Clean Eating: „Sind vier Mahlzeiten clean, kann die fünfte Cookie-Eiscreme sein“

Clean Eating: „Sind vier Mahlzeiten clean, kann die fünfte Cookie-Eiscreme sein“

Clean Eating ist keine bloße Diät, sondern eine langfristige Ernährungsweise mit vielen gesundheitlichen Vorteilen. Im Interview hat uns Dr. Meike Diessner verraten, wie ihr Clean-Eating-Konzept funktioniert und welche Beschwerden es lindern kann.

Dr. med. Meike Diessner ist nicht nur Ernährungs- und Sportmedizinerin, sondern hat auch ihr eigenes Clean-Eating-Konzept entwickelt. Dabei handelt es sich nicht um eine neue Diät, sondern eine langfristige Ernährungsumstellung, mit der Dr. Diessner bereits vielen Patient:innen helfen konnte, gesünder zu werden und Übergewicht abzubauen. Neben der Linderung von chronischen Entzündungen und Hautproblemen soll die Ernährungsform noch viele weitere Vorteile bieten. Wir haben Dr. Diessner gefragt, bei welchen Beschwerden Clean Eating helfen kann, wie man es im Alltag umsetzt und welche Lebensmittel besonders „sauber“ sind.

„Bei mir verabschiedeten sich die starken Hautbeschwerden und meine Energie kam endlich wieder zurück“

Vital.de: Liebe Frau Dr. Diessner, in Ihrem Buch „Natürlich schlank“ stellen Sie Ihr Clean-Eating-Konzept vor, mit dem Sie Leser:innen gesünder und schlanker machen möchten. Wie haben Sie Clean Eating für sich entdeckt und was verstehen Sie unter dem Begriff?

Dr. Diessner: Clean Eating habe ich für mich in einer Phase entdeckt, in der ich selbst einige Probleme durch mein Essverhalten – zu viel Junk-Food, Cola Zero, Hauptsache schnell - bekommen habe. Bei mir waren es nicht zusätzliche ungewollte Kilos, sondern Nahrungsmittelunverträglichkeiten, die sich mit der Zeit entwickelten, und dazu noch eine Kombination aus Nesselsucht und Rosazea. Vor allem die Nesselsucht wurde immer stärker, war nicht nur optisch eine Herausforderung, sondern schränkte mich mehr und mehr in meinem Alltag ein. Bei jedem noch so kleinen Reiz – Kleidung, Wärme, Kälte – meldete sich ein heftiger Juckreiz. Da die Ernährungsmedizin meine große Leidenschaft ist und mir diverse Dermatologen nicht helfen konnten, begann ich, meine Ernährung umzustellen. Bei einer TV-Diät-Challenge riet ich auch einer Teilnehmerin zum Clean Eating, was so viel wie „reines, sauberes“ Essen bedeutet. Auch bei ihr stellten sich schnell Erfolge ein: nachhaltiger Gewichtsverlust (9 Kilo in drei Monaten), ihre Krankheitsbilder und Beschwerden besserten sich. Also tauchte ich noch tiefer ins Clean Eating ein, entwickelte nach und nach mein eigenes Konzept und optimierte es mit der Zeit immer weiter. Und auch bei mir verabschiedeten sich die starken Hautbeschwerden und meine Energie kam endlich wieder zurück.

V: Zwei Drittel der Männer und etwa die Hälfte der Frauen in Deutschland sind übergewichtig. Woran liegt das und welche Vorteile hat Clean Eating gegenüber unserer „normalen“ Ernährung in Deutschland?

DD: Das liegt vereinfacht gesagt an zwei Faktoren: zu viel Junk- und Convenience-Food bei zu wenig Bewegung. Was die Industrie uns im wahrsten Sinne vorkaut und „serviert“, steckt meistens leider voller chemischer Zusatzstoffe, zu viel Zucker und Salz, dazu noch „einfache“ Kohlenhydrate, ungesunde Fette und minderwertiges Fleisch aus Massentierhaltung. Was häufig fehlt, sind Vitamine und Nährstoffe. Geschmacksverstärker und künstliche Aromen unterdrücken unser natürliches Sättigungsgefühl. Am Ende kommen zu viele leere Kalorien im Körper an, wir fühlen uns matt und kaputt. Das war’s dann auch mit der Motivation, sich zu bewegen oder Sport zu machen.
Beim Clean Eating reduzieren wir alle industriell weiterverarbeiteten Produkte und Inhaltsstoffe, versorgen unseren Körper dafür mit komplexen Kohlenhydraten, cleanen (größtenteils pflanzlichen) Proteinen und gesunden Fetten. Der perfekte Nährstoffmix für Gesundheit, Energielevel und Gewicht.

V: Welche Lebensmittel sind besonders „clean“ und sollten wir deshalb am besten täglich zu uns nehmen?

DD: Grundsätzlich gilt: Was uns die Natur auftischt, ist clean. Obst und Gemüse stehen also natürlich ganz oben auf unserer langen Liste und passen daher täglich perfekt in unsere Ernährung. Vollkornprodukte eignen sich hervorragend, da auch sie über wertvolle Ballaststoffe verfügen und uns länger satt halten. Nüsse und Saaten liefern uns die gesunden Fette und Fettsäuren, die wir benötigen. Wer nicht auf Fleisch und Fisch verzichten möchte, isst ein- bis zweimal pro Woche ein Stück aus artgerechter Haltung und am besten in Bio-Qualität. Schmeckt nicht nur besser, sondern ist auch weniger mit Antibiotika und Hormonen belastet. Pflanzendrinks und Kokosjoghurts ohne Zusatzstoffe sind tolle Alternativen für Kuhmilchprodukte. Ein paar meiner Favoriten sind außerdem Blaubeeren, Spinat und Möhren: Echte Top-Foods, die auch noch bei uns regional wachsen.

V: Sind Süßigkeiten und Fast Food in Ihrem Clean-Eating-Konzept komplett tabu?

DD: Nein, Süßigkeiten und Fast Food sind auch mal ok. Sonst wäre ich keine „Clean-Eaterin“. Das ist ein großer Unterschied zu vielen strengen „Diäten“, die nur auf Verzicht und Verboten aufbauen. Wir schließen grundsätzlich nichts aus, um den Heißhunger nicht zu steigern. Wenn das Verhältnis stimmt, spricht nichts gegen Schokolade oder mal eine Portion Pommes, wenn man einfach Lust darauf hat.

V: Kann Clean Eating zur Vorbeugung oder sogar Linderung von Krankheiten, chronischen Entzündungen und anderen Leiden beitragen?

DD: Absolut. Chemische Zusatzstoffe, Zucker im Übermaß, Bauchfett, dazu noch Zigaretten und täglich Alkohol: Das ist das Grundrezept für chronische Entzündungen, die langsam erste Funken in unserem Körper schlagen. Unbemerkt entstehen daraus kleine Glutnester. Durch unsere schlechte Ernährung, Stress, Schlafmangel und andere Umwelteinflüsse wie Abgase und zu starke UV-Strahlung gießen wir quasi Öl ins Feuer, bis die Flammen lodern und immer größere Schäden anrichten. „Clean Eating“ ist unser Brandschutzbeauftragter und die Feuerwehr in einem: Feuer werden gelöscht, potentielle Gefahren direkt erkannt und beseitigt. Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ 2, vorzeitige Hautalterung, Krebs... All diesen Erkrankungen können wir mit Clean Eating vorbeugen und sie auch wieder lindern. Es ist nie zu spät.

V: Nehmen wir an, ich möchte mich clean(er) ernähren. Wo fange ich am besten an? Welche Stellschrauben sind am wichtigsten?

DD: Zum Beispiel, in dem man erstmal eine cleane Mahlzeit pro Tag in seinen Essensplan einbaut: Porridge zum Frühstück aus Haferflocken, Mandelmilch, Banane oder frischen Beeren und ein paar Kakao-Nibs. Wer nicht so der Haferbrei-Typ ist, startet mit einem Gemüseomelette und einer Schreibe Vollkornbrot. Ernährung muss zu uns passen und schmecken. Daher gebe ich in „Natürlich schlank“ gerne Anregungen, schreibe aber keinem etwas vor. Wem das neue cleane Frühstück gut schmeckt, der integriert die zweite cleane Mahlzeit und fängt mal an, seine Vorratsschränke zu begutachten und die Zutatenlisten zu lesen: Was ist wirklich gut für mich, was sieht nur „vermeintlich“ gesund aus? Je mehr wir wissen, umso einfacher können wir Werbefallen enttarnen. Wissen ist also wirklich Macht und die Basis, für eine langfristige Ernährungsumstellung. Und natürlich gibt’s einfache Klassiker, die trotzdem Top-Tipps sind: Wer selbst kocht, weiß, was drinsteckt, Obst statt Schokoriegel oder eine Handvoll Studentenfutter statt Chips als Snacks für zwischendurch.

V: Was ist das 80:20-Prinzip und wie setzt man es im Alltag um? Wie hält man im stressigen Alltag die Balance zwischen gesundem Genuss und maßlosem Schlemmen?

DD: Das 80:20-Prinzip sorgt dafür, dass wir uns eben mal Brownies oder eine Pizza mit gutem Gewissen gönnen können. 80 Prozent unserer Nahrung besteht aus cleanen Lebensmitteln, 20 Prozent aus allem, wonach uns der Sinn steht. Anders ausgedrückt: Sind vier Mahlzeiten clean, kann die fünfte Cookie-Eiscreme sein. Wenn wir uns ständig alles verbieten, verlieren wir einfach etwas Lebensqualität und häufig wirkt sich das auch unser Sozialleben aus: Wer mit Freunden unterwegs ist, hat ja keine Lust, seine vorgekochte Kohlsuppe mitzuschleppen. Das hilft uns außerdem dabei, aus unserem Essen weder eine „Sünde“ noch einen „Seelenschmeichler“ zu machen. Stressiger Arbeitstag und Probleme im Liebesleben, da richtet es schon die Tafel Schokolade am Abend? Klappt nur für wenige Minuten, danach geht’s uns noch schlechter und wir driften langsam in einen Teufelskreis ab. Essen soll weder Belohnung noch Bestrafung sein, sondern Spaß machen und sich gut anfühlen – auch, wenn es dann eben mal nicht clean war.

V: Auf welche falschen oder sogar gefährlichen Abnehmtipps und Diättipps stoßen Sie immer wieder? Welchen guten Ratschlag können Sie unseren Leser:innen an die Hand geben?

DD: Bitte lasst die Finger von Crash-Diäten, die einen Gewichtsverlust versprechen, der uns „Ärzte staunen“ lässt. Wir staunen nämlich wirklich, warum das immer noch zieht. Dazu zählt auch die Kohlenhydrat- und Fett-Hysterie bei gleichzeitiger Protein-Propaganda. Verzichten wir auf einen der drei Makronährstoffe, ernähren wir uns nicht ausgewogen, sondern ausgeschlossen. Ganz einfach. Gleiches gilt für striktes Kalorienzählen, um immer im „Defizit“ zu bleiben. Körper und Stoffwechsel lernen, mit der neuen „Notsituation“ umzugehen, das penible Zählen und Tracken führt zu Stress und Druck. Essen wir irgendwann wieder ganz normal, kommen die kurzzeitig verlorenen Kilos sowieso dreifach zurück: der altbekannte Jo-Jo-Effekt. Wer seine Ernährung langfristig umstellen will, der braucht keine unsinnigen Wunder-Diäten, sondern ein vielseitiges, ausgewogenen Ernährungskonzept, das zu unserer ganz eigenen Lebenssituation passt.

Insta-Live mit Doc Diessner: so geht Clean Eating!

In dem folgenden Insta-Live mit @docdiessner erfahren Sie von der Ernährungsmedizinerin, wie Sie den Einstieg ins Clean Eating finden, welche gesundheitlichen Vorteile Ihnen diese Ernährungsweise bietet und welche Lebensmittel besonders „sauber“ sind. Viel Spaß beim Reinschauen!

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