
Es beginnt mit Nachtblindheit, nachlassender Sehschärfe und einem „Tunnelblick“. Das Gesichtsfeld schränkt sich von außen her immer mehr ein. Im schlimmsten Fall kann die „Retinitis pigmentosa“ genannte Erkrankung zur Erblindung führen. Etwa jeder 80. Mensch trägt ein verändertes Gen in sich, das die Entwicklung dieser Netzhauterkrankung bei ihm selbst oder seinen Nachkommen auslösen kann. Da die Krankheit bislang nicht behandelbar ist, arbeiten Forscher weltweit an der Entwicklung von Netzhaut-Chips, die – vorerst grob gerastert und nur in Schwarz-Weiß – Bilder erzeugen sollen. In Deutschland gab es bereits erste Patientenstudien. VITAL sprach mit Prof. Peter Walter, Uni-Augenklinik Aachen, über den Stand der Forschung.
Was ist eigentlich ein Netzhaut-Implantat? Ein mikroelektronisches System, das über Ströme die Netzhaut reizt. Dadurch können bei vollständig erblindeten Menschen wieder Seheindrücke entstehen.
Wem kann der Netzhaut-Chip helfen? Zunächst nur Menschen, die an Retinitis pigmentosa erkrankt sind – in Deutschland rund 15 000 Betroffene.
Prof. Dr. Peter Walter
Der Direktor der Universitäts-Augenklinik in Aachen hat bereits mehreren Patienten Netzhaut- Chips implantiert
Wie funktioniert der Chip genau? Für unser Implantat fängt eine Minikamera in einem Brillengestell das Bild ein. Dort wird auch berechnet, wie stark und wo die elektrischen Ströme platziert werden müssen, um die gewünschten Reize auf der Netzhaut auszulösen. Diese Informationen werden drahtlos an einen Empfangs-Chip gesendet und von dort an Elektroden geleitet, die in der Netzhaut verbliebene und noch überlebende Nervenzellen reizen. Dadurch entstehen Seheindrücke. Unser Implantat besteht aus einem 11 Millimeter großen Scheibchen, in dem die Elektronik für die Signalaufbereitung steckt. Von hier aus geht ein 2,5 Zentimeter langes Minikabel ab, das in einem 3 Millimeter großen Stimulator endet. Befestigt wird das Implantat mit einem kleinen Titan-Pin direkt auf der Netzhaut. Es gibt aber auch noch andere Modelle.
Was konnten die Patienten mit dem Netzhaut-Chip sehen? Lichtflecke, Punkte, Linien. Wir haben geprüft, wie viel Strom nötig ist, um Seh-Wahrnehmungen auszulösen, und ob eine Auflösung, wie man sie für räumliches Sehen benötigt, erreicht wird. In einer Tübinger Studie konnten Patienten sogar Alltagsgegenstände lokalisieren. Aber auch das sind Studien, Einzelfälle.
Wie viele Menschen haben bislang in Deutschland ein Implantat erhalten? Bei uns in Aachen 6 Patienten für vier Wochen. In Tübingen und Hamburg waren es mindestens noch einmal 13. Aber bei allen Patienten wurde der Chip wieder explantiert.
Warum, wenn die Versuche doch erfolgreich waren? Aus Sicherheitsgründen. Wir wollten sehen, ob das Implantat über vier Wochen funktioniert und ob es sich auch wieder entfernen lässt. Da es aber so gut geklappt hat, ist die nächste Studie so angelegt, dass wir das Implantat unbefristet im Auge belassen können.
Wie hoch ist das Risiko von Komplikationen? Eher gering. Alle Implantate heilten gut ein. Nur bei einem unserer sechs Patienten gab es Komplikationen, die aber gut behandelbar waren.
Wann werden Netzhaut-Chips zum klinischen Alltag gehören? Wir hoffen, dass das 2011 der Fall sein wird. Bis dahin ist ihr Einsatz nur im Rahmen von Studien möglich.
Werden die Krankenkassen die Kosten erstatten? Es ist noch zu früh, das zu sagen. Ich könnte es mir aber vorstellen.