
Er ist die graue Eminenz der Medizin: Alle reden von ihm – nur wenige kennen ihn wirklich. Wie sehr der Stoffwechsel unser Leben beeinflusst, zeigen immer mehr Forschungsergebnisse. Ein aktuelles Beispiel: Zu viel Stress im Alltag lässt den Fettstoffwechsel entgleisen, hat Prof. Zofia Zukowska von der Georgetown-Universität in Washington nachgewiesen. Ständige Sorgen und Belastungen führen dazu, dass Gehirn und Nervenzellen verstärkt das Neuropeptid Y2 (NY2) produzieren. Das ist ein Hormon, das den Appetit anregt. Die Fettzellen schwellen an, es bilden sich lästige Pölsterchen. Die gute Nachricht: Es gibt bereits einen Hemmstoff, der verhindert, dass das „Übergewichts- Hormon“ an den Zellen andockt. Prof. Zukowska: „Die Fetteinlagerungen werden damit um 40 Prozent verringert.“ Die Substanz wird schon in zwei Jahren in klinischen Studien getestet. Damit ist die erste echte Schlankheits-Pille zum Greifen nahe. Doch das Hormon NY2 eröffnet auch noch ein anderes Einsatzgebiet: Gezielt in Problemzonen eingesetzt, kann es künftig Falten aufpolstern oder Dellen an den Oberschenkeln füllen.
Gut zu wissen
Pro Tag braucht der Stoffwechsel mindestens 1500 kalorien für die Versorgung der Organe
Ein entscheidender Meilenstein ist der Stoffwechsel (med.: Metabolismus, griech.: metabolé = Umwandlung, Veränderung) offenbar auch bei der Entstehung von Diabetes Typ II, entdeckte Prof. Markus Stoffel von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Bei den 8 Millionen deutschen Diabetikern sind die biochemischen Kommunikationswege gestört, mit denen der Körper den Blutzuckerspiegel und Fettstoffwechsel steuert. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Eiweiß Foxa2. Eigentlich sollte es Gene in den Leberzellen anregen, Enzyme zu produzieren, um Fette und fettähnliche Substanzen biochemisch zu verändern. Aber es ist bereits im Frühstadium von Diabetes Typ II extrem faul und dauerhaft träge. In der Leber reichert sich so Fett an. Sie reagiert immer schwächer auf das Hormon Insulin aus der Bauchspeicheldrüse – es entwickelt sich ein Diabetes.
Auch hinter dem Alzheimer-Leiden steckt offenbar ein Stoffwechselproblem. Im Gehirn gibt es eine Art „Molekül-Taxi“, das Cholesterin zu verschiedenen Zellen transportiert – das sogenannte Apolipoprotein. Aber dieses „Taxi“ kann in einen Stau geraten, wenn bei den Patienten ein bestimmtes Gen verändert ist. „Solche Störungen im Cholesterinstoffwechsel scheinen die Funktionen der Gehirnzellen so zu behindern, dass sie letztendlich absterben“, sagt der Bonner Neurobiologe Prof. Jochen Walter.
Sogar gegen epileptische Anfälle, unter denen rund 800 000 Deutsche (25 Prozent von ihnen sind Kinder) leiden, helfen gezielte Veränderungen im Gehirnstoffwechsel durch eine sogenannte „ketogene Diät“. Sie besteht zu 80 Prozent aus Fett. Der Neuropädiater Prof. Christoph Korenke vom Klinikum Oldenburg: „Durch die Stoffwechselveränderung gehen die Anfälle merklich zurück, und viele Patienten werden sogar anfallsfrei.“
Komplizierte Kraftwerk-Kombi
Eine ziemlich komplizierte Kraftwerk-Kombi
Während die Wissenschaft immer neue Rätsel des Stoffwechsels entschlüsselt, ranken sich weiter zahllose Mythen um den Metabolismus. Wer etwa nachts an den Kühlschrank schleicht, soll angeblich besonders heftig zunehmen, weil der Stoffwechsel in der Schlafenszeit auf Sparflamme arbeitet. Doch Stoffwechsel-Forscher der Universität Indiana in Indianapolis haben den „Mitternachts-Mampfern“ vor kurzem Absolution erteilt. Es kommt nur auf die tägliche Kalorienmenge an, nicht auf die Zeit der Aufnahme.
Dem Stoffwechsel wird auch gern in die Schuhe geschoben, dass sein langsames Arbeitstempo an Übergewicht schuld sei. Falsch! Zwar stimmt es, dass bei 30 bis 50 Prozent aller Übergewichtigen eine Stoffwechselstörung vorliegt. Diese ist aber meist die Folge, nicht die Ursache der Extra- Pfunde. Ein weiterer Irrglaube: Bei einer säurereichen Ernährung soll es zu Stoffwechselschlacken kommen, die für Cellulite verantwortlich sind, die Lymphbahnen blockieren oder sogar Albträume bescheren. Einen wissenschaftlichen Beweis für solche Stoffwechsel- Abfallprodukte gibt es bisher aber nicht. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Bonn: „Im Stoffwechsel des Menschen fallen keine Schlackenstoffe an. Der Organismus scheidet Endprodukte des Stoffwechsels über Niere, Darm, Lunge oder Haut aus.“ Deshalb machen Detox bzw. Entschlackungs-Kuren keinen Sinn.
Tatsächlich ist der Stoffwechsel also nicht nur Energielieferant und Brennofen des Körpers, sondern zugleich auch seine Müllabfuhr. Ein kompliziertes System, bei dem es – wie der Name schon sagt – vor allem darum geht, Stoffe zu wechseln. Das Mineral Kalzium z. B. aus dem Käse zu lösen und in Knochen oder Zähne einzubauen. Oder das Jod aus Salz oder Tiefseefischen herauszufiltern und der Schilddrüse als Baustein für die Produktion von lebenswichtigen Hormonen zu liefern. Oder Kohlenhydrate aus Pasta oder Kartoffeln als Energielieferanten für die Muskeln zu verstoffwechseln. Der Präventions-Experte Prof. Ingo Froböse, Deutsche Sporthochschule Köln: „Alles, was wir essen oder trinken, wird vom Körper verarbeitet. Aus den Einzelteilen ,bastelt’ er sich alles, was er braucht: neue Zellen, Hormone, feste Knochen, rote Blutkörperchen, Haare und alle Abwehrzellen.“ Die komplexe Energiefabrik hat viele Zweigstellen. Benannt werden sie nach den Substanzen, die dort zu verarbeiten sind. Im Aminosäurestoffwechsel etwa entstehen die Bausteine für neue Eiweiße zum Zellaufbau. Der Kohlenhydratstoffwechsel baut unter anderem Zucker ab und liefert schnelle Power. Gesteuert werden die raffinierten Prozesse, die in Tausenden fein aufeinander abgestimmten chemischen Schritten ablaufen, vor allem durch Enzyme und Hormone. Und bei jedem einzelnen Schritt wird Energie freigesetzt und verbraucht.
Gute Hormonbalance = gesunder Stoffwechsel
Nur mit guter Hormonbalance ein gesunder Stoffwechsel
Bei nahezu 45 Prozent der deutschen Erwachsenen aber ist der Stoffwechsel nach jüngsten Erkenntnissen gestört. Die Ursache liegt oft im wohl wichtigsten Steuersystem des menschlichen Organismus, den Hormonen. Es gibt mindestens 150 der körpereigenen chemischen Informationsboten. Die wichtigsten, z. B. das Glückshormon Serotonin, werden im Gehirn gebildet, andere in der Schilddrüse, den Nebennieren, der Bauchspeicheldrüse oder den Eierstöcken. Kommt es zu einer Störung der Hormonbalance, etwa in den Wechseljahren, durch eine jodarme Ernährung, einer Autoimmunreaktion oder Stress, werden die Stoffwechselprozesse fehlgesteuert. Und wir werden krank.
Vorsicht, wenn Drüsen streiken oder eine Extraschicht einlegen!
Fast jeder dritte Deutsche etwa leidet unter einer krankhaften Veränderung der Schilddrüse, so die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie im bayerischen Regenstauf. Bei einer Unterfunktion produziert die schmetterlingsförmige Drüse zu wenig von den Hormonen Thyroxin und Trijodthyronin. Der Stoffwechsel schaltet um auf Sparflamme. Wir frieren schneller, nehmen zu, sind antriebslos und möchten uns am liebsten unter der Bettdecke verkriechen. Streikt die Hormonproduktion der Schilddrüse, lagert sich zudem mehr Cholesterin an den Wänden der Arterien ab. Das Herz-Kreislauf-System wird geschädigt. Produziert die Drüse dagegen zu viele Hormone, fährt der Stoffwechsel eine Zusatzschicht. Wir schlafen schlechter, sind reizbar, der Blutzucker kann sich erhöhen und wir nehmen ab, auch wenn wir XXL-Portionen essen.
An der chronischen Stoffwechselstörung Diabetes Typ II leiden in Deutschland rund 7 Millionen Menschen, etwa 1 weitere Million ist betroffen, ohne es zu wissen. Das Leiden tritt immer öfter bei jüngeren Menschen auf. Ursache ist oft Übergewicht, zu wenig Bewegung oder falsche Ernährung. Die etwa 1 bis 2 Millionen Langerhansschen Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse produzieren zwar noch das Hormon Insulin, das den Blutzucker reguliert. Davon wird aber nicht genug freigesetzt, oder bestimmte Zellen reagieren nicht mehr ausreichend darauf. Die ersten Gegenmaßnahmen sind Abnehmen und mehr Bewegung. Aber für die Behandlung von Diabetes Typ II kommen demnächst neue Medikamente auf den Markt: z. B. Inkretine, körpereigene Darmhormone, die die Insulinfreisetzung anregen. Und die Stammzellforschung ist zuversichtlich, in vier bis sechs Jahren eine gestörte Bauchspeicheldrüsenfunktion heilen zu können.
Stoffwechselprobleme lassen sich lösen
Stoffwechselprobleme lassen sich locker lösen
Aber auch ein entgleister Metabolismus lässt sich wieder auf das richtige Gleis setzen. Prof. Froböse: „Am nachhaltigsten wirken sich eine optimierte Bewegung und Ernährung aus.“ Um den Stoffwechsel zu aktivieren, sollten wir uns pro Tag wenigstens 30 Minuten mäßig bewegen – immer mindestens 10 Minuten am Stück. Langes Sitzen schaltet das Enzym für den Fettstoffwechsel in den Muskelzellen ab, so eine jüngste US-Studie der Columbia Universität. Wer einen Bürojob hat, sollte also – dem Stoffwechsel zuliebe – beim Telefonieren öfter aufstehen oder umhergehen. Denn schon Schlendern kurbelt den Gehirnstoffwechsel an. Wichtig ist auch, ausreichend zu schlafen. Weniger als sechs Stunden Schlaf pro Nacht stressen den Blutzuckerstoffwechsel. Das Diabetesrisiko steigt laut einer Untersuchung der Universität Chicago um bis zu 23 Prozent.
Auch die Ernährung kann zum Turbo- Programm für den Stoffwechsel werden. Bei Fetten etwa immer auf beste Qualität achten. 50 Prozent der Fette sollten aus einfach ungesättigten Fettsäuren wie Rapsöl stammen, 25 Prozent aus mehrfach ungesättigten Fettsäuren aus Nussöl oder Lachs und nur 25 Prozent aus gesättigten Fetten aus Süssigkeiten oder Aufschnitt. Zwischen den Mahlzeiten vier Stunden pausieren. Dann kann der Stoffwechsel ungestört und effektiv arbeiten – und bleibt schön in der Balance.
Gentest für Stoffwechselerkrankungen
Erstmals konnte jetzt ein Team um Prof. Karsten Suhre am Helmholtz Zentrum München einen Zusammenhang zwischen dem Erbgut eines Menschen und individuellen Unterschieden im Stoffwechsel aufzeigen:
- Die Forscher bestimmten die Blutwerte von mehreren hundert Stoffwechselprodukten und zugleich mehr als 100 000 DNA-Varianten von 284 Versuchspersonen.
- Daraus ermittelten sie die unterschiedliche Aktivität von Enzymen im Fett- oder Kohlenhydratstoffwechsel. Etwa, wie gut fette Nahrung vertragen wird, wie hoch das Risiko ist, z. B. Diabetes zu bekommen, oder wie der Stoffwechsel auf Medikamente reagiert.
- Experten schätzen, dass ein solcher Gentest für Stoffwechselleiden in etwa zehn Jahren marktreif ist.
Fatburner – was bringen sie wirklich?
Fatburner – was bringen sie wirklich?Eiweißspaltende Enzyme, Hormone, Mineralstoffe oder Vitamine sollen den Stoffwechsel auf Trab bringen. Die Belege dafür sind mager.
- Lapacho-Tee, Mate-, grüner oder Pu-Erh-Tee kurbeln durch Koffein die Fettspaltung an. Die Wirkung tritt aber erst bei mehr als fünf bis sechs Tassen pro Tag ein – und wird bezahlt mit Schwitzen, Unruhe oder Pulsrasen.
- Die Enzyme Papain oder Lipase aus der Papaya, Bromelain aus der Ananas und Kiwi-Enzyme sollen einen Kick geben. Doch sie werden bereits im Magen gespalten und kommen deshalb nur selten intakt im Darm an.
- Der Tipp „Stress beschleunigt den Stoffwechsel“ ist Unsinn. Zwar werden vermehrt die Hormone Adrenalin und Noradrenalin gebildet, die den Abbau von Fettsäuren im Fettgewebe fördern. Aber die meisten Menschen reagieren auf Stress damit, vermehrt Fettes oder Süssigkeiten zu essen.
Noch mehr Tipps für einen aktiven Stoffwechsel:
- Wer 3000 Schritte täglich mehr geht, verbessert nicht nur seine Ausdauer um 30 Prozent und verringert einen zu hohen Blutdruck, sondern stärkt zugleich auch den Stoffwechsel. Um die Durchblutung anzuregen und so die Arbeit des Metabolismus zu unterstützen, kann man nach dem Fit-Programm auch noch in die Sauna gehen.
- Der Haupt-Taktgeber unseres Stoffwechsels sitzt in jeder Zelle. Und zwar in ihrem Kraftwerk, den Mitochondrien. Körperliche Bewegung feuert sie an. Aber auch eine tägliche Trinkportion von 2,5 Litern Mineralwasser. Alkohol und zu wenig Schlaf machen den Stoffwechsel lahm wie eine Schnecke: Wir nehmen zu …
- Bewegung regt die Schilddrüse an, mehr Hormone zu produzieren. Gleichzeitig verstärkt sich im gesamten Organismus die Sensibilität für die Hormone. Der Stoffwechsel wird effektiver, reagiert schneller. Und die Pfunde purzeln