomen auftreten“, so Prof. Gieler. Bei der Diagnose spielt die gesamte Palette an Ausdrucksmöglichkeiten, die die Haut zu bieten hat, eine Rolle. Ist sie berührungsempfindlich, heiß oder kalt? Blass, rötlich oder blau verfärbt? Sind Bereiche erhaben oder entzündet, teigig, trocken oder von einem Schweißfilm überzogen? „Da die Veränderungen manchmal schleichend geschehen, ist es umso wichtiger, die Haut und das, was mit ihr geschieht, genau im Blick zu haben“, betont der Gießener Hautarzt und Psychotherapeut.
Interview mit Prof. Eggert Stockfleth vom Berliner Charité

So kann beispielsweise eine fahle Gesichtsfarbe mit trockener, juckender Haut auf eine Nierenerkrankung hinweisen. Hinter eingerissenen Mundwinkeln kann ein Diabetes stecken, hinter Augenringen und Tränensäcken eine Blasenstörung. Bei einem niedrigen Sauerstoffgehalt des Blutes können sich Haut und Nägel bläulich verfärben. Dahinter verbergen sich häufig Durchblutungs störungen, die auf eine Herzoder Lungen er kran kung hindeuten. Entzündungen des Herzmuskels gehen oft mit winzigen Einblutungen einher: Die stecknadelkopfkleinen roten Pünktchen verteilen sich meistens am Oberkörper, an den Armen oder Beinen. Auch geschwollene Augenlider können ein Indiz für ein Herzproblem sein, eine geschwollene Unterlippe für Verdauungsstörungen, eine geschwollene Oberlippe für Magenprobleme.
An der Haut erkennt der Arzt Krankheiten wie auf dem EKG
Einfacher festzustellen, da auffällig und eindeutig, ist die Weißfleckenkrankheit (Vitiligo): Dabei depigmentiert sich die Haut punktuell und wird hell. „Zeigen sich solche Flecken, sollte man unbedingt regelmäßig die Schilddrüse unter suchen lassen“, rät Prof. Gieler. Denn häufig tritt Vitiligo im Doppelpack mit einer Über- oder Unterfunktion des Hormondrüse auf. Die Haut meldet auch, wenn der Stoffwechsel aus der Balance geraten ist: Rötlich braune, trockene Verfärbungen an den Knöcheln und Schienbeinen weisen auf eine Störung der Lederhaut hin. Auch die Leber äußert Probleme über die Haut. Spider naevi heißen kleine Blutäderchen, die sich netzartig über die Gesichtshaut ziehen, aber auch im Nacken und auf dem Rücken vorkommen. Vor dem Hintergrund all dieser Fakten steht fest: Wer sich in seiner Haut wohlfühlen möchte, sollte sie achtsam behandeln und seine Seele behüten. Denn die sensible Hülle wacht über Körper und Psyche – und merkt (sich) alles.
„Die Haut ist genügsam“
Interview mit Prof. Eggert Stockfleth, Direktor des Hauttumorzentrums an der Berliner Charité
VITAL: Stimmt es, dass die Haut zum Immunsystem gehört? Prof. Stockfleth: Ja, man kann sie gar nicht hoch genug bewerten. Sie steht in permanentem Kontakt mit der Umwelt und vielen schädlichen Einflüssen, gegen die sie die erste mechanische Verteidigungslinie bildet.
Was passiert in der Haut? In der Oberhaut sitzen zwei Sorten von Abwehrspezialisten: Keratinozyten sondern Botenstoffe ab, die das Immunsystem aktivieren, sobald Erreger die Hautbarriere zu durchdringen drohen. Langerhanszellen können körperfremde Substanzen von körpereigenen unterscheiden und sie dem Abwehrsystem melden. Zusätzlich beteiligen sie sich als Fresszellen daran, Keime auszuschalten.
Wie kann man das Immunsystem der Haut stärken? Obwohl die Haut sensibel ist, stellt sie keine besonders hohen Ansprüche. Wenn man sie vor UV-Licht und übertriebener Hygiene bewahrt, die sie austrocknet und entfettet, bleiben die Abwehrfunktionen intakt.
Sonne ist aber wichtig für die Abwehr! Ja, der Körper braucht UV-Licht, um Vitamin D zu produzieren. Dieses wiederum ist wichtig, um T-Zellen zu aktivieren, eine Art Killerzellen, die Angreifer unschädlich machen. Sonnenlicht gilt aber auch als Hauptursache für Hautkrebs. Also: nur kurze Sonnenbäder nehmen. Und Sonnencreme ist Ehrensache!